Der Auftakt gerät gemächlich. Wagenziehendes Vieh wird durch einen schultertiefen Fluss geführt. Ein weiterer Wagen folgt. Der dritte Wagen ist noch am anderen Ufer. Ein Tross aus sieben Siedlern und einem Führer bricht nach einer Rast am Fluss wieder auf. Mit tiefliegender, fast auf dem Boden und der Wasseroberfläche liegender Kamera dringen die Siedler in die Natur ein. Assoziationen idyllisch anmutender Freiheit erfahren spätestens dann einen Misston, als einer der Siedler in einen toten Holzstamm am Fluss das Wort LOST ritzt. Eine irritierend lange, geisterhafte Überblende zweier Horizontlinien wischt auch den letzten Zweifel beiseite, dass der Tross nun in ein anderes Gebiet vordringt: eins ohne Wasser wie sich bald herausstellt. Und die Suche danach erhellt eine existenzielle Dimension zwischenmenschlichen Vertrauens. In ähnlicher Manier wie in Gus van Sant´s GERRY, dem Kammerspiel unter brennender Sonne, sind auch hier die Horizonte und Landschaften auf Perspektivlosigkeit montiert.
Die einfachen Handgriffe des alltäglichen Vorwärtskommens werden mit ethnographischer Genauigkeit beobachtet: das Auffüllen des Wasserfasses, das Zubereiten des Brotes in der Nacht nach einem langen Marsch, das Aufbauen des Zeltes, das Auffüllen der Kaffeekanne mit Wasser, das Reiben der Kaffeemühle, das Feuerholzsammeln. Nanook im Western. Es sind vor allem die Frauen, die den Tagesablauf rahmen: morgens sind sie die Ersten, die das Feuer entfachen, um Kaffee zuzubereiten, Abends die Letzten, die den Brotteich kneten. Die Männer tuscheln, die Frauen rätseln über deren Diskussionsgegenstand und machen sich selbst ihre meist aus Sorgen getränkten Gedanken zur verzweifelten Lage. So entspricht dann auch die desillusionierende Perspektive auf die Landschaft und tatenschwachen Männer dem cinemascopekastrierten 4:3 Format. Taffe Revolverhelden sind hier eh weit und breit nicht zu sichten. Meek (im Englischen: der Sanfte, Sanftmütige oder auch “der Unterwürfige”, gespielt von Bruce Greenwood) deutet diese Dimension des Western-Genres zwar an, aber eher durch seine primär vorlauten Geschichten als durch Taten.
Überhaupt fallen gerade die Namen recht symbolisch bzw. diagnostisch aus: die beiden Gatelys tragen geradezu ostentativ die Hoffnung auf ein besseres Leben in sich; man müsse nur durch diese Passage aus Staub und Steppe hindurch und hinter´m Horizont des nächsten Hügels eröffne sich ein paradiesisches Panorama. Die Familie White mit schwangerer Frau Glory (Shirley Henderson) und Sohn Jimmy (Tommy Nelson) machen zusammen mit ihrer Bibel das formelhafte Akronym WASP (white-anglo-saxon-protestant) komplett. Durch meist abendliche Gespräche mit ihrem Mann im Kerzenlicht, durch kurze Dialogaustauschsfetzen mit den anderen Frauen und vor allem den Blicken auf Meek, wendet sich der Film der Gedanken- und Gefühlswelt der zur Protagonistin erhobenen Emily Tetherow (Michelle Williams) zu. Begleitend zu einer auf Zusammenhalt hin bedachten puritanischen Gemeinschaft, verweist gerade der Name Soloman Tetherow (Will Patton) auf jene andere Dimension atomisierter Vereinzelung im Mantel biblischer Heilsversprechen. Erhellend ist hier auch ein Interview mit Kelly Reichardt, in dem sie angibt, dass sie Tagebücher von Frauen aus jener Zeit gelesen habe, aus denen ersichtlich werde, in welcher Einsamkeit sie lebten. Ihr sei vor allem jene Notiz einer Frau in Erinnerung geblieben, die ihr Tagebuch für den Fall geschrieben habe, dass ihr Mann sie einmal kennenlernen wolle. Der in seiner Handlungs-, Gesprächs- und Entscheidungswelt an die Männerhorde gebundene Ver-einzelte-mann (tethered – gebunden sein), nimmt in einer Szene seiner Frau kommentarlos den Wasserbecher aus der Hand, gibt ihn ihr sie kurz anblickend zurück und geht dann kommentarlos weiter, sie stehen lassend. Es sind Momente in der Stille, in der die Ambivalenz zwischen dokumentarisch-ethnographischem Anspruch des Beobachtens und den re-inszenierten, mit Bestimmtheit gesetzten Gesten spürbar wird. Auch der wiederkehrende Schock der brennenden Tagessonne erfasst den Zuschauer wiederholt in den harten Schnitten der Szenenwechsel von Nacht zu Tag. Das lässt den Film zwar etwas fransig, spröd-trocken wirken, ist darin aber keineswegs unsympathisch, sondern erhellt dieses gewaltige Leid der Anstrengung und Vereinsamung jener Frauen.
Gerade aus dieser Einsamkeit ausbrechend, versucht sich das noch nicht zur puritanischen Härte gegerbte Gesicht von Michelle Williams ihre Menschlichkeit zu wahren. Ihre Blicke geraten zu einer Art Indikator des gemeinschaftlichen Zusammenhalts und dessen Atomisierung: ihr Misstrauen gegenüber Meek´s Geschichten, in denen sie nur Eitelkeit sehen kann, distanziert die Genrekonvention des Revolverheldens und der zu erobernden Frau um ein Weiteres. In vornehmlich Halbtotalen und Totalen, in zurückhaltender Distanz, ist die Siedlergemeinschaft kadriert. Selten sind wirklich Großaufnahmen im Einsatz und wenn, dass ist es vor allem Emilys Gesicht, das verzweifelt nach Orientierung sucht.
Führt die Bibellesung vor allem die Familie zusammen, gerät das Unglück über den Verlust eines Wagens zu einer Geste des gemeinsam getragenen Schicksals, indem die Tetherows ihr Hab und Gut auf die anderen Wagen verteilen können, so gehen aber gerade bei Richtungsentscheiden des Marsches und der Suche nach Wasser die Meinungen der Männer, denn nur sie bilden den Diskussionskreis, auseinander.
Der gefangene Indianer (der namenlose Fremde gespielt von Rod Rondeaux) wird zu einem Menetekel der WASP-Gemeinschaft. Sofort erschießen, er wird gewiss nicht allein sein. Nein, er weiß bestimmt wo Wasser ist und wird uns dort hin führen. Während Meek sich aus Autoritätsgehabe ihm gegenüber vor allem misstrauisch und hasserfüllt zeigt, erhofft sich Emily den Indianer durch zärtlich-zuneigende Gesten gefügig zu machen. Sie bringt ihm Brot, das er wieder ausspuckt, Wasser, das er trinkt, näht ihm die kaputten, stinckenden Schuhe, die er undankbar wieder entgegennimmt. Ein Gestenkampf um Vertrauen, um den Funken einer Hoffnung sich auf jemanden verlassen zu können, wenn schon der eigene Führer keine Orientierung mehr hat und der eigene Mann (der nebenbei gesagt auch ihr Vater sein könnte!) nur zähneknirschend, mit letzter Kraft sich Hoffnung einredet.
Sehr konsequent endet der Film, in der alle Register in einen Fluchtpunkt implodieren: aus der Landschaft spricht immer mehr die Enttäuschung über das promised land, die Gemeinschaft ist bis zur Aufgabe patriarchaler Prinzipien zersplittert und die Ineinssetzung von Hoffnung und Misstrauen im Indianer vollzogen.
In der Stille der ethnographischen Beobachtung, der Diskontinuität der Montage, in dem Blick von Emily, der überblendeten, desillusionierenden Landschaft, in dem Misstrauen und in der Verlorenheit – klingen Parameter, Themen und Perspektiven an, die einer Politik zuspielt, die sich gegen den Macho-Western und der Engführung von Freund/ Feind-Schemata à la 3:10 TO YUMA richtet und diesem durch eine eigenständige, vielleicht als “feministisch” zu bezeichnende Perspektive umschifft.
Die staubig-fransig, reserviert-distanzierte Ästhetik der Mise-en-scène entspricht hierbei jener puritanischen Weiblichkeit, die ebenso an ihren Platz verwiesen ist wie der Zuschauer. Gerade darin liegt die Stärke des Films: den Zuschauer am weiblichen Leidmarsch teilhaben zu lassen.