In einer streng observierenden und strukturalistischen Haltung zum ethnographischen Gegenstand – der Moschee im Post-9/11-Amerika – setzt der Film die Spannung zwischen dem Profanen und dem Heiligen durch Fokussierung auf den Raumwandel in Szene.
Der Ort erinnert auf den ersten Blick an den Eingang einer U-Bahnstation. Nackte Betonsäulen tragen eine mit hängenden Neonröhren bestückte Decke, die den Blick auf die Gebäudeinfrastruktur an Rohren und Kabeln freigibt. Zwei Männer beginnen damit, eine riesige blaue Plastikfolie zu entfalten, die schließlich zusammen mit anderen Folien den Boden des Raums ausfüllen werden. Der einst rot patinierte Boden verwandelt sich in ein blaues Plastikmeer.
Einzig die Takke, die Gebetsmütze einiger Männer, gibt ein Zeichen für den Sinn dieser Entfaltung. Es ist in aller Profanität die Vorbereitung auf das allwöchentliche Freitagsgebet in einem zu einer Moschee umgestalteten Multifunktionsraum. Wir werden also Zeuge der Transformation eines Raumes in einen Ort des Heiligen, einer Transzendenz auf reinlichem, blauem Plastik, zwischen grauen Betonpfeilern und vom Zahn der Zeit patinierten grau-weißen Betonwandflächen.
Die wenigen Schnitte des Films, es sind vier, zeigen die Episoden des Freitagsgebets: Vorbereitung der Zeremonie, Einlass der Gläubigen, Gebet, Abgang der Gläubigen und Aufräumen des Ortes. Obgleich der mittellange Film einen ruhigen Rhythmus in Ablauf und Schnitt findet, geschieht im Gewusel der Gläubigen – natürlich einzig Männer – so vieles, dass die suchenden Augenbewegungen eine erwartende Langeweile aufkommen lassen, in der der Kontakt zum Geschehen gesucht wird. Die vereinzelten Seitenblicke einiger Männer in die Kamera verstärken die Präsenz der Anwesenheit sowohl der Kamera als auch des Filmemachers. Am Ende wird dieser gar von einem Gläubigen, der den Raum verlässt angesprochen: „Are you still working?“ Das ganzkörperliche Engagement zeigt sich hier nicht in einer sensiblen Kameraführung am menschlichen Körper (wie beispielsweise bei den Dardenne Brüdern oder der suchenden Tastbewegung in Robert Gardners Langfilmen), sondern räumt dem Menschen eine allenfalls beiläufige Position ein. Arbeit ist hier Arbeit an flüchtigen Transformationen. Die strenge Kadrage, aus der Raumecke, eine Fluchtlinie in der linken Bildhäfte bildend, und in leichter Obersicht über die Köpfe der Gläubigen hinweg erlaubt eine Übersicht. Vor dem Gebet bedurfte es wohl einer Umstellung der Kamera, denn nun gibt sie leicht nach rechts versetzt auch den Blick auf eine weitere Säule frei. Ein Zugeständnis an die lokalen Bedingungen der Gläubigen, die schlicht Platz für ihre Jacken, Mäntel und Taschen benötigen. Der Raum ist gefüllt mit Männerkörpern. Wieder eine Transformation.
Der Raum lässt den Geruch transpirierender Männer erahnen. Es wird gehustet, sogar im Gebet gerülpst und im Hinundherrücken nach dem je individuellen Platz gesucht. Der Imam setzt zum Gesang an: wieder eine Transformation, die sich nun eine entmaterialisierte Form durch die Musik und dem Innehalten der Gläubigen angenommen hat. Solche Raumwandel zwischen dem Heiligen und dem Profanen sind träge. Ein Gläubiger liest selbst dann noch (im Koran?) weiter als bereits die letzte Plastikfolie abgeräumt wird. Offensichtlich gibt es ein festes Zeitfenster für Auf- und Abbau. Als am Ende die blauen Folien wieder zusammengelegt sind, die meisten Muslime den Raum verlassen haben, gelangt der Raum zu seiner nächsten Nutzung: Es werden zwei Tischtennisplatten aufgebaut. Nach dem Gebet wird Pingpong gespielt.
Das Heilige und das Profane: Die Glaubensgemeinschaft improvisiert in Brooklyn ihre Moschee gegen alle Widerstände und erschafft dem Gebet eine Bühne: Der Titel verweist damit nicht allein auf die Bühnen New Yorks und nicht nur auf den früheren Ort der Moschee, sondern auch auf die performative Dimension des Gebets.
ON BROADWAY ist Aryo Danusiris erste Arbeit am Sensory Ethnography Lab. Zuvor hat der aus Indonesien stammende Filmemacher sich vor allem mit Dokumentarfilmen einen Namen gemacht, die in die finstere indonesische Geschichte schauten und als eine Art Vorläufer des einschlägigen THE ACT OF KILLING von Joshua Oppenheimer gelten können. ON BROADWAY zeigt innerhalb der sensorischen Ethnographie einen Shift von der observierenden Kamera zu einem strukturalistischen Ansatz. (Und stellt nicht SWEETGRASS von Lucien Castaing-Taylor von 2009 einen weiteren Shift aus dieser mittleren Phase in Richtung eines essayistisch-poetischen Ansatzes dar, dessen prägendster Vorläufer vermutlich Gardners FOREST OF BLISS gewesen ist?) Wie auch immer man hier eine Filmhistorie innerhalb der sensorischen Ethnographie skizzieren möchte – wesentlich bleibt die Anerkennung und zugleich ästhetische Formung der Präsenz des Filmemachers, der in den meisten Fällen mit wenig Assistenz in Personalunion Kamera, Sound und Schnitt durchführt. Die Filme erhalten auf diese Weise eine enge Bindung an den Körper des Filmemachers. Das kann auch bei strukturalistischen Ansätzen nicht geleugnet werden. Engagement, Verantwortung, Sensibilität und Erfahrung sind in dieser Hinsicht konstante, dokumentarische Tugenden sensorischer Ethnographie. Es geht hierbei offensichtlich weniger darum, Antworten auf die Frage nach dem Sinn des ethnographischen Objekts zu geben, sondern Möglichkeiten zu schaffen, in denen Fragen überhaupt erst formulierbar werden. So ist die vielleicht stärkste Frage in Aryo Danusiris Experiment die nach der Möglichkeit der Bewahrung des Sakralen gegen alle Widrigkeiten des Profanen.