Ein Comercial aus den 1960er Jahren zeigt ausgelassene Menschen, die sich am Strand eines gigantischen Sees, dem Salton Sea, mitten in der Wüste von Colorado, tummeln. „The future is now!“, proklamiert der Werbestreifen großspurig und preist den See als neues Tourismusgebiet und Wohnraum für Tausende von Menschen an. Ein Ort an den man dem angeblichen Platzmangel in den überbesiedelten Städten entfliehen und eine neue Heimat finden kann. Die Zukunft von damals ist die Vergangenheit von heute. Und die ist gescheitert.
Das sieht man, sobald die Kamera über ausgedörrte, menschenleere Landschaften schwenkt. Wir sind im Nirgendwo, dass mal ein Wo war. Bombay Beach. Ein Ort, ein See, ein Strand der durch einen Unfall entstand, als der Damm des Colorado River brach. Eine künstlich geschaffene Welt, ebenso fehl am Platz als Tourismusgebiet, wie als unwirtliche Salzlache, in der die Fische nur noch mit dem Bauch nach oben schwimmen.
Das Ganze hätte sehr traurig werden können. Ein Film über gescheiterte Existenzen an einem gescheiterten Ort, als Opfer des zerbrochenen amerikanischen Traums. Aber Alma Har’ el Film wagt eine Annäherung und Erzählstrategie der besonderen Art. Sie erzählt die Geschichten der Menschen, für die sie sich interessiert, indem sie dokumentarisches Material und Voice Over aus Interviews mit Tanzszenen und fiktionalen, märchenhaft anmutenden Szenen mischt und unterlegt, mit einem preisgekrönten Soundtrack von Beirut und Bob Dylan persönlich, bei dem man abwechselnd Gänsehaut oder Fernweh bekommt. Der Film ist dokumentarisch, ohne die Frage nach der Authentizität zu bemühen, begegnet seinen Protagonisten unvoreingenommen, urteilsfrei und gibt so tiefen Einblick in deren Realitäten.
Um richtig nah ranzukommen, lebte Har’ el fünf Monate in Bombay Beach, nur sie, die Kamera und die Menschen in deren Hier und Jetzt. Die meisten, die jetzt noch dort leben, wirken wie Überbleibsel, bestellt und nicht abgeholt, und sind noch da, weil sie keine andere Wahl haben. Es sind aber auch Menschen, die sich einrichten im Niemandsland, von dem alles meilenweit entfernt zu sein scheint. „Improvise in order to survive“, sagt Red, einer der drei Protagonisten des Films. Red, ein faltiger, kettenrauchender, Whiskeytrinker, mit einer Stimme aus einer anderen Zeit, ist ein Überlebenskünstler durch und durch. Frau und Kinder hat er auf der langen Reise seines Lebens verloren, sich immer irgendwie über Wasser gehalten, ohne je richtig anzukommen. Heute bessert er sich seine Rente mit Zigarettenschmuggel auf und pflegt seinen Trailerpark-Freundeskreis. Er ist „the Marloboro-man who never got cancer“, eine mythisch anmutende Figur mit einem unverwüstlichen Überlebenswillen, der sich in einigen seiner Textpassagen zu fast schamanischer Weisheit aufschwingt.
Benny Parrish, Protagonist Nummer zwei, ist noch ein Kind, aber nicht weniger weise, mit einer rastlosen Phantasie und Vorstellungsvermögen, der aber verhaltensauffällig ist und mit einer Unzahl an Medikamenten ruhig gestellt wird. Diese verursachen vermehrten Speichelfluss, Halluzinationen und extreme Abgeschlagenheit. Die Mutter ist hilflos angesichts der Nebenwirkungen, die ihr weder richtig erklärt noch für besorgniserregend befunden werden. Sie und ihr Mann, ein tattooübersähter Feierabendtrinker stehen unter der Beobachtung des Jugendamts und mussten einige Zeit im Gefängnis verbringen, weil sie aus purer Langeweile, ihr eigenes Armeecamp mit Waffen und Sprengstoff in der Wüste errichteten.
Das Gegenmodell zu den Gestrandeten, Übrigebliebenen ist CeeJay Thompson, Protagonist Nummer drei, ein junger Afroamerikaner aus Los Angeles, der von seiner Mutter hierher beordert, weil sein Cousin in einer Bandenauseinandersetzung auf der Straße erschossen wurde. Ceejay nimmt die verlassene Gegend als Asyl wahr, als Prüfung die er überstehen muss, bevor es richtig los geht, mit dem besseren Leben. Schon jetzt lebt Ceejay seinen eigenen amerikanischen Traum, arbeitet für die Schule, spielt Football, erlebt die erste große Liebe und hofft auf ein Stipendium fürs Studium.
So unterschiedlich die Geschichten auch sind, ihr zu Hause an diesem surrealen Ort verbindet sie, und Alma Har’ el’s Kamera. Die ist beweglich, unscharf, oft ganz nah und gleichzeitig entrückt, nie aufdringlich. Den Alltag der Menschen, die karge Wüstenlandschaft, und vor allem die Tanzszenen fängt sie mit traumwandlerischer Sicherheit ein, zeigt Kitsch, ohne je kitschig zu sein: Masken, getanzte Liebesbekundungen. Flatternde Haare, die von direkter Sonneneinstrahlung zu Heiligenscheinen werden, Reflexe, ein kurzes Blenden, Unschärfe, Bewegung. Das Licht ist warm, die Sonne am Untergehen, die Hitze des Tages lässt sich noch erahnen, Sand wird aufgewühlt und reflektiert das Licht. Körperliche Begegnungen, von Menschen, deren Körper schon so alt und gebrechlich sind, dass sie sich scheinbar nur noch in der Umklammerung, die der Tanz vorgibt, aufrecht halten können und dabei sehr anrühren.
Har’el gelingt die Annäherung auf einer Augenhöhe, trotz aller menschlichen Schwächen und Widersprüche der Protagonisten. Die Familie Parish könnte man auf den ersten Blick für eine typische Whitetrash Familie halten, mangelernährt und übergewichtig, dürftig gebildet, zu jung Kinder bekommen und zu viele, überfordert und des öfteren alkoholisiert. Auch Red ist alles andere als widerspruchsfrei, er trinkt erkleckliche Mengen Whiskey und äußert sich latent rassistisch. Ceejay wirkt mit seinen markigen Sprüchen, etwas selbstverliebten Tanzeinlagen und der selbstgebastelten Collage für seine Freundin (wieviel Glitter und Herzchen passen auf ein A3 Format?) zuweilen einfach wie jeder andere durchschnittliche Teenager. Das alles stimmt auch, aber was der Film noch zeigt, sind viele andere, schöne, intime Momente, von Zärtlichkeit und Zuneigung, Verständnis und Hilfsbereitschaft, so dass man am Ende ein Bild bekommt, das zwar großes Potenzial zum Klischee hätte, aber nie eines ist.
Bombay Beach ist ein Film mit poetischer Grundstimmung, der erstaunliche Weisheiten zu Tage fördert, aber den Blick nicht verstellt auf die privaten Momente der Protagonisten, die Interaktionen, die schonungslose Trostlosigkeit des Ortes, Momentaufnahmen von gescheiterten Existenzen, die durch die offensichtlich choreografierten Tanzszenen eher verdichtet werden als kontrastiert. Natürlich machen Tanz und Musik alles noch etwas leichtfüßiger, aber es geht schließlich nicht um Authentizität im Sinne eines Nicht-Eingreifens und am Ende fügt sich alles in ein organisches Ganzes, passen die surrealen Elemente des Films an den surrealen Ort Bombay Beach.