„Boring life of a boring person“

Berlinale Forum, HOW HEAVY THIS HAMMER

Kazik Radwanski gewährt uns in HOW HEAVY THIS HAMMER einen hyperrealistischen Einblick in das langweilige Leben eines langweiligen Menschen.

Im Mittelpunkt des Films steht Erwin – Familienvater, ein Haus, eine Frau, zwei Söhne, zwei Hunde und 90 Pfund Übergewicht. Der Film beginnt da, wo er auch enden wird, mit einem Online Fantasy Game.
„I‘m in the middle of a battle!“, ruft er, als seine Frau ihn zum Abendessen bittet. Sein eigentlicher Kampf ist jedoch sein Alltag, sein Job und die täglichen Auseinandersetzungen mit der Frau und den Kindern. Diese erträgt er eher passiv-aggressiv. Ausgleich bietet ihm der Sport, beim Rugby kann er seinen unterdrückten Aggressionen freien Lauf lassen und wenn es ihm dort zu anstrengend wird, erfindet er irgendwelche privaten Verpflichtungen, um sich dann im nächsten Schnellrestaurant noch ein Pommes-Burger-Cola-Menü zu genehmigen, bevor dann Zuhause beim familiären Abendessen oder dem Fernseher weiter gegessen wird.

How Heavy This Hammer  © Mark Peckmezian

How Heavy This Hammer © Mark Peckmezian

Erwin ist so, wie er aussieht: Ein Mensch ohne Selbstkontrolle, unbeweglich, unfähig zu jeglicher Form der Selbstreflexion. Das meiste um ihn herum passiert einfach irgendwie, er ist mehr unbeteiligter Zuschauer, als aktiver Teilnehmer seines Lebens und gegen die ihn permanent überfallende Müdigkeit, kämpft er gar nicht erst an.
Ein Ausbruchsversuch und seine Bemühungen um so etwas wie einen Neuanfang scheitern letztendlich an seinem festgefahrenen Charakter und seiner Unfähigkeit zu Empathie oder emotionaler Öffnung.

Diese in extremen Nahaufnahmen und ohne Rücksicht auf Verluste gefilmte Persönlichkeitsstudie erlaubt auch auf der visuellen Ebene keinerlei Öffnung: HOW HEAVY THIS HAMMER zeigt den Kreislauf eines Stillstandes, eines bewegungsunfähigen Menschen in einem relativ einseitig mobilen Milieu – denn abwärts geht es ja immer irgendwie.
Nikolay Michaylovs Kamera weicht den Personen nicht von der Seite, gnadenlos wird jedes Detail von Erwins Fastfood-Body enthüllt. Ich muss an mehreren Stellen lachen. Das ist mir aber eigentlich total unangenehm, denn ich weiß, ich lache über die Figur. Von oben herab, genau so, wie wir alle damals über den „Big Tasty“-Jungen gelacht haben.

Kazik Radwanski gelingt es, die Geschichte einer Person zu schildern, die wir alle irgendwoher kennen. Das ist die Person, die uns dabei hilft, uns besser zu fühlen, weil wir regelmäßig Laufen gehen und mit dem Rauchen aufgehört haben. Erwin inkorporiert das junkfooddegenerierte Konzept nordamerikanischer und im weitesten Sinne „westlicher“ Männlichkeit, das noch aus einer Zeit stammt, als der Metabolismus noch der eines Computerspielenden, Skateboardfahrenden, Colatrinkenden, Pizza essenden und vornehmlich schweigenden Teenagers war: Gemüse ist nur was für Hasen, sagt Erwin zu seinem Kumpel, dem Barkeeper und verzieht sich mit seiner zweiten Portion Pommes wieder an den Computer. Über Gefühle sprechen, das geht gar nicht, ist immer alles irgendwie okay oder eh egal. Gefühle zeigen, das geht nur mit den Hunden und wenn im Auto flämischer Romantikpop läuft.
In all seiner Schwammigkeit verkörpert Erwin die Geschlechtslosigkeit eines mittelschichtigen Coke-Zero-White-Trash, der irgendwie nicht erwachsen werden kann.

HOW HEAVY THIS HAMMER ist ein sehr gut beobachtetes in Low-Budget-Manier gedrehtes und von Erwin Van Cotthem sehr überzeugend gespieltes Porträt eines Menschen ohne Pointen und mit seinen 75 Minuten auch gerade noch nicht zu lang, als dass man im Kino einschläft.
International hat der Film als ungewöhnliches Indie-Drama ja vor allem lobende Worte bekommen, mir ist das aber irgendwie zu einfach, weshalb ich mir noch etwas unschlüssig bin, wie ich die Haltung des Regisseurs gegenüber seiner Figur bewerten möchte: Ist das eine ehrliche oder eine herablassende Geste? Auf jeden Fall ist sie irgendwie konsequent und den Vorwurf, nicht genug Nähe zu seinen Figuren aufzubauen, kann man Kazik Radwanski definitiv nicht machen. Ich habe jedoch die leise Ahnung, dass gerade in diesen schonungslosen Nahaufnahmen, die Abgrenzung um so besser gelingt.

Filmtitel: HOW HEAVY THIS HAMMER
Produktionsjahr: 2015
Produktionsland: Kanada
Regie: Kazik Radwanski
Drehbuch: Kazik Radwanski
Kamera: Nikolay Michaylov
Darsteller: Erwin Van Cotthem, Kate Ashley, Seth Kirsh, Andrew Latter
Filmlänge: 75 Min.
Produktion: Dan Montgomery, Kazik Radwanski