Eine Hauseingangspassage des 19. Jahrhunderts entlässt einen nur durch eine Glastür getrennt direkt ins 21. Jahrhundert: Generali Foundation Wien. Wie eine in die imaginäre Hinterstube gesetzte Blase entfaltet die Ausstellung jenes Problem, das die Architektur als Rahmenbedingung wiederholt. Die zurückhaltende Architektur gibt ihrerseits das Beste, um den Exponaten ihren Raum zu geben: Weitläufigkeit und das Gefühl selbst Entdeckungen machen und sich nach einer eigenen Dramaturgie durch die Ausstellungsräume bewegen zu dürfen.
Animismus. Moderne hinter den Spiegeln ist ein von Anselm Franke kuratiertes Projekt über das Verhältnis von Mensch und Ding als identitätsstiftende Relation, sowie über „den Vorrang Kommunikation“. Damit rückt der Animismus in die Nähe eines Medienverständnisses, das die Präsenz bzw. die Tatsache des Kommunizierens in den Fokus rückt und nach dem Charakter der dadurch hergestellten Beziehung fragt. Damit geht es nicht allein um die diversen ästhetischen Erscheinungsformen, sondern um eine durch u.a. anthropologische und ethnographische Methodiken geförderte Perspektive auf das Verhältnis von Mensch und Ding, Natur und Kultur, Mensch und Maschine und damit um diejenigen Dichotomien, die erst durch epistemologische Verfahren hergestellt worden sind. Es geht um ein Aufzeigen, um ein Sichtbarmachen eines Weltbezugs, der immer schon animistisch ist, aber durch die Rationalisierungsverfahren der westlichen Welt ins Imaginäre oder Unbewusste verschoben wurde. Wenn es nicht allein um einen kunsttheoretischen Diskurs geht – wieso ist die Ausstellung dann selbst blasenartig ins Wiener Hintertreffen geraten und selbst an einem Sonntag kaum besucht?
Das ist wohl ein melancholisches, aber strukturbedingtes Paradox, dem die Ausstellung nicht nur allein auf der institutionell-architektonischen Ebene begegnet: die Relevanz (hinsichtlich einer auf Alternative und Zukunft hin orientierten Bedeutung) und gleichzeitig die Schwierigkeit der Ausstellung liegt in der nur mit enormer Anstrengung wahrnehmbar zu machenden Konstituierung der Welt durch Medien. Dies kehrt in den Exponaten als ausgestellte Reflexionen auf den musealen Rahmen genauso wieder wie in dem Film von Alain Resnais und Chris Marker über afrikanische Masken. Les statues meurent aussi (1953) zeigt die aus ihrem Kontext gerissenen afrikanischen Masken als Ware auf einem Museumsmarkt.
Die hervorragend kuratierte und divers medial aufbereitete Ausstellung sprengt eine erfrischende Schneise durch den Multiperspektivismus der auf Selbstreflektion versessenen Moderne. Ihr Fluchtpunkt bildet zugleich einen mythischen Ursprung aus dessen Quell all jene Dichotomien entsprungen sind, denen wir uns tagtäglich „da draußen“ bedienen. Keineswegs ist hierbei der Ursprung selbst zu erfahren, sondern „bloß“ ein Versuch zu ihm Zugang zu erhalten. Dass das ALPHA des griechischen Alphabets als Zeichen allein auf die Artikulation jenes Buchstabens verweist und somit in semiotischer Hinsicht referenzlos dasteht, wird in einer interaktiven Installation als Meilenstein in der evolutionären Morphologie menschlichen Weltbezugs dargestellt. Nicht der Totentanz an sich, nicht das Skelett, nicht die Musik sind in dem Fluchtpunkt, sondern deren synchronisierter, zu einer gruselig schönen Harmonie abgestimmter, metamorphotischer Linienrhythmus.
Die Schneise legt den Bezug frei zu den Utopien der im Zuge der Studentenrevolutionen entstandenen Gesellschaftskonzepten, die sich ebenfalls die Frage gefallen lassen müssen, inwiefern sie noch in ihrer Kritik und alternativen Gesellschaftskonzepten Dichotomien reproduzieren, auf denen jene Gesellschaften basieren, die sie vorgeben zu kritisieren. So irritiert die Präsenz von Bildern der Studentenrevolten in dem per DIA projizierten Karikaturenzyklus – reihen sie sich in die Karikaturen ein, so sind sie nicht weniger Zerrbilder als ihre Träume und Utopien.
Hinein ins französisch-intellektuelle Setting mit Rotwein und Angela Melitopoulos und Maurizio Lazzarato´s ASSEMBLAGES (2010), das dem Zuschauer durch Konfrontation mit drei Projektionen einen vielschichtigen Assoziationsraum anbietet und so die zentralperspektivische Subjektkonstitution unterläuft. Die Ausstellung, die unter anderem Frucht der Dissertation von Anselm Franke ist und 2010 in Antwerpen war, wird im kommenden Jahr im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zu sehen sein. Im geistig-kulturellen Herzens Wiens wird der Psychoanalyse besondere Aufmerksamkeit geschenkt und als fragwürdiger Operator eines Subjektverständnisses neu verhandelt. Hier geht es weniger um die Frage nach der gesellschaftlichen Integration des Subjekts, als vielmehr um den Gedanken, dass Subjektverständnis und gesellschaftliche Konstitution miteinander in Verbindung und keineswegs in einem Hierarchieverhältnis zueinander stehen, bei dem der eine dem anderen die passive Rolle zuschreibt. Es geht um neue Linien quer durch die Dichotomien und hinein in ein viel problematischeres Verhältnis, das nur als Beziehung und Präsenz in Erscheinung tritt und aber genau darin nicht repräsentiert, sondern „bloß“ wach gehalten werden kann. Ein „Bloß“, das wie Anselm Franke im sehr informativen, quellenreichen und exzellent aufbereiteten Katalog anmerkt, nur schwer überschätzt werden kann. Es geht im Grunde um dieses Wachhalten eines Spannungsverhältnisses, das durch sämtliche Medien, allen voran der Sprache, selbst immer wieder droht verdeckt zu werden und ihm meist auch widerfährt. Vielleicht ließe sich die Methodik über eine Art „Präsenz-Sichtbarmachung“ antriggern.
Hindurch hinaus in eine Welt mit Alternativen neuer Weltbezüge. Das einzige, woran die Ausstellung tatsächlich zu scheitern droht, ist diese Passage. Letztlich manifestiert die Architektur, was durch die Medien verdeckt zu werden droht – oder aber dem Geist widerfährt ein Wandel: dann transformiert sich der Geist diesseits der Glastür in ein Geschoss, das sich aus dem Gewehrlauf der Wiener Passage in die Welt entlassen und hier in dieser Mumifizierungspraxis Text als Fluchtpunkt fortgesetzt sieht.
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Animismus – Moderne hinter den Spiegeln. Animism – Modernity through the Looking Glass.
Katalog: 35,00€
Verlag Walther König, Köln