Pornografie ist Verhandlungssache

Notizen zum Auftakt der Konferenz Explicit!

Am 25. und 26.01.2013 fand die Konferenz Explicit! Coming to Terms with Pornography. An International Conference, organisiert im Rahmen des Interflex-Programms, an der FH Potsdam statt. Zum Auftakt war das Pornfilmfestival Berlin (PFFB) geladen, ein Screening zu programmieren, das im Filmmuseum Potsdam gezeigt wurde. Ziel des Abends war, pornografischen Film im wissenschaftlichen Diskurs zu verorten, als Genre ernst zu nehmen und sich ein Bild von etwas zu machen, zu dem fast jeder eine Meinung hat, aber kaum zugeben würde es näher zu kennen.

Pornografie hat sich zu einem Massen- und bis zu einem gewissen Grad auch zu einem gesellschaftstauglichen Phänomen entwickelt, dessen Wert im Einzelnen aber oft nur daran gemessen wird, wie hoch der Krassheitsfaktor ist oder ob es Potenzial hat, als Party Fact zu dienen. Diese Entwicklungen polarisieren und werfen Fragen auf, die zum Beispiel den Jugendschutz betreffen, oder den Einfluss von Pornografie auf Rollenbilder, und sie schüren die Angst vor einer ‚Pornifizierung der Gesellschaft’. Andererseits werden Praktiken erprobt, Pornografie zu nutzen, um an den vorherrschenden heteronormativen Vorstellungen von Sexualität zu hebeln.

Über Pornografie zu sprechen ist jedoch schwer, auch heute noch. Der Diskurs bewegt sich vor einer Gemengelage aus Polarisierungen, Unwissenheit,  Ängsten und Versprechen der emanzipatorischen Aneignung und nötigen jeden, der sich damit beschäftigt, zur Positionierung. Das wurde bereits im Vorfeld deutlich. Die Presseresonanz war erstaunlich groß für eine wissenschaftliche Veranstaltung, was einmal mehr verdeutlicht, das ‚sex’ wohl wirklich ‚sells’, und die Fragen der Journalisten oft undifferenziert bis provokativ-investigativ. Und auch in den einleitenden Worten zum Screening wurde auf Abgrenzung geachtet, von Seiten der Wissenschaft, aber auch von Jürgen Brüning vom PFFB, der gleich im Anschluss an den Vortrag von „Explixit!“ klarstellte: „Bei uns wird Pornografie nicht verhandelt, sondern angesehen.“ Das Finden einer Gesprächsbasis tut not.

Die vorherrschende Debatte ist von Verallgemeinerungen geprägt, der Annahme, Pornografie und insbesondere der pornografische Film sei ohne Vielfalt, unterschiedslos frauenverachtend (wobei das natürlich für viele Filme auch zutrifft, aber eben nicht für alle), eine reine Männerdomäne und irgendwie unbestimmt pervers. Eine historische Vergleichbarkeit oder Verortung ist ebenfalls schwierig, weil pornografisches Material lange nicht als Teil des gesellschaftlichen Kanons angesehen wurde und folglich auch nicht archiviert wurde, wie andere Schriften oder Filme. Der Forschungsstand ist in allen Disziplinen lückenhaft und das betrifft sowohl die Forschung zum pornografischen Material selbst, also auch die Rezeptionsforschung. Und die Probleme bei der Beschreibung von Pornografie beginnen schon bei der Definition. In der deutschen Rechtssprechung wurde zum Beispiel bewusst darauf verzichtet eine allgemeingültige Definition im Gesetzestext zu verankern. Es gibt zwar Kriterien die helfen sollen, Pornografie als solche zu erkennen, aber ebenso viele Grauzonen. Die Entscheidung wird dabei letztlich dem einzelnen Richter überlassen. D.h., wie die Frage danach, was pornografisch ist, beantwortet wird, ist Auslegungssache und veränderbar. Sie hat so immer auch etwas mit den aktuell vorherrschenden Diskursen, Vorstellungen von Moral und Sexualität und mit geltenden Normen zu tun, aber auch mit technischen Entwicklungen.

Noch vor 50 Jahren wurde Pornografie weitgehend im Verborgenen hergestellt, vertrieben und betrachtet und für einen von Männern dominierten Markt produziert. In den 70er Jahren, im sogenannten ‚Golden Age of Porn‘ trat der Porno für kurze Zeit aus seiner Schmuddelecke und es wurden zum ersten Mal Pornofilme in großen Kinos zusammen angesehen. Mit dem Aufkommen der Videokassette, bzw. später der DVD und den sog. ‚neuen Medien’ wie dem Internet wurde der Porno dann relativ leicht zugänglich.

Heute interessieren sich Menschen und vor allem viele junge Menschen offen für Pornografie. Und sie konsumieren sie auch, bewerten, und übernehmen mediale Darstellungen in ihre sozialen Praktiken. Gleichzeitig beginnt die Wissenschaft sich mit dem Thema zu beschäftigen und konstatiert: Es gibt Pornografie, also müssen wir uns dazu verhalten, und danach fragen in welchem Verhältnis sie zur Gesellschaft steht, ohne dabei aber zwangsläufig zu bewerten.

Wie aber Definitionen vornehmen und uns dazu verhalten, wenn wir gar nicht wissen, worüber wir sprechen? Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams hat Pornografie bereits in den 80er Jahren als etwas beschrieben, zu dem fast jeder eine Meinung hat und gleichzeitig aber kaum zugeben würde, es näher zu kennen. Bevor wir aber überhaupt fragen können, wie Pornographie uns beeinflusst, welche Machtverhältnisse sie generiert, welches Bild von Sexualität und Geschlecht sie produziert, welche Normen sie setzt, oder wie eine emanzipatorische Aneignung funktionieren könnte, müssen wir wissen worüber wir sprechen, und uns eine Vorstellung davon machen, was Pornographie alles sein kann.

Dem hatte sich der Auftakt der Konferenz verschrieben und legte den Fokus auf den pornografische Film, der von der Öffentlichkeit besonders stark wahrgenommen wird. Aber auch hier gibt es mehr Unschärfen als Klarheiten. Die Anfänge des Pornos in sind schlecht dokumentiert. Die Filme wurden oft anonym produziert und in kleinen Kreisen, den sogenannten Herrenrunden angesehen. Allerdings lässt sich sagen, und das mag vielleicht überraschen, dass bereits die ganz frühen pornografischen Filme sehr unterschiedlich waren und verschiedene Narrativen und formale Lösungen kannten.

Wenn wir heute Porno hören, denken wir dann auch meist an die Ästhetik von Internetclips, phantasielos aneinander geschnittene Einstellungen, welche die Körper der Darstellenden fragmentieren und im close up Geschlechtsteile exponieren. Diese Art Filme gibt es natürlich zur genüge, keine Frage, aber eben nicht nur. Die Gründe dafür, dass alle Pornos gerne über einen Kamm geschert werden, liegt zum einen einfach an fehlender Kenntnis der pornografischen Filmlandschaft, und an der Eigenart, dass uns Pornos direkt und das heißt besonders direkt körperlich an-gehen. Oder wie die Videokünstlerin Ulrike Zimmermann es formuliert, geht Pornografie durch die Augen direkt in die Hose. Beim Porno herrscht deshalb der Generalverdacht, dass wir ihn uns nur anschauen, um in direkter mimetischer Nachahmung, das was sich im Film abspielt selbst zu tun. Aber ist das wirklich so? Neure Studien zeigen allerdings (wie pornresearch.org), dass Pornografie nicht nur als bloße Anregung zur Selbstbefriedigung genutzt wird, sondern dass es auch andere Gründe gibt, sich Pornos anzuschauen.

Die pornografische Filmlandschaft ist sehr viel vielfältiger als es die aktuellen Debatten vermuten lassen. Es haben sich verschiedenste Subgenres ausdifferenziert, die unterschiedliche Zielgruppen bedienen. Der Porno kann deshalb durchaus als filmisches Genre ernst genommen werden.

Ganz in diesem Sinne wurde auch das Screening vom Pornfilmfestival Berlin zusammengestellt, wobei die Auswahlkriterien die Politik des Festivals selbst widerspiegeln. Nämlich möglichst die Vielfalt abzubilden und Frauen, wie Männern, Heteros wie Homos, Transsexuelle und allen anderen sogenannten abweichenden Sexualitäten dabei einen gleichberechtigten Platz einzuräumen. Unter den sechs Kurzfilmen, waren Produktionen, die mit Pornoästhetiken spielen und diese brechen, entweder mit Transgendersex wie der Film BIODILDO (R: Christian Slaughter) oder mit dem pornounüblichen Eröffnen eines philosophischen Diksurses während klassischer sexueller Dreierkonstellationen in HASENHIMMEL (R: Olli Wood). Sowie der sehr kurze trashige ‚Lesbenporno‘ 20 SEKUNDEN (R: Francy Fabritz), die experimentelle Arbeit I AM A REAL BOY (R: Jiga/ Eva Teppe) und der explizite Dokumentarfilm ZUCHT UND ORDNUNG von Jan Soldat, der ein betagtes Männerpärchen, mit Vorliebe für sadomasochistische Sexpraktiken bei für die beiden ganz Alltäglichem zeigt: das heißt Sexpraktiken, das dazugehörige Equipment, aber auch Blasenschwäche und Artrithis. Soweit so gut.

An das Screening schloss eine Gesprächsrunde (mit Manuela Kay vom PFFB, Sven Lewandowski, Jan Soldat und Oli Wood aka Oliver Rhys) an. Was als Versuch gedacht war, die Filme in einen größeren thematischen Zusammenhang einzubinden, erwies sich als begriffliches Mienenfeld. Das Finden einer gemeinsamen Sprache war in diesem Rahmen unmöglich, zu unterschiedlich waren die Anliegen und Zugänge. Soziologenjargon traf auf antinormative Aktivist_innen. Vor allem Sven Lewandowski sorgte für Angriffsfläche, indem er das Pornografische, allein über dessen Erregungspotenzial versuchte zu definieren und soziologische Kategorien wie ‚Milieus’ oder Schichten in den Gesprächstopf warf um den unterschiedlichen Geschmack und Gebrauch von Pornografie gesellschaftlich zu verorten. Das Fazit der Diskussionsrunde: es gibt mehr offene Fragen als Antworten, was allerdings zu erwarten gewesen war und das bestätigte, was sich bereits während der Planung der Konferenz herauskristallisierte: Über Pornografie zu sprechen ist schwierig, und das Finden eines gemeinsamen Begriffsrepertoirs steht noch aus.