Der Sog der Dünnhäutigkeit

The tree of life von Terence Malick

Man soll also verzeihen. Gnade. Der Imperativ einer Botschaft des Films kommt auf einer Gratwanderung daher, die merkwürdig polarisiert. Man muss den Klischeebildern, die mit kosmischen Mikro- und Makrostrukturen aufgeladen sind nicht folgen, man muss der Schöpfungsgeschichte nicht folgen, man muss die Wissenschaftsbilder und Naturaufnahmen nicht für angemessen halten (für die Special Effects zeigte sich kein geringerer als Douglas Trumbull verantwortlich, der auch zu Kubricks 2001 die Lichteffekte wie auch hier rein analog ohne Computeranimation realisierte.

The tree of life, R.: Terence Malick (USA, 2011)

The tree of life, R.: Terence Malick (USA, 2011), © Fox Searchlight

Malick erinnert auch in seiner Akribie, Zurückgezogenheit und Hollywoodnähe an Kubricks Arbeitsstil. In welcher Weise Experimentalfilmer wie Scott Nyerges Anteil an den Bildern hatten, steht hier.). Die merkwürdige Geste des Dinosauriers, die vielleicht ein erstes vorzeitliches Ereignis des Mitleids angesicht des Todes des Anderen darstellt, ebenso wie die mittlerweile vielleicht schnulzig anmutende „Die Moldau“ von Bedrich Smetana (eine Übersicht sämtlicher 37 Songs findet sich hier), der Pokerspielszene oder auch dem Schlussbild von der assoziationsreichen „Golden Gate Bridge“ (bis hin zu Hitchcocks VERTIGO), man muss dem nicht folgen. Die Jenseitsphantasie am Ende des Films, die auf irritierende Weise christliche Motive aufgreift (Wiederauferstehung der Toten, das Küssen der Füße, Aufenthalt in der Wüste) und mit spiritistischen, traumhaften und wissenschaftlichen Sequenzen von einem Leben nach dem Tod verarbeitet. Man muss da überall nicht mitgehen und kann es vielleicht auch nicht. Aber trotzdem: es hat sich was gewendet: die Bilder sind nicht allein Bilder, sondern in eben jener immersiven Inszenierungsstrategie einer fragmentarischen Bild-Ton-Montage disparater Gebiete (Christentum, Spiritualität, Traum, Wissenschaft, Natur, Erinnerung) eröffnet der Film einen Sog und kehrt sich von einem geschlossenen Bildkonzept ab, das den Zuschauer in die Tiefen des Kinosessels zu drücken gedenkt. Man verliert eher den Boden unter den Füßen wie auch die Mutter in einer Szene unter dem riesigen Baum im Garten des Hauses schwebend tänzelt.

Eine filmkritische Auseinandersetzung mit dem Film kann entweder mit ihm hart ins Gericht gehen und ihn lediglich als religiös, kitschiges Mammutwerk abtun, sich intellektuell zur Wehr setzen oder die Haltung eines kritischen Staunens einnehmen, euphorisch feiern oder versuchen ihn durch Wiedererzählung zu vermitteln (was die Kritiken teilweise sehr lang werden lässt). Doch wie müsste ein Schreiben ausschauen, dass sich jenseits eben jener Kategorien bewegt, die der Film selbst einführt, weil er sie eben überhöht?

Es ist kein „christliches Mammutwerk“: der Vater, Mr. O´Brien (Brad Pitt) führt ein eisernes Regime strenger Erziehung gegenüber seinen drei Kindern durch, das bis zu Mordlust am Vater und Suizidgedanken beim jungen Jack (Hunter McCracken) führt. Gott ist zwar auch bei Malick „da oben“, aber er ist auch hier, unter uns, überall: also Pantheismus, nicht Monotheismus. Die Kirche wird nicht nur als Ehrfurcht gebietender Raum, sondern auch als Kinderspielplatz genutzt und schließlich prallen die Bildwelten selbst aufeinander: die physikalisch-biologistischen Bilder vom Urknall bis zum Ende des Universums, vom Eizeller zum Säugetier, sie prallen auf die spiritualistisch-religiöse Bilderwelt von Planetenkonstellationen und Gesten (Jacks Hand auf der Schulter des Nachbarjungens mit dem verbrannten Hinterkopf, die beiden Brüder weinend sich auf der Wiese in den Armen liegend). Es ist, als ob der Film seine eigenen konstruierten Welten immer wieder selbst zerstört – durch Konfrontation mit anderen Bildwelten und durch die Verwendung von ausschließlich natürlichem Licht – was das Paradox einer natürlichen Künstlichkeit umso härter trifft. Der Film entzieht sich dadurch einer klaren Positionierung zu einer sinnstiftenden Botschaft: folgt man den zarten, fast bis ins unverständlich reichenden gehauchten Stimmen (die sich in der deutschen Synchronfassung vollständig ins Gegenteil einer bis ins letzte Detail hörbaren Präsenz umwandeln), so bezeichnen sie vor allem am Ende universalistische Allgemeinplätze, die sich in alle Richtungen der Deutungshoheit des Zuschauers anbieten: Liebe, Gnade, Hoffnung. Man kann dies als platt, naiv und größenwahnsinnig abtun (und Darren Aronofsky hat in THE FOUNTAIN gezeigt wie schnell sich solch Universalismus in esoterischer Symbolik erschöpft).

Bei all der Selbstwidersprüchlichkeit des Films gibt es aber auch eine psychologische Ebene, in der der Film seine größte Bodenhaftung besitzt: im mittleren Teil des Films folgt auf die Härte des Vaters die Aggressivität des Sohnes, die sich zunächst gegen den Bruder richtet (die Flinte im Wald) und schließlich in einer Bitte um Vergebung mündet, die auch mit dem Wandel des Vaters einhergeht. Der Vater hat seinen Job verloren und damit nicht nur seine, sondern auch die ökonomische Grundlage seiner Familie verloren. Er besinnt sich auf seine Kinder und zeigt sich gut-christlich als reuiger Sünder. Er ist eben auch nur ein Mensch.

Gehen wir einen Moment davon aus, dass diese Platitüden eines simplifizierenden Psychologismus weniger ihre Ursachen in einem naiven Realismus haben, sondern im Dienste einer affektiven Dramaturgie steht, die versucht das Kinopublikum als Massenpublikum mit jenen Klischees zu versöhnen, um sie aber über die allegorischen Lesarten hinaus für etwas empfindsam zu machen, was vielleicht am stärksten die Kinosituation selbst beschreibt: ein im Kino zu erfahrender Wille-zum-Glauben-an-das-Wahrzunehmende, der unabhängig von institutionalisierter Religion, Wissenschaft und Esoterik liegt. Vielleicht kann am ehesten eine sensibilisierte Intellektualität eine Beschreibung jenes Schwellengebietes leisten, das sich jenseits eines Bedeutungshorizontes befindet, innerhalb dessen sich Bilder diskursiv einholen lassen. Letztlich wären sogar die als Kardinaltugenden eingeführten Kategorien von „gnadenvollem Leben“ und einem „Leben nach oder im Einklang mit der Natur“ weniger ernst zu nehmen, als sie Im-Gewand-der-Sprache-auftretend zu betrachten. Sie stehen als Platzhalter für das je eigene Tor, das den Zugang zum Film gewährt. Vielleicht lässt sich gerade an dem auffällig geduldigen Schweigen der Mutter (im Gegensatz zu der Sprache der Gewalt des Vaters) jene Sensibilität erspüren, die der Film als Haut vor dem Zuschauer aufzieht: dringt die Musik in den Zuschauer ein, so ist die taktile Kamera ewig in suchender Bewegung nach dem nur multiperspektivisch zu vermittelnden Gefühl einer Betroffenheit.

Der Film setzt sich auf eine waghalsige und kühne Art der Duldung des Zuschauers aus. Er strapaziert Bildsysteme durch ihre Konfrontation bis an ihr Ende und überführt diesen konsequenten Montagereigen in eine Trauerarbeit endloser Wiederholung, die gleich ob nicht diabolisch in trister Gefangenschaft und Depression einkehrt, sondern in seiner positiven Gestalt die Präsenz der wahrnehmbaren Welt als bedeutungslose Vielfalt kleidet. Die sich in den hohen Bürogebäuden spiegelnden, vorbeiziehenden Wolken verdoppeln die Natur zauberhaft, dem eisigen Gesicht von Jack (Sean Penn) entflieht ein seichtes Lächeln. Solcherart sind die Wege eines Terence Malick und man muss seinen Wegen nicht überall hin folgen, aber wenn die Beobachtung stimmt, dass Malick das Anliegen verfolgt eine Sensibilisierung und intellektuelle Abrüstung zu ermöglichen (die nicht zu verwechseln ist mit dem Ziel einer kruden Binsenweisheitswelt oder gar einem Regress in tierische Dumpfheit), dann kann über den Film auf einer komplett anderen Ebene diskutiert werden: nämlich auf der Ebene eines Zugangs zu den je individuellen Erinnerungen, Träumen und Ideen von einer Welt des Daseins und – und das wäre nun die botschaftslose Botschaft – jener Zugang, die rahmende Holztür in der Wüste kann dafür vielleicht Pate stehen, kann nur darin bestehen den Anderen in seiner Andersheit zu repektieren – und damit auch Malicks Weise dieses In-Verbindung-Tretens-Mit-der-Welt. Vielleicht wird diese Perspektive dem Versuch Malicks gerecht eine von Heidegger und Wittgenstein geprägte Weltsicht in den Film zu überführen. (Malick hat Heideggers „Vom Wesen des Grundes” ins Englische übersetzt. Auf der englischen Wikipedia-Seite gibt es auch einige Hinweise auf Filmwissenschaftler, die sich dieser Verbindung bereits angenommen haben.)

Es ist schwierig urteilslos zu schreiben, ohne einerseits auf der Ebene einer Allegorisierung der Welt zu verweilen und ohne andererseits dem Pathos des Esoterischen zuzuspielen. Gerade in diesem schmalen Grat, dieser Dehnung in der Zeit, zeigt sich jene bedeutungsleere Vielfalt, die sich bei Malick im grenzenlosen Rahmen der allumfassenden Dimensionen des Makro- und Mikrokosmos entfaltet. Wenn man diesen aus irgendeinem Grund nicht geht (und sei es, dass man das Konzept des Weiblichen krude findet und einen patriarchalischen Blick unterstellt), harrt man recht verloren und orientierungslos im mittlerweile vermutlich hart gewordenen Kinosessel.

Filmtitel: The tree of life
Regie: Terrence Malick
Kamera: Emmanuel Lubezki
Darsteller: Brad Pitt, Jessica Chastain, Sean Penn, Hunter McCracken, Fiona Shaw, Irene Bedard, Laramie Eppler, Tye Sheridan u.a.
Kinostart: 16. Juni 2011
Verleih: Concorde Filmverleih
(Nachtrag 09.08.2011) Eine interessante Auseinandersetzung, die die christlichen Implikationen des Films sehr viel genauer herausarbeitet und von da ausgehend weitreichende Konsequenzen zieht. Dem Artikel von Christina Striewski schließt sich auch eine interessante Diskussion im Kommentarteil an.