In diesem Jahr habe ich habe mir vorgenommen, über jeden Film zu schreiben, den ich auf der Berlinale oder auch während einer der im Vorfeld abgehaltenen Pressevorführungen gesehen habe. Da ich keine Akkreditierung hatte, ist das natürlich sehr viel einfacher, da ich mir aus finanziellen und zeitlichen Gründen nicht die komplette Filmdröhnung bis zur bitteren Erschöpfung gegeben habe und daher jetzt noch in der Lage bin, mir die Filme ohne Erkältung oder sonstige körperliche Ermüdungserscheinungen einigermaßen in Erinnerung zu rufen und ein paar klare Sätze aufs Papier zu bringen.
Natürlich habe ich es vermisst, dieses komplette Eintauchen in die knisternde Hektik am Potsdamer Platz, den allmorgendlichen kurzen Stressmoment am Ticketschalter, den Kaffee Latte von Meyerbeer, den ich eigentlich nur zu Berlinale-Zeiten trinke und es dabei dennoch beinahe in jedem Jahr geschafft habe, ein ganzes Stempelheft voll zu bekommen (= 1 Kaffeegetränk Medium gratis!). Geradezu eifersüchtig bin ich geworden, als ich gesehen habe, dass sich die Organisator_innen in diesem Jahr designtechnisch richtig ins Zeug gelegt haben und zum ersten Mal seit vielen Jahren schöne Schlüsselbänder für die Badges ausgesucht haben. Ja, wirklich, die Poster und überhaupt das ganze Corporate Design der diesjährigen Ausgabe hat mir ohnehin sehr gut gefallen und auch wenn die Berlinale-Taschen zwar gewohnt hässlich waren, sahen sie zumindest stabil aus. Ob sie es dann auch tatsächlich sind, kann ich jetzt leider nicht beurteilen.
Was mir allerdings überhaupt nicht gefehlt hat, war das lange Anstehen jeden verdammten Tag in morgengräulicher Eiseskälte bis zum Öffnen der Schalter zur Ticketabholung für die Akkreditierten, die nach spätestens vier Tagen eintretende, bleierne Müdigkeit, die immer dann ihren Tribut fordert, sobald es warm, dunkel und ein wenig ruhiger wird – also eigentlich immer im Kino – und auf diese Weise zahlreiche Filme gnadenlos auseinander hackt, wodurch es hinterher teilweise schwer wird, das Gesehene voneinander zu unterscheiden.
Den spätestens nach dem dritten Tag ohne verfasste Kritik eintretenden Psychostress (weil einfach zu müde/hungrig/durstig…), habe ich auch sicherlich nicht vermisst.
– 2016 war alles anders: In diesem Jahr hat es bei mir lediglich für 13 Filme aus dem Programm der Berlinale und der Woche der Kritik gereicht und mit dem Schreiben fange ich jetzt erst an. Post-Festivalum. Und das fühlt sich eigentlich ganz okay an.
Doch genug monologisiert aber ganz passend zum Thema, möchte ich an dieser Stelle mit dem zweiten Film aus dem Berlinale Forum beginnen, den ich in diesem Jahr gesehen habe: HEE oder japanisch: 火 – eine Art verschobener, filmischer Monolog von und mit der japanischen Schauspielerin Kaori Momoi.
Der Film mit Film im Film ist die sehr experimentelle Rekonstruktion eines Mordfalls mit Brandstiftung. Die fragmentarische Erzählweise mit vielen Rückblenden, Zwischenblenden, zeitlichen Verschiebungen und Korrekturen macht es sowohl für die beiden Ermittler im Film – einen Psychiater und einen Polizisten – als auch für die Zuschauer_innen sehr schwer, dem genauen Tathergang zu folgen. Zweimal wurde Feuer gelegt, Menschen sind dabei umgekommen. Die mutmaßliche Brandstifterin ist eine japanische Prostituierte, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich hat.
Das Ganze spielt in Kalifornien, USA, gesprochen wird jedoch hauptsächlich japanisch. Das Gesicht der Schauspielerin, ihre Gestik und Mimik, ihr buntes Kleid, ihre provokative Sprache, nehmen den gesamten Film- und Kameraraum ein. Die Lebensgeschichte, die sie zu erzählen weiß, ist durchzogen von Gewalt, Missbrauch und Erniedrigung.
Die Therapiesitzungen werden beständig aufgezeichnet und es wirkt zuweilen so, als sei die Kamera der eigentliche stille Therapeut.
Der Psychiater hat eigentlich auch ganz eigene Probleme: Für seinen Job fühlt er sich ungeeignet, zudem hat er Schwierigkeiten mit seiner Frau, die beruflich erfolgreicher zu sein scheint als er und wiederum nicht mit der Haushälterin klar kommt. Über die abendlichen Tischgespräche des Paares wird laute japanische Rockmusik gespielt, sodass nur einzelne Gesprächsfetzen hörbar werden.
Die Wege der Prostituierten und des Psychiaters kreuzen sich nicht zum ersten Mal. Ihre Verbindung scheint über ihre Begegnung bei einer vermutlich mehrere Jahre zurückliegenden Therapie hinaus zu gehen. Dies wird jedoch vor allem über eine sehr starke bildsymbolische Ebene vermittelt, bei der tatsächlich statt gefundene mit imaginierten Ereignissen zu verschwimmen scheinen: Immer wieder wird eine Szene aus einem sehr vollen Fahrstuhl gezeigt, darin sind beinahe alle im Film eine Rolle spielenden Figuren, zwei streiten sich, alle sprechen durcheinander und doch alle immer wieder anders über dasselbe Thema – ein Feuer. Auch hier verlaufen Bild- und Tonebene asynchron.
Leider verbleibt HEE in seinem ganz eigenen symbolischen, metaphorischen Kosmos aus Subtexten, Andeutungen und versteckten Hinweisen gefangen. Im Kino überfordert er selbst die durchschnittlich für experimentelle Formen offenere Berlinale-Forums-Zuschauerin und verschließt sich damit jeglicher Interpretation. Um vielleicht zu verstehen, was frau da gerade gesehen hat, bedürfte es eines anderen, vermutlich explizit künstlerischen Kontexts und mehrerer Lektüren.
Auch wenn mir die experimentellen Kunstgriffe auf der audiovisuellen Ebene des Films, die Asynchronitäten der Bild- und Tonspur, das doppelte Spiel mit der Kamera, der Film im Film und die Erscheinung der Protagonistin und Regisseurin sowie ihr ausdrucksstarkes Spiel wirklich sehr gut gefallen haben, erschließt sich die tiefere Bedeutung des Films irgendwie nicht. Und viel schlimmer noch, dadurch scheitert er letztlich an seinen eigenen künstlerischen Ansprüchen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Experiment als nichts anderes als eine leere Hülle. Sehr schade eigentlich.