Der Film beginnt mit einer Baustelle in Berlin. Diese Baustelle steht symptomatisch für den Beziehungsstatus der im Film beschriebenen Figuren. Michael ist Bauingenieur und verantwortlich für ebenjene Baustelle. Als er erfährt, dass sein Vater gestorben ist, eröffnet ihm seine Freundin anschließend, dass sie für ein Jahr als Korrespondentin nach Washington gehen wird. Für ihn kommt das einer Trennung gleich. Seine Schwester will ihn zur Beerdigung des Vaters nicht begleiten und so sind es schließlich nur er und sein Sohn Luis, die gemeinsam in den hohen Norden fliegen, dorthin, wo es im Sommer immer hell ist. Hier im Norden Norwegens hat der Großvater, zurückgezogen von Freunden und Familie, seine letzten Jahre verbracht. Hier möchte er auch beerdigt werden. Auch er hatte kaum Kontakt zu seinen beiden Kindern.
Michael ist einer dieser Männer, die nie so richtig gelernt haben, Gefühle wirklich auszudrücken, der komplizierte Fragen überhört und den der Umgang mit Menschen reizt. Er möchte diese Reise nutzen, um sich seinem Sohn Luis ein wenig anzunähern. Luis hingegen wollte nur raus aus der Provinz: „Ich bin nicht wegen dir hergekommen – ich wollte Opas Haus sehen.“
HELLE NÄCHTE ist nach IM SCHATTEN von 2010 und GOLD, den Thomas Arslan 2013 im Wettbewerb der Berlinale präsentierte, sein dritter Versuch einer filmischen Dekonstruktion des Genrefilms. Widmete er sich mit IM SCHATTEN dem Krimi und mit GOLD dem Western, nimmt der Regisseur sich in „Helle Nächte“ nun des so genannten Roadmovies an. Im Roadmovie steht die Reise metaphorisch immer auch für eine Suche, meistens nach so etwas wie Selbsterkenntnis, Freiheit oder Identität.
Auch hier befreit Thomas Aslan den Roadmovie von jeglicher Ausschmückung. Im Prinzip ist „Helle Nächte“ nicht mehr, als das, was er verspricht – eine Reise zweier Menschen, die auf der Suche sind, sich jedoch schon zu weit voneinander entfernt haben. Sie sind hauptsächlich unterwegs, sprechen meistens mehr oder weniger genervt aneinander vorbei und finden weder zu sich selbst noch so richtig zueinander. Luis ist pubertär und hat keinen Bock auf gar nichts. Michael sucht auf seine spröde Art immer wieder das Gespräch, scheitert jedoch an seiner eigenen Unfähigkeit zur Kommunikation. Und genau darin sind sich diese zwei Menschen eigentlich so ähnlich und doch schrammen sie immer wieder gezielt aneinander vorbei. Luis, gespielt von Tristan Gölbel, der erst vor kurzem in dem ganz anderen Roadmovie TSCHICK von Fatih Akin zu sehen war, lässt sich zwar noch auf die gemeinsame Autoreise mehr oder weniger ein, auf eine dreitägige Wanderung ohne Auto hat er jedoch ganz und gar keine Lust. Eines Morgens, Luis ist verschwunden und Michael irrt, komplett übernächtigt, verzweifelt quer durch das norwegische Grün – schon längst weiß man nicht mehr so genau, ob es jetzt eigentlich ganz früh am Morgen, helllichter Tag oder mitten in der Nacht ist – als es ihn der Länge nach hinstreckt ins nordnorwegische Moos.
Tiefer kann er jetzt eigentlich nicht mehr fallen. Jetzt kann es nur noch bergauf gehen. Geht es aber nicht.
Es gibt sie zwar die ganz kurzen Momente der Annäherung, ein schneller Blick, eine kurze Berührung und dann diesen einen irgendwie so ganz eigenartigen Vater-Sohn-Moment, der angesichts der emotionalen Distanz, die zwischen diesen beiden Figuren herrscht, befremdlich wirkt.
Die von Kameramann Reinhold Vorschneider aufgenommenen Naturaufnahmen sind überwältigend – fantastische Waldpanoramen, einsame Landstraßen, Wälder und Fjorde wechseln sich ab mit ein paar wenigen Bildern menschlicher Interaktionen. Höhepunkt des Films ist eine einsame Autofahrt, minutenlang sieht man einfach nur die befahrene Straße, aus dem Auto heraus gefilmt. Unterlegt von einem hypnotischen Soundtrack von Ola Fløttum, verdichtet sich der Nebel zunehmend, bis alles in dem wabernden Weiß zu verschwimmen droht.
In HELLE NÄCHTE legt sich keine der Figuren auf etwas fest, alles bleibt im Fluss und irgendwie im Nebulösen und doch bleibt der Film darin sehr vorhersehbar. Michael und Luis sind Gefangene ihrer selbst, so etwas wie eine Weiterentwicklung – klar, die gibt es schon, zumindest andeutungsweise – aber auch darin bleibt die Handlung relativ berechenbar.
Man kann sich fragen, ob diese radikale Reduzierung des Genres auf seinen grundlegenden Zustand – das reine Unterwegssein – kunstfertig oder vielleicht einfach ein wenig uninspiriert ist. „Helle Nächte“ bietet handlungstechnisch keine Überraschungen, aber dafür großartige Naturaufnahmen.
Für die Rolle des Vaters in HELLE NÄCHTE erhielt der österreichische Schauspieler Georg Friedrich, der mit seiner Rolle des Erich in Josef Haders Regiedebüt WILDE MAUS gleich zweimal im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale vertreten war, den Silbernen Bären als bester Hauptdarsteller. Und tatsächlich ist es vor allem der starken Präsenz Friedrichs, der absoluten Glaubwürdigkeit mit der er die hilflose Emotionalität und verzweifelte Kommunikationsunfähigkeit seiner Figur transportiert, die die Handlung des Films trägt.