Mein Vater verkauft Gardienen, meine Mutter ist Haushälterin

Erinnerungskino von Paula Markovitch

Für ein Urlaubsbild ist der Strand irgendwie zu trostlos, alles ist graubraun, umgewehte Bäume ragen aus den Dünen, die Gischt peitscht und Regen prasselt. Etwas stimmt nicht. EL PREMIO nimmt uns mit auf eine Reise an Orte einer Kindheit, in eine begrenzte Welt, die vor allem eins ist, gestört und überschattet von Angst.

EL PREMIO erzählt die Geschichte eines siebenjährigen Mädchens, Cecilia, das während der Militär-Junta in Argentinien aufwächst. Ihre Eltern werden politisch verfolgt und Cecilia muss sich mit ihrer Mutter in einer kleinen Hütte am Strand verstecken. Die argentinische Armee hat den Vater verhaftet und die Cousine ermordet. Cecilia darf zwar in die Schule gehen, muss dort aber über ihre Herkunft lügen, um sich und ihre Familie zu schützen. Die Situation spitzt sich zu als Cecilia in der Schule einen Aufsatz über die argentinische Armee verfassen soll und dem Papier anvertraut, was sie nicht öffentlich aussprechen darf, dass die Armee böse ist, Leute sucht und sie ermordet.

Doch der historische Hintergrund  bleibt diffus, der Film ist erstmal die Studie einer Periode im Leben einer Familie, deren Ablauf von außen gestört wurde, die in einem Klima der Anspannung, Angst und Unsicherheit lebt und kaum Worte dafür findet. Vieles das um Cecilia herum geschieht bleibt unklar, die Handlungen der Mutter scheinen oft unmotiviert und auch die Informationsfetzen über das Verbleiben des Vaters und die Ermordung der Cousine sind bloße Fakten, die nicht weiter erklärt werden und die Cecilia nicht zu einem großen Bild zusammen fügen kann.

Geduldig nähert sich der Film Cecilias enger Welt, begleitet sie auf den immer gleichen  Wegen. Er lässt den Schauspielern und gerade den Kindern viel Raum, belauscht Gespräche, und beobachtet ausgelassene Spielszenen, Momente die, wie Erinnerungen, ungeordnet sind, keinen direkten Sinn ergeben und nichts zur Handlung beitragen. Er lebt von den langen oft auch engkadrierten Einstellungen, die jene Atmosphäre der Unsicherheit und Sprachlosigkeit einfangen.

Die Verhältnisse der Menschen zueinander sind von offener Zuneigung und Zärtlichkeit ebenso geprägt wie von Härte und physischem Durchgreifen. Ihre Gefühle, die sie bedrängen  und die nicht in Worte gefasst werden können, werden vor allem über Gestik und Mimik verhandelt. Und es gibt einiges an Emotion zu verhandeln, denn vor allem Cecilia und ihre Mutter kanalisieren den Druck der auf beiden lastet in Wutausbrüchen, die sie immer wieder aneinander geraten lassen.

Die Angst der Mutter, die wiederkehrenden Gefühlsausbrüche, wie der trostlose Strand, der Sand und der ewig feuchte Wind, der überall einzudringen scheint, bilden den roten Faden, der auf das verweist, was Erinnerung auch meint: ein Blick beim Aufwachen auf das ewiggleiche Muster einer Tapete, das sich im Kopf festsetzt und dann für immer mit einer bestimmten Stimmung verbunden ist.

Paula Markovitch ist mit ihrem semi-autobiografischen Film ein schöner, ruhiger Film gelungen, der mit den Protagonisten auf Augenhöhe bleibt und nicht versucht etwas zu erklären, sondern eher die Beziehungen der Menschen zueinander und zur Welt sichtbar macht. Die Einstellungen sind lang, das Geschehen unspektakulär und die Narrative entschleunigt.

Filmtitel: El Premio
Produktionsjahr: 2010
Produktionsland: Mexiko, Frankreich, Polen, Deutschland
Originaltitel: El Premio
Regie: Paula Markovitch
Drehbuch: Paula Markovitch
Kamera: Wojciech Staron
Schnitt: Lorena Moriconi
Darsteller: Paula Galinelli Hertzog, Sharon Herrera, Laura Agorreca, Viviana Suraniti, Uriel Iasillo, Ludmila Lopez, Jonathan Raia, José Sánchez, Juan Manuel Molina, Silvia Villegas
Format: DCP
Produktion: Kung Works S.A. de C.V.
Verleih: Umedia