Mitte der Neunziger Jahre: Mark Renton, der einzige aus der legendären schottischen Druffi-Clique um Sick Boy, der es wirklich weg von den Drogen geschafft hat, macht sich nach einem dicken Heroin-Deal mit einem Koffer voller Geld davon und lässt seine drei Kumpels in einem Hotel in London zurück. Zwanzig Jahre später ist der Held aus Danny Boyles Kultfilm TRAINSPOTTING zurück in Edinburgh, um seine Rechnung zu begleichen. Dort hat sich in seiner Abwesenheit zwar Einiges verändert, seine alten Freunde sind jedoch immer noch dieselben.
Auch für die Berlinale ist es ein Wiedersehen nach fast zwanzig Jahren: Im Jahr 2000 präsentierte Danny Boyle hier THE BEACH, zur 67. Berlinale ist er zurück auf dem roten Teppich und präsentierte T2 TRAINSPOTTING im Berlinale Wettbewerb außer Konkurrenz. Der Film basiert locker auf den Romanen „Trainspotting“ und „Porn“ des schottischen Schriftstellers Irvine Welsh. Schon lange stand für Regisseur und Oscarpreisträger Danny Boyle (SLUMDOG MILLIONÄR, 28 DAYS LATER) außer Frage, dass er jederzeit eine Fortsetzung seines Überraschungserfolgs „Trainspotting“ aus dem Jahre 1996 über die schottischen Underdogs drehen wollte. Diesem Unterfangen stand neben diversen Serien-Engagements der ehemaligen Besetzung – Johnny Lee Miller (‚Sick Boy‘ aka Simon) spielte unter anderem in DEXTER – angeblich auch die mehrjährige Funkstille zwischen ihm und Renton-Darsteller Ewan McGregor im Wege, dessen Rolle in dem Film seinen internationalen Durchbruch markierte. Dieser war damals wohl sauer darüber, dass Boyle in THE BEACH die männliche Hauptrolle Leonardo di Cabrio und nicht ihm gegeben hatte.
Nun hat sich die Truppe wieder vereint zu einer nostalgischen Reise quer durch die Vergangenheit und Gegenwart des nächtlichen Edinburghs.
T2 TRAINSPOTTING beginnt laut, schnell und atemlos: In Amsterdam haut es Mark Renton (Ewan MCGregor), bei dem es irgendwie zu laufen scheint (Ehefrau, Job in der Buchhaltung und keine Drogen mehr), im Fitnessstudio vom Laufband und er erinnert sich an seine alten Fußball-Kumpels aus Kindheitstagen: Simon aka ‚Sick Boy‘ (Johnny Lee Miller), ‚Spud‘ (Ewen Bremner) und Francis ‚Franco‘ Begbie (Robert Carlyle), die wir als Truppe saufender und prügelnder Junkies in TRAINSPOTTING kennen und lieben gelernt haben. In schnellen Schnitten wechseln sich Bilder aus der Kindheit mit Filmausschnitten aus TRAINSPOTTING und Szenen aus der Gegenwart der sympathischen Loser-Truppe ab. Simon hat den alten Pub seiner Tante übernommen und mit seiner jungen bulgarischen Freundin als Lockvogel eine mehr schlecht als recht laufende Erpressernummer am laufen, mit der er regelmäßig ein paar schottische Geschäftsleute um ein paar Tausender erleichtert. Vom Heroin ist er weg, investiert aber den Großteil seiner Einkünfte in Kokain und Haarfärbemittel, während seine junge Freundin von einer Karriere als Puffmutter träumt. Begbie ist gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen und versucht bei seiner Familie wieder Anschluss zu finden und seinen unwilligen Sohn zu einem ehrlichen Einbrecher auszubilden. Und bei Spud ist eigentlich alles wie gehabt: Die 4.000 Pfund, die ihm Mark damals hinterlassen hatte, hat er natürlich in Heroin angelegt und es nach all den Jahren nicht wirklich geschafft von dem Stoff weg zu kommen.
Als Renton wieder auf den Plan tritt, freut sich erst einmal nur Spud, dessen Selbstmordversuch er in letzter Minute vereitelt. Simon zerlegt zur Begrüßung zunächst einmal die Inneneinrichtung seines Pubs und Begbie sinnt auf tödliche Rache. Als Mark, der in Amsterdam seinen Job verloren hat, dessen Ehe vor dem Aus steht und der eigentlich nichts zu verlieren hat, sich von Simon schließlich überreden lässt in sein „Sauna“-Bordellprojekt mit einzusteigen, beginnt ein rauschhafter Trip durch die gentrifizierten Nächte Edinburghs, mit Exkursionen in konservative Royalistenpubs und auf Hipster-Motto-Parties. Das Ganze wird getragen von einem Soundtrack, der neben jüngerem schottischen Hip Hop des Trios „Young Fathers“ auch geremixte Klassiker von Iggy Pop oder das psychedelische „Born Slippy“ von Underworld motivisch wieder aufnimmt.
T2 TRAINSPOTTING ist ein Schwelgen in alten Erinnerungen, immer wieder zitiert der Film seinen Vorgänger, zeigt Ausschnitte daraus und Rückblenden in die Kindheit der Truppe. „You’re a tourist in your own past.“, er sei ein Tourist in seiner eigenen Vergangenheit, sagt Simon zu Mark. Einer Vergangenheit, der Spud, motiviert von Simons Freundin Veronika und auf der Suche nach einer Alternative zur Sucht mit seinen aufgeschriebenen Erinnerungen ein Denkmal setzt. Setzte „Trainspotting“ eher beiläufig der Stadt ein Denkmal, so tut es Danny Boyle hier ganz bewusst und kontrastiert die verwinkelten Straßen der Altstadt, mit den trostlosen Hochhaussiedlungen aus den Randgebieten mit dem fantastischen Bergpanorama „Arthur’s Seat“ vor den Toren der Stadt.
T2 TRAINSPOTTING steigt unheimlich stark ein, wartet mit ein paar schönen visuellen Spielereien auf und bietet eine erwartbare aber im Vergleich zum Vorgänger relativ brav gewordenen Portion an Geschmacklosigkeit – es wird kurz, aber dafür sehr heftig gekotzt. Die Dialoge sind schnell und witzig und haben dabei nichts von ihrem rauhen schottischen Charme verloren – und dennoch weist der Film ab der Mitte einige Längen auf. Die vier Männer sind ein wenig in die Jahre gekommen, sehen für Ex-Junkies aber dennoch ein bisschen zu fresh aus (oder hatten einen fantastischen Zahnarzt), sind enttäuscht vom Leben und der verratenen Freundschaft, um an das große Geld zu kommen, werden keine Drogen mehr vertickt, sondern ein Antrag für eine EU-Förderung gestellt. – Ist das vielleicht als ein kleiner, aber feiner Seitenhieb der Schotten auf die jüngere britische Brexit-Politk zu verstehen? –
Veronika, die so genannte Freundin von Simon – die natürlich schon längst mit Mark Renton ins Bett geht – bringt es gleich zu Beginn auf den Punkt: „Nostalgia. – That’s why you’re here.“ Und Nostalgie, das ist wahrscheinlich auch der Hauptgrund, warum wir hier sind, im Kinosessel.
Aus „Choose Life“, dem ironischen Mantra der Junkies von einst, wurde „Choose Facebook, Twitter, Instagram and hope that someone, somewhere cares.“ – Wähle Facebook, Twitter, Instagram und hoffe darauf, dass es irgendjemanden irgendwo interessiert.
Social Media als das Heroin der Gegenwart.