Die Apokalypse kommt schleichend. Ihre zerstörerisch-betäubende Kraft setzt eine Ästhetik der Verzweiflung frei, die das nahende Ende erträglich machen soll. Sie endet mit einem Knall, dem eine alles verschluckende Stille folgt. Und so endet MELANCHOLIA.
Richard Wagners „Tristan und Isolde“: Das ist die musikalische Untermalung des Weltuntergangs, interpretiert von Lars von Trier. In diesem Bild vom Ende aller Tage gibt es keine orgiastisch-ekstatischen Höllenschlünde, keinen Dämonentanz, dem der ätzende Duft des Pestilenzialischen anhängt, wie wir es von den Gemälden Hieronymus Boschs kennen, es gibt keine Alien-Invasion und auch die beinahe zu erwartende allumfassende Klimakatastrophe à la Roland Emmerich bleibt aus. Hier ist es ein astronomisches Phänomen, das die Zerstörung der Welt einleitet.
Ein riesiger Planet oder sonstiges Gebilde aus dem Weltall, das den Namen ‚Melancholia‘ trägt – hellblau und vom Aussehen der Erde nicht unähnlich -, kreuzt die Erdumlaufbahn und wird dabei mit dieser kollidieren.
An diesem Ende lässt der Film keinen Zweifel, auch wenn die Filmfiguren sich noch an der Möglichkeit fest klammern, der Planet ziehe lediglich vorbei und verschone das Leben der gesamten Menschheit.
MELANCHOLIA beginnt mit einer ein wenig an Stanley Kubricks 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM erinnernden Exposition die das Ende der Welt als hintereinander montierte Kompositionen von in extremer Slow-Motion aufgenommener (Stand-)Bilder des Untergangs, welche mit dem sich unausweichlich auf die Erde zu bewegenden Planeten geschnitten werden. Kirsten Dunst mit schmerzverzerrtem Gesicht, hinter ihr ein roter Himmel von dem langsam – Schneeflocken gleich – Vögel herab fallen, erscheint als der Engel der Apokalypse. Charlotte Gainsbourg, die verzweifelte Mutter, deren letzte raison d‘être noch die Rettung ihres Kindes zu sein scheint, versinkt knietief im fein gemähten Golfrasen, über dem die das Ende aller Tage ankündigende Sonnenuhr thront.
Um diese beiden Frauen wird es bei diesem Entwurf der Apokalypse hauptsächlich gehen: Um die am Leben verunglückte Braut, die angesichts der nahenden Katastrophe erst zu ihrer wahren Ausstrahlung (frz. rayonnance) finden wird. Und um die ältere Schwester, die Mutter, die Bemühte und Rationale, die angesichts der Katastrophe jedoch emotional zusammenbricht.
Von Trier teilt den Film in zwei Kapitel, die er nach den beiden Hauptfiguren benennt: Teil 1 „Justine“ und Teil 2 „Claire“.
Teil 1 beginnt mit Justines (Kirsten Dunst) Hochzeit mit Michael (Alexander Skarsgard) auf dem herrschaftlichen Anwesen ihrer Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) und deren Mann, dem Astronom John (Kiefer Sutherland – zur Abwechslung auch überzeugend in der Rolle des gemütlichen sich jedoch in seiner ihm zustehenden Ruhe gestört fühlenden Familienvaters). Der sogenannte glücklichste Tag im Leben einer Frau ist für die depressive Justine ein einziger Alptraum. Unliebsame Gäste, ein unberechenbarer Vater und die verbitterte, um ihre 68er-Ideale betrogene Mutter (Charlotte Rampling), der aufdringliche Chef (Stellan Skarsgad) und dessen neuer Assistent und Neffe tragen zur allgemein angespannten Situation bei, mit der die Schwester, Organisatorin der Feier, und ihr entnervter Mann sichtlich überfordert sind. Die Hochzeit endet im schalen Morgengrauen, der Ehemann ist abgereist und der Nebel senkt sich über das Anwesen.
Der zweite Teil dreht sich konkret um den schleichenden Weltuntergang, die in ihrer Depression versinkende Justine und ihre, um deren Pflege bemühte Schwester Claire. Während die Natur sich auf den nahenden Untergang zu vorbereiten scheint, zieht die Sonne sich zurück: Am Firmament leuchtet hell und blau und unausweichlich ‚Melancholia‘.
Die ungleichen Schwestern verändern sich angesichts des nahenden Unglücks: Justine scheint aus der verstörenden Energie des nahenden Planeten Kraft zu schöpfen, welche sie von innen heraus strahlen lässt, während die sowieso schon blass und grau erscheinende Claire noch grauer und verhärmter zu werden scheint. Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg verkörpern sehr überzeugend Lars von Triers Konzept der zwei ambivalenten Schwestern, deren Wesen erst im Moment der unmittelbar bevorstehenden Katastrophe zutage tritt. Von Trier inszeniert die raue, entrückte Schönheit Charlotte Gainsbourgs, wie auch schon in ANTICHRIST, als mütterlich-gewaltvolle und frenetische Frau einer angesichts der Ereignisse dem Emotionalen anheim Fallenden. Jedoch verbleibt die Stärke dieser Figur im Subtilen, scheint hinter der zerbrochenen aber dennoch strahlenden Kirsten Dunst beinahe zu verschwinden. Mit ihrer durchdringenden Lebendigkeit auf der Leinwand, zieht sie die anderen Figuren neben sich in die Indifferenz. Den Männern wird in diesem Film allgemein nicht viel Raum eingestanden.
Dem dänischen und für diverse Skandale bekannten Regisseur ist es gelungen, ein in seiner Absolutheit ästhetisches Ende der Welt zu präsentieren: Die Ruhe vor dem alles verschlingenden Nichts. Die Inszenierung einer entschleunigten, psychologischen Apokalypse, welche sich nicht nur im äußeren Lebensraum der Figuren abspielt, sondern auch im Inneren der Figuren und in den Beziehungen zwischen ihnen.
Durch den ausschließlichen Einsatz von Handkameras, die zwar ganz nah an die Figuren herankommen aber keine Nähe entstehen lassen, wird eine emotionale Kälte und Beklemmung hervorgerufen, die auch durch den alles beendenden Knall am Ende nicht gleich gelöst werden kann. Die Unruhe der Kameraführung steht im kompletten Kontrast zur extrem langsamen Anfangssequenz des Films. Vor allem im ersten Teil des Films unterstreicht die Bewegtheit der Kamera die emotionale Überforderung der Hauptfigur inmitten der illustren Hochzeitsgesellschaft. Die Nervosität der Bilder steht auch im Gegensatz zu der Ohnmacht angesichts der sich langsam nähernden Katastrophe, welche Claire schließlich in die Verzweiflung treiben und Justine mit Gelassenheit das Ende erwarten lässt. Ihr inneres Unglück erscheint angesichts des Unausweichlichen unbedeutend: Justine hat bereits alles verloren, während Claire alles genommen werden wird.
MELANCHOLIA ist eine gut konstruierte Allegorie auf die Melancholie oder so genannte ‚Trägheit des Herzens‘ – die mittelalterliche Todsünde acedia – und neben ANTICHRIST ein weitaus ruhigerer, aber nicht weniger ästhetischer Ausflug in die Abgründe der menschlichen Seele. Von Trier gelingt es, die Unausweichlichkeit der Naturkatastrophe und Bedeutungslosigkeit menschlicher Umtriebe auf den eigentlichen Höhepunkt des Films hin zu führen: den alles endenden Knall. Dass die Hochzeit und die die Schwestern umgebenden Figuren dabei eher wie Dekor wirken ist damit wohl Teil des Konzepts.