Zugegeben, wenn amerikanische Filme das Wirken und Leben berühmter Persönlichkeiten auf die Leinwand bringen in einem Land, in dem Helden eine fast geschichtliche Bedeutung haben, besteht die Gefahr, dass zu viel Pathos und Heldenverehrung das Bild vernebeln. Spielbergs LINCOLN ist jedoch weit davon entfernt und entwirft ein objektives Bild dieses US-Präsidenten.
Wir befinden uns im letzten Jahr des Amerikanischen Bürgerkrieges. Ein Krieg, in dem Brüder gegen Brüder kämpfen, und der in seiner Brutalität eine neue Ebene erreicht hat. Es ist wohl der erste Medienkrieg, der mit Fotografien von der Front, die Brutalität und das Sterben von den scheinbar weit entfernten Schlachtfeldern, in das Bewusstsein der Menschen daheim gebracht hat. Das Land ist gespalten, der Süden kurz vor eine Niederlage und die Menschen sehnen sich nach Frieden.
Spielberg zeigt jedoch nur kurz das Grauen des Krieges und fokussiert sich in seinem Film auf die letzten Jahre des 16. US-Präsidenten Abraham Lincoln und dessen Kampf auf dem politischen Schlachtfeld, um den 13. Verfassungszusatz, der die Sklaverei für illegal erklärt, im Repräsentantenhaus vor seiner zweiten Vereidigung Ende Januar 1865 unwiderruflich zu verankern. Der Film zeichnet das Porträt eines Mannes, der wie nur wenige andere vor ihm, das Schicksal einer ganzen Nation bestimmt hat. Abraham Lincoln (oscarverdächtig: Daniel Day-Lewis) erscheint in Spielbergs Film wie der Vater einer ganzen Nation, eben wie ein Held, zu dem nicht nur einzelne Menschen aufschauen, sondern ein ganzes Land. Der Film zeigt ihn als einen liebenden und liebevollen Familienvater, der sich neben den vor dem Kaminfeuer eingeschlafenen Sohn legt, um ihn dann auf seinen Schultern ins Bett zu bringen. Zugleich aber auch wie ein Vater und guter Freund für seine Angestellten, denen er immer wieder einen ermutigenden und vertrauten Klaps auf die Schulter gibt, oder bei einem Kaffee zur Aufmunterung Anekdoten erzählt. Sein Credo ist, dass nur mit Zusammenhalt, eben wie in einer Familie, die Probleme gelöst werden können.
Doch wie jeder andere Vater, steht auch Lincoln vor dem Dilemma zwischen moralischer Überzeugung und den Ansprüchen seiner Familie, der Nation und der realen Welt. Auf der einen Seite drängt ihn seine innere moralische Überzeugung dazu, den Schandfleck der Sklaverei ein für alle Mal zu eliminieren und auf der anderen Seite, steht die Forderung der Nation und seiner Parteikollegen nach Frieden mit dem Süden. Die Person, die sich durch diesen Konflikt abzeichnet, ist jedoch nicht voll Pathos und Heldenmut, über jeden Zweifel erhaben. Zwar finden sich auch im Film immer wieder ikonenhafte Bilder, wie z.B. das am lichtdurchfluteten Fenster seines Büros: die dunkle, hagere Gestalt von Lincolns Schatten, der dabei einsam aus dem Fenster schaut, hebt sich deutlich von der weißen Fläche ab und scheint aus einem Geschichtsbuch entsprungen zu sein. Jedoch wird Lincoln zutiefst menschlich dargestellt: zwar von seiner moralischen Idee überzeugt, ist auch er von Selbstzweifeln geplagt. Am beeindrucktesten beschreibt dies wohl der Moment, als der Präsident eines Abends in der Kommunikationszentrale des Weißen Hauses sitzt, darüber nachdenkend, ob er die Unterhändler der Konföderierten nach Washington kommen lassen, und damit ein Zugeständnis an den Frieden machen soll, und sich dabei fragt, ob er die richtige Person für diese schwierige Zeit sei. Darüber hinaus entpuppt er sich aber auch als realpolitischer Taktierer, der nicht davor zurückschreckt, notfalls die notwendigen Stimmen mit Lobbyarbeit für sich zu gewinnen. Das Spiel von Licht und Schatten in Lincolns Gesicht, das sich immer wieder im Film finden lässt, steht wohl paradigmatisch für diese zwei Gesichter des Präsidenten und verstärken diesen Eindruck.
Doch trotz seiner Überzeugung das Richtige zu tun, spürt auch er die Bürde einer ganzen Nation, der noch kommenden Generationen, die auf seinen Schultern lastet, und so gehen – trotz des Erfolges – die Grabenkämpfe am Ende auch nicht spurlos an ihm vorüber und lassen ihn sichtlich altern.
Jede Zeit hat und braucht ihre Ikonen und ihre Helden, doch wahre Helden – und das ist wohl eine der Essenzen des Films – und auch Väter, sind nur Wegbereiter der Sache, für die sie kämpfen, der Stein der alles ins Rollen bringt. Exemplarisch hierfür scheint der Dialog zwischen Lincoln und seiner farbigen Angestellten und ehemaligen Sklavin Elizabeth Keckley (Gloria Reuben). Auf die Frage hin, wie er persönlich über den 13. Verfassungszusatz und die damit einhergehende Freiheit der Sklaven denke, antwortet Lincoln, dass auch sie nun das Recht haben, den gleichen Aufgaben und Erfahrungen zu begegnen, wie die Weißen bisher, ganz im Sinne seiner Gettysburg-Rede: „[…] that the nation, shall have a new birth of freedom, and that government of the people by the people for the people, shall not perish from the earth“.
So schlägt der Film die Brücke in die heutige Zeit, in eine Nation, die genau wie damals, zutiefst gespalten ist, und hinterlässt der amerikanischen Nation, die nun einen schwarzen Präsidenten hat, aber auch der ganzen Welt, dieses Vermächtnis, das es weiterzutragen gilt. Zwar schauen wir retrospektiv auf die ganzen Geschehnisse und ihre Auswirkungen, jedoch wünscht man sich gerate heute, solche Helden und Vaterfiguren in der Politik, wie es Abraham Lincoln in Steven Spielbergs Film ist.