Verpasste Schizophrenie und Grausamkeit

ZWEI LEBEN von Georg Maas

Eine sanft schweigende Liv Ullmann als um ihre Tochter betrogene Mutter, die ihren Ort in den Bergmannfelsen von einst hat. Bei der Frage des richtigen Leben im falschen weiß sich der Film als richterliche Instanz auf der moralisch sicheren Seite europäischer Völkerrechtskonvention. Einmal mehr wird das Täter-Opfer-Spiel bedient, die bürgerliche TV-Abend-Rotwein-Kompatibilität in den süffigen Streichern tränenrührselig ertränkt und die Chance einer ästhetisch überformten Schizophrenie fragwürdiger Identität verpasst: Juliane Köhlers Gesicht trägt diese Zerrissenheit zwischen Liebe und Lüge zwar eindrucksvoll, genauso wie das deutungsreiche Schweigen Ullmanns, in dem sich eine Ahnung ihres unauflösbaren Traumas ihres doppelten Tochterraubs vollzieht, aber zu brav und mutlos kommt der Rest der Formenpalette daher. Vielleicht hat man Zugeständnisse im Hinblick auf EU-Fördergeldinstitutionen und die Oscars für den besten ausländischen Film machen müssen. Die grobkörnigen an 8mm-Handkamera erinnernden Rückblenden werden einmal mehr zum Index authentischer Wahrheit eingesetzt und stilisieren völlig unproblematisch eine Vergangenheit herbei, die sich im Grunde gerade allen entzieht. Der Einen durch Trauma, Betrug und schlichte Unwissenheit, der Anderen durch Lügen und Sehnsucht, wieder Anderen durch Vertuschung. Dieser ganz auf die Schauspieler, die Rauheit norwegischer Windfeuchte und die europäischen Rechtsinstanzen vertrauende Film schaut an Ullmanns verschleierten Blick vorbei und interessiert sich eher für das Lügengespinstdrama der Tochter, das einmal aufgedeckt, letztlich in Flammen erstickt wird. So wichtig und richtig die Aufmerksamkeit auf das Thema des Films ist – einerseits die Lebensborn-Kinder in Erinnerung zu rufen, die von ihren Eltern zwecks arischer Erziehung in den 40er Jahren weggenommen und nach Nazi-Deutschland abtransportiert wurden, andererseits auf die skrupellose Einspeisung von IMs in norwegische Familien durch die Stasi -, so wenig interessiert sich der Film für die Form einer doppelten Grausamkeit von Raub und Betrug an der Mutter. Für das vertrackte Begehren der Tochter (Juliane Köhler) zwischen verdrängtem Staatsdienst und Familiensehnsucht schwingt das Melodrama lediglich in Schweigen und Gesichtern. Das ist schon bemerkenswert, wie hier europäische Identität herbeigeweint wird: lässt sich die ganze moralische Dimension der „Wieder-Gut-Machungs-Klage“ tatsächlich auf den europäischen Gerichtshof reduzieren? Taucht im schweigenden Gesicht Ullmanns nicht auch ein Zug von Gnade auf? Der Film entzieht sich nicht nur der ungemütlichen Frage, was eine solche Klage eigentlich sein kann, sondern trägt auch schwer am produktionstechnischen Kalkül auf ein EU-Gewissen, das durch europäische Fördergelder den Film zuallererst in die Kinos spülte.