Es gibt Filme, die fulminant anfangen und unbefriedigend enden. Sie machen bis zu einem Punkt alles richtig, bis sie sich selbst kolportieren. DE ROUILLE ET D’OS (2012) von Jacques Audiard ist so ein Film. Er handelt von zwei Menschen, die durch ihre persönlichen Krisen hindurch zu einander und zu sich selbst finden – aber vielleicht ein paar Kinozuschauer auf dem sehr steinigen Weg dorthin verlieren.
Ali (Matthias Schoenaerts) zieht mit seinem Sohn Sam aus dem französischen Norden zu seiner Schwester und deren Mann nach Antibes. Er findet Arbeit als Sicherheitskraft in einem Club und begegnet dort Stéphanie (Marion Cotillard), einer Killerwal-Trainerin. Das Zusammentreffen der beiden bleibt zunächst nur flüchtig: Ali schreitet bei einer Schlägerei ein, fährt die verletzte Stéphanie nach Hause und gibt ihr seine Nummer. Während einer Wal-Show erleidet Stéphanie einen schweren Unfall, woraufhin sie beide Beine verliert. Monate später meldet sie sich bei Ali. Sie treffen sich.
Er, ein viriler und unsensibler Typ, der sich immer nur um die eigene Achse zu drehen scheint, schlägt ihr kurzerhand vor schwimmen zu gehen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine platonische Freundschaft, die bald um gelegentlichem Sex erweitert wird. Für Stéphanie bedeutet diese Beziehung zunächst mehr als für Ali, der nicht einmal für seinen Sohn besonders viel Affektion übrig zu haben scheint. Irgendwie wirkt er teilnahmslos in allem, was er macht. Außer vielleicht in den Kämpfen, die er austrägt und mit denen er zusätzlich Geld verdient. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und Ali wird mit sich und seinen Entscheidungen konfrontiert.
Jacques Audiard beweist viel Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Seine Figuren sprühen vor körperlicher Präsenz und tragen die Zeichen gesellschaftlicher Marginalisierung dennoch mit autarker Stärke. Dafür sieht sogar die Côte d’Azur in seinem Film nach einer Elendsgegend aus – vielleicht ein kleiner Seitenhieb auf das Festival de Cannes, wo der Film seine Premiere feierte.
Ein Faible für Charaktere, die sich an den Rändern der Gesellschaft bewegen, zeigte der Regisseur auch mit seinem Gefängnisdrama EIN PROPHET (2009). Damals konzentrierte sich Audiard ganz auf seinen Protagonisten, was den gesamten Film zu einem gewalt – und gehaltvollen Erlebnis machte. Die Story des Propheten schrieb er selbst, während er sich für DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN vom kanadischen Schriftsteller Craig Davidson inspirieren ließ, dessen unbequeme Kurzgeschichtensammlung Rust and Bone als Vorlage für seinen aktuellen Film diente.
Hätte er sich auch jetzt auf die Geschichte zwischen Stéphanie und Ali fokussiert, wäre ihm ein absolutes Prachtstück gelungen: Die Story und die Ausnahmeschauspieler Marion Cotillard und Matthias Schoenaerts sprechen jedenfalls dafür. Das Großartige aber, das sich besonders in der Annäherung der beiden Figuren entfaltet, wird durch die zunehmende Steigerung dramatischer Ereignisse im letzten Teil des Films ausgehebelt.
Dort wird das Herzstück der Geschichte neu verhandelt, die Beziehung zwischen Vater und Sohn rückt in den Mittelpunkt und lässt die bisherige Narration gegen Ende aus der Balance geraten. Man kann dieses erneute Kippen begrüßen, sich dem gesamten Elend der Figuren erneut widmen oder einfach hoffen, dass Audiard beim nächsten Film von seinem geradezu arabesken Handlungsverlauf absieht und wieder mehr ungeschönte, kantige Unaufgeregtheit einsetzt.