Paradeproben für den Papstempfang

Die Lage von Thomas Heise

Thomas Heise wirft einen observierenden Blick auf den organisatorischen Ablauf des Papstbesuchs im Sommer 2011 in Erfurt und sucht nach einem ästhetischen Gegenentwurf zur offiziellen Fernsehversion.

Die Ehrenkompanie für den Papst, DIE LAGE, R.: Thomas Heise (D, 2011), Quelle: http://heise-film.de/.

Wie auf einer observierenden Linie parallel zum Papstbesuch in Erfurt 2011 interessiert das Objektiv eine Zugänglichkeit zum Ereignis „Papst“. Die Kamera gibt ständig das Gefühl, dass noch etwas im Kommen sei, oder dass gerade etwas parallel abläuft, was man aber nicht sieht. Peripher und partikulär: davor, danach und nebenbei; dies sind hier die Modi der Kamera. Da wirkt das Bild vom Papst am Ende des Films merkwürdig entrückt, weil es ihn dann doch zeigt, passt aber wiederum auch in die Montage, weil es nichts zeigt: oder nur einen alten Mann in weißer Robe, der bei einer Verlesung einzunicken scheint. Es ist die letzte Station in der Parallele zum imaginären „ZDF-Papst-Ereignis“.

Angelehnt an die Chronologie des Protokolls klebt die Kamera Versatzstücke einer Voreignishaftigkeit mit blinden Flecken der Jetztzeit zusammen. Die Paradeproben für den Papstempfang werden aufgrund der Abwesenheit des Gastes zur komischen Staffage. Ebenso kippt die Gastfreundschaft durch den zwanghaft einstudierten Begrüßungsablauf nach Protokoll um in eine Komik, in der die Spontaneität Preis gegeben wurde. Der Aufbau von Sperrzäunen zur Führung der Pilgermassen, die symmetrische und synchrone Aufstellung der Polizeikolonne, Rettungssanitäter, die einen ohnmächtig gewordenen Pilger wegtragen – periphere Momente, die als solche (auch durch die immer wiederkehrenden schroffen Schreie der Ordnungshüter) erkennbar bleiben. Im Gegensatz hierzu erfahren dann lange Einstellungen wie der Gang eines humpelnden Bühnentechnikers im Regen oder der Blick in die Gesichter des Empfangskommitees eine merkwürdige Eigenpräsenz und -bedeutsamkeit: die physischen Anstrengungen und die psychische Nervosität ist ihnen in den Körper bzw. ins Gesicht geschrieben. Ist dann das Empfangskommittee einmal in seinen syntaktischen Gang gekommen, ist das Ereignis „Papst“ eingekapselt unter der Oberfläche schwarzer Luxuskarosserien und hat sich gewandelt in eine gepanzerte Kontrollkolonne, die den Menschen konserviert. Merkwürdig fällt hier der blinde Fleck der Jetztzeit zusammen mit anderen massenkompatiblen Großereignissen, wie beispielsweise mit der Beerdigung von Michael Jackson.

Kolonne zur Beerdigung von Michael Jackson, Quelle:

Polizeikolonne zur Beerdigung von Michael Jackson, Quelle: http://bit.ly/zqMChQ.

Ähnlich funktioniert auch der puristische Titel des Films. „Die Lage“ greift das technokratisch-militärische Vokabular der Organisatoren auf und verweist damit einerseits auf ein „Es-ist-so-wie-es-ist“, eine vermeintlich „neutrale“ Situation realer Verhältnisse, ein Relationssystem von Umständen, ein Dispositiv der herrschenden Ordnung.

„Das Wort “Lage” kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bezeichnet eine „liegende Lauerstellung“. Es liegt etwas vor. „Eine militärische, eine polizeiliche, eine Sicherheitslage: Die Situation eines militärischen Verbandes in Bezug auf seine Umwelt. Die Gesamtschau der Bedrohung staatlicher Organe oder die Einschränkung der Inneren Sicherheit. Eine Situation, in der von der Polizei ein Handeln gefordert ist, Faktoren und Gegebenheiten im Rettungswesen, die Schadensereignisse und Schadensabwehr beschreiben.“ (http://heise-film.de)

Andererseits kippt der Film völlig um, wenn mit einem Mal durch einen Verschub des Artikels die Assoziation „das Lager“ auftaucht. Dass diese Assoziation nicht allein durch eine semiotische Verschiebung in der Sprache beflügelt wird, zeigt sich in erster Linie durch die Semiotik des Bildes, die von Ordnung, Synchronizität, Symmetrie und einem Testfall spricht. Was, wenn all der Technizismus bis hin zur detailreich durchrationalisierten Gastfreundschaft und der iPhone-Informierung über die gelungene, weil nach Protokoll abgelaufene Begrüßung des Papstes, eine Welt setzt, die bis in den Kern des Sozialen, der Beziehung zum Anderen, vorgedrungen ist und ihn durch die Durchgeplantheit nichts ereilen lässt? Da hilft auch die Nacktheit des Papamobils nichts, die einem gepanzerten Schleier ohne Durchlässigkeit gleicht.

Mit dem zerstörerischen Metaphernfeld des „Lagers“ kommt der Vorwurf des Faschismus auf. Der Papst und die Gastgeber – faschistisch? Das faschistische Element, so zeigen es die Bilder, die Sprache und die Montage, besteht ja gerade in der ordnenden Instanz des Protokolls, dessen Statik der Film gerade entblößt und zeigt, wie der Zufall systematisch rausgeplant wird. Da der Film ja nun mal nicht „Das Protokoll“ heißt, wird noch einmal in der Dynamisierung einer „Lage“ die Möglichkeit einer anderen Darstellungsweise betont und die ästhetische Ebene angesprochen. Die Wahl der in schwarz-weiß gehaltenen Aufnahmen zieht eine konsequente Linie zu poetischen Miniaturen in der Peripherie eines Pop-Ereignisses (die beiden Zuschauer, die auf die Massen blicken). Auf dieser Ebene trägt auch eine Täter-Opfer Dialektik nicht mehr, da Produzent und Rezipient fluchtpunktartig zusammenfallen. Die sprichwörtliche `Ruhe vor dem Sturm´ hat hier den Charakter einer minoritären Perspektive, die gerade darin ihre Relevanz artikuliert.

Insofern müsste man ein boshaftes Akronym, letztlich doch sehr ernst nehmen, da es uns im Staatsauftrag ästhetisch alle eine gelbe Brille à la mode aufsetzt: der „Zweite Deutsche Faschismus“ (ZDF). Die Lagermetaphorik ist ins Ästhetische gewandert, weshalb der Faschismusvorwurf auch nur hier trägt, weil wir als Zuschauer ins Ghetto des medialen Angebots gesetzt sind, ob wir nun wollen oder nicht. Und gerade aus der minoritären Peripherie wird die Statik des Pop-Regimes sichtbar.

Filmtitel: Die Lage
Produktionsjahr: 2012
Regie: Thomas Heise
Kamera: Peter Badel, Robert Nickolaus, Maxim Wolfram
Filmlänge: 73min
Format: HD Cam