High Noon auf der Kola-Halbinsel

Dolgaya schastlivaya zhizn von Boris Khlebnikov

Alexander „Sascha“ Sergeevich (Alexander Yatsenko) arbeitet als Verwalter in einer ehemaligen Kolchose. Als ihm die Bezirksregierung eine Abfindung für das Land anbietet, willigt er wiederwillig ein, sieht jedoch darin die Chance mit dem Geld ein neues Leben mit seiner Freundin Anya (Anna Kotova) in der Stadt, fernab der Arbeit auf dem Land anzufangen. Als er die Mitarbeiter des Betriebs vom bevorstehenden Wechsel informiert, beschließen diese lieber zu kämpfen, als in die Arbeitslosigkeit zu gehen und wenn nötig auch mit Waffengewalt. Von der Entscheidung und Entschlossenheit seiner Mitarbeiter beeindruckt, entschließt sich Sascha die Abfindung auszuschlagen und mit den Arbeitern gegen die Enteignung zu kämpfen. Die Entscheidung das Geld auszuschlagen, missfällt Anya, doch Sascha ist von seiner Sache überzeugt und bereitet sich mit den anderen Mitarbeitern vor. Je mehr der Tag der offiziellen Enteignung näher rückt, desto mehr muss Sascha jedoch feststellen, dass hintern den großen Kampfworten der Mitarbeiter nicht mehr viel steckt. Nach und nach springen alle von ihrem kämpferischen Vorhaben ab und sind lieber um ihr eigenes Schicksal bedacht, als für das gemeinsame Wohl zu kämpfen. Wissend um die Aussichtslosigkeit ihrer Situation, fragen die Mitarbeiter Sascha warum er denn geblieben sei und nicht die Abfindung angenommen hat.
Als eines Tages die Beamten mit Polizeibegleitung auf dem Gelände erscheinen, eskaliert die Situation. Sascha, der von allen verlassen wurde und seine sichere Zukunft für den Traum eines ehrlichen Lebens durch eigene Arbeit aufgegeben hat, erschießt die Beamten und den Polizisten.

Die Rolle des einsamen Kämpfers, der von allen verlassen und auf verlassenem Posten kämpft, drängt fast den Vergleich zu Gary Cooper als Marshall Will Kane in Fred Zinnemanns Western HIGH NOON von 1952 auf. Doch Khlebnikovs Beitrag ist bei Weitem kein Western in dem es ein Happy End gibt. Der kurzweilige und klar erzählte Film wirft einen eher ernüchternden Blick auf die russische Realität. Es zeigt das Bild eines Landes, in dem körperliche Arbeit und somit quasi der Inbegriff eines ehrlichen und glücklichen Lebens nicht mehr viel zählt und Profit und Korruption die Oberhand gewonnen haben.
Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass hier die Sehnsucht nach der Klischeeidylle herrscht, wie die durchaus romantischen Bilder des Dorfes von Sascha und der anderen Arbeitern suggerieren mögen. Die romantischen Bilder des Dorfes am wilden Fluss stehen vielmehr im Kontrast zur heruntergekommen Kolchose, die klar vor Augen führt, dass dieser Betrieb seine besten Zeiten schon gehabt hat. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass stellenweise eine gewisse Sehnsucht nach besseren Zeiten oder nach einer Gerechtigkeit durchscheint oder wie es Sascha auch selbst sagt, nach einer Art Revolution. Die Tatsache, dass Sascha seine Äußerung durch das Wort „Art“ selbst gleich wieder relativiert, spiegelt aber auch die Ernüchterung wider, die vorherrscht. Umso bezeichnender ist daher die letzte Szene des Films, als sich Sascha stumm und resigniert neben seine Freundin ins Bett liegt, mit dem Gewissen, dass es eigentlich keinen Ausweg gibt, um dem korrupten Apparat zu entfliehen. So ist der Film ein, vielleicht auch zaghafter aber ehrlicher Blick auf das heutige Russland, das Russland Putins und einer fast scheinbar ohnmächtigen und resignierten Gesellschaft. Der stellenweise wilde Fluss, der an Saschas Haus vorbeifließt, steht wohl paradigmatisch für diese Situation: so muss sich jeder entscheiden, ob er sich vom Strom der Revolte oder von dem der Korruption mitreißen lassen will.  Die Bedeutung dieser Ohnmacht ist uns vielleicht doch nicht ganz klar, weil das Geschehene so scheinbar weit weg ist, jenseits des Polarkreises.