Aliens berühren und nicht gefressen werden

Super 8 von J. J. Abrams

“Touch of evil” – Dass gerade der zärtlichsten Szene des Films, der Berührung zwischen Joe (Joel Courtney) und dem Alien, ein sprachloses Verständnis zugrunde liegt, macht die eigentliche Gewalt aus innerhalb des Kriegsschauplatzes in Lillian. Der imperativische Nosthalgie-Ritt, auf den die Spielberg sozialisierten Zuschauer nur zu gerne aufspringen, zitiert und rehabilitert eine in Vergessenheit geratene Blockbuster-Tradition der ersten Stunde: die 1970er, ´80er und ´90er Jahre dienen als Referenzfutter für ikonische (also dem Vorbild ähnliche) Versatzstücke. Der Film ist wie eine Zeitreise mitten hinein in den Zenit der Super-8-Amateurfilmerzeit um die 1980er Jahre kurz vor der massenhaften Einführung der VHS und gleichzeitig in eine Art prevolutionäre Spielberg-Zeit, die sich gleichwohl aus der Post-Spielberg-Ära nährt und sich den drei Jahrzehnten der Blockbuster à la Amblin/Dreamworks gezielt bedient. I´m here again, my sons and daughters. Wie erscheint nun dieser Pre-Post-Spielberg-Alter-Ego-Film?

Elle Fanning und Joel Courtney beim Dreh ihres Films im Film, SUPER 8, R.: J. J. Abrams (USA, 2011), Paramount Pictures

Auftakt: Trauer. Ein Arbeiter nimmt von einer “Todestafel” mit der Aufschrift des letzten Unfalltages die ambivalent hohe Zahl von über 700 freien Unfalltagen ab (auch hier fordert die hohe Zahl ja quasi als Zynismus den immer schon bedrohlich über den Köpfen hängenden Tod ein!) und hängt eine 1 drauf. Die Mutter von Joe (Joel Courtney) ist bei einem Betriebsunfall ums Leben gekommen.
Hier sind wir wieder: Vorstadt, BMX-Rad fahrende Jungs, bis zum bersten mit Spielsachen der Popkultur gefüllte Kinderzimmer (hierzu hat Thomas Groh einige interessante Gedanken formuliert.), Aliens, innerfamiliäre Konflikte, Special-Effects, etc. pp. Es scheint, als ob das Spielberg-Universum einer ewigen Kindheit, die immer schon korrumpiert ist, diesmal im Kleide eines paranoischen Krieges auf dem Kinderspielplatz auftritt. Dass die Erwachsenen darin vor allem  als uniformierte Bedrohung für die Kindergemeinschaft auftreten, die sich Kraft eines ritualisiert eingeschworenen Schweigens etabliert hat, ist auch nichts Neues. Man muss es J. J. Abrams zu Gute halten, dass er es schafft in diesem Referenzsystem tatsächlich noch eigene Spuren zu hinterlassen: gerade die katastrophale Entgleisung des schier endlosen Zuges aus Wagons der U.S. Air Force erinnert an den Absturz des Flugzeugs aus dem Pilotfilm der Serie LOST (bei dem Abrams Regie führte). Was selten geworden ist in den Blockbustern des letzten Jahrzehnts: die Schaulust in einer etwas staunend-schockierten Starre  (so wie das Gesicht von Alice (Elle Fanning) zunächst auch nur angesichts des entgleisenden Zuges “starrt”) findet ihr Pendant in den ungewohnt, (relativ) langen Einstellungen der Entgleisung, die selbst wiederum die Kinder immer noch dann verfolgt, als man sie schon aus der Gefahrenzone wähnt. (Ein Videoessay zum zeitgenössischen Actionfilm, der den bordwellschen Begriff “Chaos Cinema” zur Grundlage nimmt, findet sich hier.) Das Spektakel ist nicht einfach ein fragmentiertes Affektgehasche, sondern zielt auf den Schock, der gerade in der Beobachtung liegt. Auch in den ostentativ wiederkehrenden Lens-Flare-Effekten taucht  der Versuch auf, in jenes Spielberg-Referenzsystem eine eigene Handschrift einzufügen (siehe dort auch  im Kommentar den Verweis auf Lense-Flares bei Michael Bay). Dennoch hat nicht nur die Spielbergwelt etwas arg zwanghaftes, sondern auch deren Bezug darauf (auch wenn es ökonomisch ungeheuer profitabel ist) und der Wille zur Ich-Einschreibung.

Den narrativen Rahmen spannt zwar die Bewältigung von Trauer um den Verlust von Joes Mutter und der Unfähigkeit des Vaters (Kyle Chandler) mit diesem Verlust umzugehen. Der Vater ist während der Invasion des U.S. Militärs in seiner Kleinstadt gut mit der Bevölkerung, dem Seargent, der Aufklärung des Vorfalls und Suche nach seinem Sohn beschäftigt. Auf anderer Ebene verhandelt der Film ähnlich, aber ganz anders als Coppola in BRAM STOCERS DRACULA (F. F. Coppola, USA, 1992), den Untergang der guten, alten Art Department Schmiede. Joe ist dann eben auch nicht der Regisseur des innerfilmischen Super-8-Films “The Case”, sondern für Maske und Special Effects verantwortlich. So steht dann die Mise-en-abyme des Zombie-Films nicht nur im Dienste einer Medienreflexion, sondern ist Ausdruck einer technikhistorisch gebundenen Trauer um im verloren-sein begriffene Kindheitserinnerungen. Es wird quasi das Trauma der doppelten Katastrophe (von verlorener Kindheit und Zugunglück) direkt in dem Zombiefilm verarbeitet.

Super 8 ist nicht nur das Medium ihres eigenen Films, auf dem das Alien dann zufällig abgelichtet wird und auf sicherer Distanz gehalten ist. Es wird so buchstäblich zu einer Projektion für die innigste Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Verständnis (auch glücklicher Kindheitsbilder mit der Mutter sind auf 8mm projeziert) mit gleichzeitiger Todesangst: so oder so ist der Mangel immer schon “in Szene gesetzt”. Super 8 ist auch das rettende Medium, in dem die Kinder in der Schule über Dr. Woodwards (Glynn Turman) Unfall-Berührung mit dem Alien erfahren. Bild (Super 8 Projektion) und Ton (Kassettenrecorder) laufen getrennt und implizit formuliert sich hier auch die romantische Vorstellung einer technisch gebundenen medialen Revolution durch den Amateurfilm, der den großen Bruder, den 35mm-Film, einerseits ästhetisch lehrt (wir sind ja in der Schule), andererseits durch die Rahmung (die große Leinwand) von ihm geadelt wird. Solch medienreflexive Anspielungen werden aber – und darin ist Abrams ganz einer Spielberg-Logik zugetan – sofort wieder in einer Ökonomie verpflichtet. Einerseits der pubertären ersten Liebe: sei es das gefühlsduselige Spiel von Alice in der Probe zur Abschiedszene am Bahnhof, oder als Zombie, als der sie Joe neckisch in den Hals beißt/ küsst oder es wird eben jenem kriminologischen Plot der Aufklärung um das Geheimnis von Dr. Woodward zugeschlagen. Diese Ökonomie setzt sich bis in die Sprache der Kinder fort, die von “production values” und “love interests” sprechen.

Der Wandel, den die Figur des Aliens seit E.T. vollzogen hat, bedient sich frei der Popkultur der letzten Jahrzehnte: als eine Art Spinnenhaftes-Subterranien-Ridley-Scott-Alien ist es keineswegs mehr die panzerlose Schildkröte E.T., noch die Technikschlange aus WAR OF THE WORLDS (USA, 2005), noch der archaische Rex. Es hat das entfernte Aussehen von ALIEN (R. Scott, USA, 1979), das Heimweh eines E.T., ein Leben im Einklang mit einer hochentwickelten Technik, räuberische Instinkte und Durchschlagskraft wie der T-Rex, das Gesicht eines Mittelerde Dämons und verkörpert als unterirdische Spezies einen Typus des verdrängten Blockbusters. Gerade die Tankstellen- und Bus-Szene legen Assoziationen zu JURASSIC PARK (USA, 1993) nahe, die apokalyptischen Szenen in Lillian in ihren Totalen an SAVING PRIVATE RYAN (USA, 1998). Man kann dies kritisch-konservativ abtun und ratlos vor dem Kriegsschauplatz sitzen und sich fragen, warum um alles in der Welt, da nun jetzt Kinder in den Krieg geschickt werden und das Ganze dann anstrengend finden. Auch wenn diese Kritik einen gewissen diagnostichen Wert hinsichtlich einer Anästhesierung unserer Sinne hat, ist hier jedoch entscheidend, dass sich die Kinder in einer Katastrophenbewältigung versuchen, eben weil ja gerade Mitleid und Einfühlung auch bereits vor der Katastrophe nicht vorhanden gewesen sind (und ob diese Einfühlung durch die Mutter geleistet werden konnte, angesichts der Kalte-Krieg-Paranoia ist höchst fraglich – so dient denn der Muttertod in gewisser Hinsicht auch nur als Red-Hering für die Motive von Joe & Co.):  in der Mission zur Rettung von Alice, sowie in dem Film “The Case” vermittelt sich der Schmerz des nicht mehr Kindseins eben über das Spiel einer Konfrontation von Gewalt mit dem Zuschauer. Daher erklärt sich auch die schizoide Reaktion der Kinder, die im einen Moment vor Todesschreck benommen, im anderen unbehelligt weiterrennen, reden und handeln können (“I´m in a war zone, I am thursty.”).

Es geht hier nicht um Kinder im Krieg, sondern um den Zuschauer. Das Trauma der Kinder hat bereits vor der Katastrophe der Zugentgleisung stattgefunden: gerade im Ausnahmezustand werden nun jene kompensatorischen Energien frei, die das neurotische Peter-Pan-Syndrom gebärt. Menschen in einer einfach nicht Erwachsen-werden wollenden und doch nicht Kindsein könnenden Welt dessen Fremdes nicht das Alien ist, sondern die Erwachsenen-Welt, sind immer schon in der Gewalt zuhause. Die Alltäglichkeit des Unheimlichen im Gegensatz zum Unheimlichen des Alltäglichen, wie es Friedkin auch schon im EXORZIST (USA, 1973) eindrücklich gezeigt hat. Daher geht die Gewaltlinie wie auch bei E.T. eher durch das Verhältnis von Kind und Erwachsenen. Krieg ist hier die zynisch gewendete Ironie einer Integritätsverletzung als Geschenk der Erwachsenen an die Kinder: “Have a nice summertime!” Auch und gerade der wissenschaftlich-rational-militärisch gerüstete Umgang mit dem Alien macht ES gerade zu eben jener aggressiven Spezies, die sich vor allem bedroht und seiner Freiheit beraubt sieht. Das lässt sich psychoanalytisch fast klassisch ausfalten und stimmig in die Logik des Horror-Genres und der Comics rückbinden. Dabei geht es J. J. Abrams nicht um historische Genauigkeit, wenn er im Fernsehen Nixon auftreten lässt (Jimmy Carter war von 1977-1981 Präsident der USA und der Film spielt in einem Sommer um 1980) und gleichzeitig eine überzeitliche, antidemokratische Kommunismus-Paranoia entfaltet, wie sie bei einer Bürgerzusammenkunft deutlich wird, als eine Frau sagt, dass die militärische Invasion und der Technikraub ein Überfall der Kommunisten sei. Es geht ihm um eine Atmosphäre des Bedrohlichen durch die großen Erwachsenenspiele. Dass diese Kinder von damals unsere heutigen Leistungsträger sind, ist nicht gerade beruhigend.

Lichtreflektionen und Lens-Flares in SUPER 8. Licht und Gewalt des Make-Belief hängen bei J. J. Abrams eng zusammen. Filmstill, SUPER 8, R.: J.J. Abrams (USA, 2011), Paramount Pictures.

Stimmig ist der Film zwar in jener Spielberg-Logik, in der das Alien eine messianische Funktionen einnimmt. Am Ende kann Joe Alice nicht nur befreien und sich von seiner Trauer um den Tod seiner Mutter lösen, er kann das Alien Kraft der Berührung einWANDfrei verstehen. The touch of an alien. In der Berührung löst sich die zuvor konstruierte Linie einer Gegnerschaft zum Alien, dem Fremden schlechthin, in wechselseitige Einhelligkeit auf. Dies auch Dank der nosthalgisch, dann ins pathetisch abdriftenden Musik von Michael Giacchino. Und hier behauptet der Film meiner Meinung nach eine Identität, die die Gewalt des messianischen Willens unverstanden als eine Gewalt für den Zuschauer inszeniert. Dass dies als “berührenster Moment” in technische Perfektion geschieht ist dabei nur noch beunruhigender. Nicht weil es mir um den Anspruch einer rational erklärbaren Kommunikation im Gegensatz zur mystisch-telekinetische Kraft ginge, die hier durch Berührung eintritt, sondern, weil für einen Moment der gesamte Film auf genau diesen apriorischen Punkt zuläuft: es gibt hier die Vorführung einer Schicksalsgläubigkeit (aus der auch die Serie LOST ihre Spannung zieht), die dem Zuschauer in einer sehnsüchtig erwarteten Sensibilität eine Verständnisgleichheit mit dem Alien unterjubelt, die das Alien vermenschlicht (es öffnet die Augen zu einem zarten Blick einer kurz besänftigten Bestie) und Joe veralient (in den Fängen des Aliens nur noch erstarrtes Gesicht). Die Begegnung der Dritten Art schafft eine Glaubensidentität mit dem Zuschauer. Das Make-Believe kommt gerade im Sensibelsten am Stärksten zum Tragen. Auch wenn jener Lense-Flare scheinbar stimmig mit der Abreise des Alienraumschiffs nosthalgisch pathetisch aufscheint, so stellt doch gerade dieses Licht die größte Gewalt für den Zuschauer dar.

Filmtitel: Super 8
Produktionsjahr: 2011
Produktionsland: USA
Regie: J. J. Abrams
Darsteller: Joel Courtney, Elle Fanning, Kyle Chandler, Riley Griffiths, Ryan Lee, Gabriel Basso
Format: 2.35:1
Produktion: Paramount Pictures, Amblin entertainment, Bad Robot
Verleih: Paramount Pictures