Dunkelheit sieht der verschlungene Europäer in Afrika

Schlafkrankheit von Ulrich Köhler

Er wird gerade verdaut, der Europäer. Der Magen des Nilpferdes ist dafür voluminös und mystisch genug. Afrika als europäische Projektionsfläche eines exotischen Eskapismus sucht man in Ulrich Köhlers neuen Film SCHLAFKRANKHEIT vergebens. Das Klischee eines fremden Afrikas, das in seiner Exotik zu verzaubern vermag, kommt ja aus eben jener bürgerlichen Welt, in der die Hoffnung auf eine alternative (hoffentlich erfüllendere) Welt auflebt und der Köhler zuvor in BUNGALOW und MONTAG KOMMEN DIE FENSTER in deutschen Kleinstädten nachgespürt hat. Vielleicht zeichnet sich hier eine Linie in Köhlers Filmen ab, die auf das Dilemma abzielt, dem Leben frustriert und zwanghaft eine Sinnhaftigkeit zu entlocken.

Schlafkrankheit, R.: Ulrich Köhler

»Schlafkrankheit«, D/NL, 2011, Regie: Ulrich Köhler. Im Bild: Hippolyte Girardot, Pierre Bokma, Jean-Christophe Folly, Patrick Orth. Foto: Komplizen Film

Auf eben jener Linie findet sich Ebbo (Pierre Bokma) wieder, der seit 20 Jahren als Entwicklungshelfer in Kamerun ein Projekt gegen die Schlafkrankheit leitet. Es gibt aber noch andere Linien, wie z. B. die Darstellung des Tauschhandels nach afrikanischem Modell. Hierin liegt vielleicht auch Köhlers Versuch den gängigen Klischees über Afrika etwas entgegenzusetzen und gleichzeitig seinen eigenen Erfahrung aus der Kindheit nahe zu sein. (Seine Eltern arbeiteten beide in der Entwicklungshilfe eines kirchlichen Trägers und er verbrachte seine Kindheit in Zaire – heutiges Kongo). Die in den Alltäglichkeiten festgehaltenen Umgangsweisen und Erscheinungen geben ein anderes Bild von Afrika: gleich zu Beginn werden riesige Baumstämme von Lastwagen in der Nacht weggefahren. Polizisten verlangen ein Bestechungsgeld. Die an sie herangetragene und ignorierte Bitte keine Waffen mit ins Auto zu nehmen. Ein mit Waren vollgestopftes Auto, das überholt. Südafrikanischer Wein, der genauso viel kostet wie französischer Wein. Ein Verhandlungspartner von Ebbo, der es auf dessen Auto abgesehen hat und für seinen Sohn kaufen möchte, da er annimmt, dass Ebbo es nach seiner Abreise in Richtung Deutschland nicht brauchen wird. Insistierend sich aufdrängend und ihn am nächsten Tag mit Bargeld und Sohn aufsuchend beschimpft er den Wächter sogar noch, dass Ebbo unseriös sei, da er sich nicht einmal an die Verabredung hält, die jedoch zuvor lediglich einseitig eingefordert wurde. In einer anderen Szene kauft Alex (Jean-Christoph Folly) Zigaretten bei einem fliegenden Händler auf der Straße und zeigt sich empört darüber, dass die Zigaretten 600 Franc kosten sollen, wo er doch in Paris noch nicht einmal 10 Euro dafür bezahlt, bis der Händler ihm sagt, dass 600 kamerunische Franc weniger als ein Euro sind. Diese Kleinigkeiten stellen scheinbar den Versuch dar, auf einen größeren Rahmen anzuspielen.
Die Logik des Tausches weist auf die gescheiterte Entwicklungshilfe hin: das ökonomische Ungleichgewicht zwischen Europäern und Afrikaner ist so massiv, dass das Von-den-Reichen-Nehmen als eine Selbstverständlichkeit angesehen wird, die man als Verpflichtung an jene heranträgt. Deutlich wird dies auch an der Reaktion Ebbos gegenüber seinem Stiefvater, der ihn um Geld für seinen Enkelsohn anspricht, damit dieser Studieren kann.
Das Entwicklungshilfeprojekt des Westens scheitert genau an dem Punkt, wo es den Aufbau eigener Strukturen verhindert und lediglich westliche ökonomische Vorstellungen basierend auf materiellen Werten den Afrikanern aufstülpt. Daher verlässt Alex auch gelangweilt den Vortragsraum, da der Vortragende das Modell einer Anbindung Afrikas an den globalen Markt als Lösung vertritt. Das fatale Dilemma, dessen Inkorporation Ebbo ist und in dessen Kielwasser auch Alex kurzzeitig kommt, ist nun, dass ein Zustand des Im-Beobachten-Seins des eigenen Scheiterns erreicht ist. Erfolgreiche Hilfe heißt Einstellung der Projektgelder, die für die Bekämpfung der Epidemie von der WHO zur Verfügung gestellt werden. Dies bedeutet aber auch Abreise aus einem Land, mit dem Ebbo mittlerweile 23 Jahre seines Lebens teilt.
Köhler probiert ein zweistufiges Erzählmodell, das Ebbo in je einem Zustand skizziert: zeigt er sich im ersten Teil als hoffnungsvoll und sehr mit der Landschaft verbunden, so ist im zweiten Teil alle Hoffnung in Zynismus umgeschlagen, dessen Zeuge Alex wird. Sich von den langen Plansequenzen der vorherigen Filme distanzierend und ohne zugleich eine Ruhe einzubüßen, wagt sich der Film auf das Terrain eines schlafwandlerischen Montagerhythmus, in dem der Zuschauer auf jene Gradwanderung zwischen Müdigkeit und Spannung geführt wird, der die Protagonisten so nahe sind. Dies ist in vielen Fällen sicher auch der Arbeit des Kameramannes Patrick Orth zuzurechnen, der zuvor alle Filme Köhlers mitgestaltet hat. Wenn es in dieser Welt eine Resonanz des Blicks in den tiefgrünen Wald gibt, dann in der animistischen Mystik, die die Natur verlebendigt und magisch auflädt. Die Erscheinung des Nilpferds ist die Erscheinung einer Art Waldengel, der Bote jener irrationalen Vielfalt ist, die sich nicht in dem möglichen Selbstmord von Ebbo oder dessen Gefressen-Werden erschöpft, sondern durch die mit dem Jenseits verbundene Geschichte vom gefressenen Arzt eine Facette Afrikas erfahrbar macht, die durch das rationale entwickeln ökonomischer Produktivität in Vergessenheit zu geraten droht. Die besondere Tauschlogik rahmt den Film und hat hier vielleicht auch ihren Kern: zu Beginn wird der materielle Rohstoff Natur mit nächtlichen Leichenwagen aus dem Kontinent gefahren, wobei die Natur als animistischer Hort der Verlebendigung des Unverständlichen, des Mystischen verdrängt wird. Genau jenes verdrängte Unheimliche wird als solches in der letzten Einstellung unmittelbar erfahrbar. Zwei sich einander ausschließende Logiken werden gegeneinander ausgespielt: tauschbasierte Ökonomie und das vielfältige Geschenk der Natur. Der Film belässt diesem Tausch sein Gespenstisches.

Filmtitel: Schlafkrankheit
Produktionsjahr: 2011
Produktionsland: D, NL
Regie: Ulrich Köhler
Drehbuch: Ulrich Köhler
Kamera: Patrick Orth
Schnitt: Katharina Wartena, Eva Könnemann
Darsteller: Pierre Bokma, Jean-Christophe Folly, Jenny Schily
Verleih: Farbfilm Verleih