Gefangen im Transit

Kritik zu Araf – Somewhere in Between von Yeșim Ustaoğlu

Die türkische Filmemacherin Yeșim Ustaoğlu zeichnete in Pandora’s Box (2008) ein tragisch-komisches Familienportrait. In in ihrem aktuellen Spielfilm Araf- Somewhere in Between schlägt sie einen schweren Mollton an. Der Film hatte seine Premiere auf den 69. Filmfestspielen von Venedig 2012 und war auf dem Münchner Filmfest 2013 in der Reihe CineMasters zu sehen.

Darin geht es um das Leben der beiden Teenager Zehra (Neslihan Atagül) und Olgun(Barış Hacıhan), die in einer Raststätte nahe Karabük, einer Provinz zwischen Istanbul und Ankara, arbeiten. Für Olgun ist Zehra das beste, was ihm jemals passiert ist. So jedenfalls beantwortet er eine Bewerbungsfrage für seine Lieblingssendung „Deal or No Deal“. Dorthin flüchtet er sich in Gedanken, wenn die angespannte Stimmung zwischen dem grobschlächtigen Vater und der zermürbten Mutter umschlägt.

Die schöne Zehra interessiert sich weniger für Olgun. Außer der älteren Freundin Derya (Nihal Yalçın) hat sie niemanden, dem sie sich anvertrauen kann. Ihr Leben verläuft zwischen dem Warten an den Suppentöpfen der Raststätte und der einengenden Familie zuhause. Um aus dem monotonen und perspektivlosen Alltag zu entfliehen, spart sie ihr geringes Gehalt und sucht nach Jobs im Internet.

Dann verliebt sie sich in den mysteriösen Fernfahrer Mahur (Özcan Deniz), der ebenfalls von ihr angetan zu sein scheint. Sie sieht in ihm ihre Eintrittskarte zur Freiheit. Auf zaghafte Annäherungen nach Arbeitsschluss folgen Nächte an unbekannten Orten. Irgendwann taucht der Mann nicht wieder auf und Zehra ist bereits im dritten Monat schwanger. Als Olgun von Zehras Zustand erfährt, macht er ihre Freundin Derya verantwortlich und wird gewalttätig. Unfähig mit der Situation umzugehen, kehrt Zehra ihren Kummer gegen sich und das in ihr wachsende Baby. Ustaoğlu beweist großes Mitgefühl mit ihrer Protagonistin und sorgt für gleichzeitig bedrückende wie eindringliche Momente, die nachwirken.

Yeșim Ustaoğlu hat viel Feingefühl für ihre Figuren. Immer wieder geht sie ganz nah an Zehras Gesicht, folgt dem neugierigen und wehmütigen Blick des jungen Mädchens und lässt das Publikum an der Enge ihrer Welt, in der es immer Winter zu sein scheint, teilhaben. Damit reiht sich die Regisseurin in ein Genre ein, das derzeit im türkischen Film sehr erfolgreich produziert wird: Das stille Sozialdrama. Ein ähnlich schwermütiges Bild der türkischen Seele zeichnen international bekannte Regisseure wie Nuri Bilge Ceylan, Semih Kaplanoğlu oder Aslı Özge.

In Araf wird dementsprechend wenig gesprochen.Vielmehr geben die entsättigten Bilder Einblicke in das Leben zweier junger Menschen, die mit der Begrenztheit ihrer Lebensumstände kämpfen. Der Araf bedeutet auf Türkisch in etwa Limbo, die Vorhölle, und ist daher sehr passend gewählt. Die Protagonisten befinden sich in einem Alter, wo sich bereits viel entschieden hat, sie aber dennoch nicht selbstbestimmt agieren können. Für manches sind sie noch zu jung und für anderes bereits zu alt. Der Ort an dem sie arbeiten, ist ebenfalls ein Ort des Transits: Menschen kommen, um wieder zu gehen. Olgun und Zehra bleiben.

Dieser Artikel erschien auch auf berliner-filmfestivals.de

Filmtitel: Araf- Somewhere in Between
Produktionsjahr: 2012
Produktionsland: Türkei, Frankreich, Deutschland
Originaltitel: Araf
Regie: Yeșim Ustaoğlu
Drehbuch: Yeșim Ustaoğlu
Kamera: Michael Hammon
Schnitt: Mathilde Muyard, Naim Kanat, Svetolik Mica Zajc
Musik: Marc Marder
Darsteller: Neslihan Atagül, Barış Hacıhan, Özcan Deniz, Nihal Yalçın
Filmlänge: 124 Minuten
Format: 35 mm
Produktion: Ustaoglu Film, CDP, The Match Factory, ZDF / Arte, TRT