Die libidinöse Bindungen der fünf Jugendlichen richtet sich auf je anderes als das vor ihnen liegende. Als ob sie sich selbst dort verpassten, wo sie einander Gedichte vortragen. Das Hemingway-Sechs-Wortspiel ist eher Wettbewerb, denn eine auf die Wirkung zielende Reaktion aufeinander. Am ehesten noch ist das durch Zeitlupe gedehnte imaginäre Ballspiel ein gemeinsamer Punkt. Überhaupt sind Spiele Dreh- und Angelpunkte des Miteinanders. Es dominiert eine Melancholie der Endlichkeit und Verlorenheit, die entweder immer wieder destruiert zu werden droht (die Pistole von Arturo), oder die nicht gehört werden möchte (der Kassettenrekorder von Niki), oder die hinter Gedichte verpackt und versteckt (Felix) oder bis zur Unendlichkeit aufgeschoben wird (Sofia). Einzig Isabel schaut diesem Wissen um Sterblichkeit und Einsamkeit ins Gesicht, ja sie gibt dem ein Gesicht – wie die Weißblende am Ende anzeigt. Ist dieser Film, sein melancholische Element u.a. einem Toten deshalb gewidmet (Kurt Cobain), weil hier mit konstruktiver, elegischer Kamerabewegung eher der Toten gedacht wird als der ohnehin den Tod geweihten Lebenden (daher die Diskussion um Zombies von Arturo)? Die traumatische Verunfallung in einem Sicherheit gebenden Mamaauto schleudert alle zugleich in die eltern- und führerlose Welt eines Waldes, der alle in sich hineinzieht und sowohl die Zeit der Uhr vergessen lässt, wie die lokale Orientierung – denn von Raum kann kaum die Rede sein: der erschließt sich nämlich erst gar nicht. Dies verdankt sich einer schleichend, mitwandernden Kamerabewegung, die immer auf Distanz bleibt und die voyeuristische Unberührbarkeit voll auskostet (wie ein latentes Genrebild wandert die Erwartung mit nun endlich einmal nackte Haut zu sehen zu bekommen – oder ist es doch nur die Antwort auf ein Begehren im Wald, so allein zu zweit?). Kamera und Wald haben ohnehin eine starke Affinität und fast personale Integrität: einmal schwenkt die Kamera mittels eines extrem langsamen Schwenks, der dann im Schnitt etwas beschleunigt wurde, durch den Wald, wodurch Äste, Bäume und das Blattwerk ruckartig zucken. Es wirkt als ob der Wald selbst zum Leben erweckt würde. Affektkino statt Heroinenkult. Der Preis, den der Film dafür zahlt, ist hoch: obwohl kinematographisch angelegt und hochintensiv, findet sich in Deutschland derzeit kein Verleih. Daher das (etwas unwürdige) Quicktime-Screening vor ein paar Dutzend im White-Cube der Kunstwerke. An den Rändern des Kinos taucht eine zentrale Beobachtung wieder auf: eine verirrte und traumatisierte Generation um die 30 schaut der existenziellen Erfahrung eigener Sterblichkeit melancholisch ins Gesicht und hat keinen Zugang zum Zuhause. Eine heimatlos in die wirre Welt geworfene Generation.
Die Stärke des Films liegt auch in der surreal anmutenden Materialität: die Hipster-Second-Hand-Kleidung der Jugendlichen, die im Ländlichen auf Urban-Retro machen, finden in der Kleidung einen unausgesprochenen Live-Style globaler(!) Jungbürgerlichkeit (Mamas BMW ist gut genug). Wenn eine Politik an der Sichtbarkeit des Seins anzusetzen wäre, so blitzte in Isabel, die als einzige eine sichtbare Wunde am Nacken hat, eine Botschafterin durch.
„Tiere währen ewig“, so Jazmin Lopez im Publikumsgespräch auf die Frage, warum der Film LEONES hieße. „Sie haben kein Bewusstsein vom eigenen Tod.“ Ob der Löwe als stärkstes Tier diesem Blick stand hielte…? Sie selbst habe keine Antwort auf ihren eigenen Titel. Rüdiger Suchsland bietet eine interessante Interpretation:
Den Titel, der auf Spanisch natürlich “Löwen” bedeutet, kann ich mir trotz des erwähnten Hinweises nicht wirklich erklären. Am ehesten noch durch den schönen lateinischen Satz “hic sunt leones”, der früher auf alten Landkarten dort stand, wo man nicht weiter wusste, und Leerstellen markieren wollte. Auch Menschen haben ihre Leerstellen und weißen Flächen, ihre inneren Löwen.