Mit seiner Trilogie SPIN / VERSO / CONTOUR hat Hannes Schüpbach ein sehr feinsinnig rhythmisiertes Netzwerk entfaltet, das im Zwischenraum von Kamera und Objekt deren Beziehung immer wieder neu auslotet, wieder neu ansetzt und dabei Neues entdeckt. Die Indizes aus Nahaufnahmen der Schweizer Fauna, einem lichtdurchfluteten Wohn- und Lesezimmer eines älteren Paares, sowie diversen Lichtspielen auf Stoffen, Fels und Holz werden dabei nicht selten mit Unschärfe und erhaschender Schwenkbewegung überformt.
Den Bildern fühlt man ihren klebrigen Index auf den mal faltigen, mal lichtsanften Oberflächen an. Vielleicht sind es diese spezifischen Großmuttergartenbilder (Blüten, Äpfel, Garten, Wiese, Fluss, Berglandschaft, Hautfalten, Blütenmuster auf der Bluse), die die Filme hinsichtlich ihrer Konservierung von Erinnerung wiederum auch so generell und teilbar machen. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass in der schweizerischen Idylle die archaischen Elemente von Feuer (der brennende Holzscheit, der in der Nahaufnahme mich auch an zäh fließende Lava hat denken lassen), Erde (die Gletscherausläufer), Wind (die Baumzweige) und Wasser (der reißende Bach) als Motive einer mythisch aufgeladenen Ur-Naturerfahrung erscheinen. Dazu die Hautfalten der Hände als Altersspuren. Eröffnen die ersten beiden Filme die Orte und Protagonisten so ist der dritte Film CONTOUR eine Zusammensetzung aus Filmteilen der ersten beiden Filme.
Dieser bezugsreiche Zwischenraum, in den sich die verwinkelten Kameraperspektiven und deren Montage hineinwagen, wird tatsächlich für Momente lebendig und entzieht sich im nächsten Moment wieder. Ähnlich wie mit Erinnerungen, denen auch die unscharfen Zeitfragmentbilder korrespondieren, die sich gerade durch ihren Erinnerungs- und bewusst gesetzten Resonanzpunkt im Bildernetzwerk vom bloßen Schnappschuss unterscheiden. Die Bilder sind in Auf- und Abblenden wie Fotografien in ein schwarzes Feld gebettet, das ihnen allein gehört und doch in Verbindung mit den anderen Elementen setzt. Diese Blenden funktionieren auch als zuverlässige Rhythmisierer aus Wiederholung und Beschleunigung der Motive.
Es herrscht das Prinzip des Rhythmus vor. Andererseits sind die Filme alle ohne Ton. Im Gespräch nach der Vorführung führte Hannes Schlüpbach dies auf seine Angst vor dem „Überwältigungseffekt“ und die Gefahr der „Immersion“ zurück, die mit dem Ton für ihn entstünde. Dem Immersioneffekt wird hier eine diabolisch, lügnerische Gefahr unterstellt, die aber eigentlich sehr produktiv für eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem Bild-Ton-Verhältnis einstehen kann. Diese Perspektive deutete sich gegen Ende des Gesprächs an, zeugt aber von der einsichtigen Behutsamkeit ihres Trägers. Es ginge ihm aber vor allem um eine gewisse Ausgeglichenheit hinsichtlich der Dauer und des Montagerhythmus zwischen erstem und zweiten Teil, während der dritte Teil der Trilogie die Beziehung der ersten beiden Filme wiederum zueinander verändere.
An solch fragilen „Filmchen“ lässt sich auch immer mal wieder das utopische Potential aufzeigen: man stelle sich nur einmal kurz eine Gesellschaft vor, die über das differenzierte Montageverfahren und ihre Wirksamkeit leidenschaftlich debattiert: es würde von einem kompetenten Umgang einerseits mit individueller Erinnerung andererseits mit konventioneller Repräsentation VON Erinnerung reden. Zudem würde hierbei ein visuelles Denken, das sich zeitlich als rhythmisiertes Bezugsnetz entfaltet, zur Sprache kommen und die Erfahrung des Bilderentzugs als Unvermögen der Rationalität aufzeigen. Der politische Sprengsatz der Trilogie ist in der Fiktion der ästhetischen Zeitdimension, die sich explizit als visuelles Denken entrollt. Dies bedarf eines bestimmten Rezeptionsmodus, den Hannes Schlüpbach wahren möchte. Daher verzichtet er auf jegliche Distribution und möchte die Filme ausschließlich im Kunstraum und ausgewählten Kinos zeigen.
Leider wurde nicht mehr auf die Publikation von Maja Naef eingegangen. Ich habe den Essay noch nicht gelesen, aber in der Auslage des arsenals kurz durchgeblättert. In ihrem Essay „Film als körperhafte Exposition“ exploriert sie u.a. mit dem Corpus-Text von Jean-Luc Nancy eine Lesart des Filmbildes als Körper. Der mit vielen Fotografien bestückte Essayband ist zweisprachig auf deutsch und englisch erschienen.