Kreative unruhige Zeiten

Jenseits von Oberhausen: Das Kino der frühen 1960er Jahre

Es lässt sich glaube ich nicht verneinen, dass wenn die Rede vom Kino der frühen 1960er Jahre ist, unweigerlich das Oberhausener Manifest von 1962 und die damit verbundene Absage an Papas Kino seine Schatten wirft. Doch die 60er Jahre waren, wie der von CineGraph veranstaltete 25. Internationale Filmhistorische Kongress gezeigt hat und trotz der weltpolitischen Umwälzungen die im Gange waren, beider Seiten des Eisernen Vorhangs kreativ und vielseitig.

Kongresseröffnung mit Erika Wottrich und Johannes Roschlau von CineGraph. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Kongresseröffnung mit Erika Wottrich und Johannes Roschlau von CineGraph. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Die 1960er Jahre entpuppen sich als eine kreative Zeit, in der nicht nur der politische Status Quo zu wanken beginnt, sondern auch der des damaligen Kinos. Das Kino mit seinen Möglichkeiten, wird auch zu einem Sprachrohr, einem Vehikel einer jungen und kreativen Generation. Hier eine kurze Reise durch drei Tage Kongress und das filmische Schaffen der frühen 1960er Jahre, immer gen Westen, dem Ursprung und Inspiration vieler der hier aufgezählten Strömungen, der Nouvelle Vague entgegen.

Im Osten beginnend, in der damaligen CSSR drücken, wie Milan Klepikov in seinem Vortrag zeigt, die Filme (z.B. MUT FÜR DEN ALLTAG von 1964) des tschechischen Pedants der Nouvelle Vague, der Nová Vlna um Evald Schorm, Miloš Forman und vielen anderen, die Skepsis einer ganze Generation wider und stehen für das Verlangen nach einem Leben frei vom Sozialismus. Zwar lösen sich auch diese jungen Filmemacher vom Filmstil ihrer Vorgänger, doch sind die Filme primär ein Ausdrucksmittel eines politischen Verlangens. Einem Verlangen, das mit dem Prager Frühling 1968 ein trauriges Ende nehmen sollte, zugleich aber auch die starke Abneigung gegenüber der UdSSR und der repressiven Macht verstärkte. Doch es ist gerade dieser kritische Skeptizismus gegenüber dem System, der die Filme wiederum zum Ziel staatlicher Repression und Opfer des kulturellen Kahlschlages machte.

Wolfgang Kohlhaase und Hans-Michael Bock. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Wolfgang Kohlhaase und Hans-Michael Bock. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

In der DDR kamen diese kritischen Filme nur selten an und wenn, dann wurden sie nur einem begrenzten Publikum gezeigt. Im Gegensatz zum tschechischen Nachbarn, war die Atmosphäre in der DDR, wie auch DEFA-Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase nach eigenen Angaben betonte, jedoch nicht vergleichbar mit der in der CSSR. Zwar war der Einfluss der Staatsführung auch hier zu spüren (wie am Beispiel des repressiven Vorgehens gegen die DDR-Filmzeitschrift „Filmwissenschaftliche Mittteilungen“ zu sehen war), jedoch ging man nicht – wie es Kohlhaase beschrieb – dauernd gebückt. So ist die Zeit bis zum Dezember 1965 und dem kulturellen Kahlschlag des 11. Plenums des ZK der SED, eine kreative Phase, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Filmen hervorbrachte. DER FALL GLEIWITZ von Gerhard Klein (Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase) aus dem Jahr 1960/61, der sich mit dem inszenierten Überfall auf den deutschen Radiosender in Gleiwitz im August 1939 befasst, war zwar kein Erfolg beim Publikum, zeichnet sich jedoch durch seine für damalige Verhältnisse moderne Filmmusik, bewusste geometrische Bildgestaltung und ungewöhnliche Kameraführung aus. Der Film LOTS WEIB von Egon Günther von 1964/65, entpuppt sich – wie Evelyn Hampke von Bundesarchiv in ihrem Vortrag argumentiert – als eine Absage an den militärischen Mann, das damaligen Frauenbild und somit als ein von der Staatsführung übersehener und nicht geahndeter Film über die Emanzipation des Individuums, in einer autoritären Gesellschaft. Die Zeit birgt jedoch auch weniger erfolgreiche Beispiele, wie z.B. das leider nie realisierte 70mm Filmprojekt HENRI IV von Kurt Maetzig, nach dem Roman von Heinrich Mann. Ein Projekt, das hoffnungsvoll begann und während seiner Entwicklung immer mehr im Schatten des von Konrad Wolf gedrehten Films GOYA stand. Der Film hätte die bis dato gesteckten Maßstäbe der Realisierung und internationalen Zusammenarbeit der DEFA weit übertroffen.
Auch die aktuelle politische Lage und somit die deutsch-deutsche Teilung, fand mit DER GETEILTE HIMMEL von Konrad Wolf (oder im BRD-Film ZWEI UNTER MILLIONEN von Wieland Liebske und Victor Vicas aus dem Jahr 1961), Eingang in die Filme Anfang der 60er Jahre.

Wie Michael Töteberg in seinem Vortrag zeigt, war aber auch West-Berlin eine Schmiede der Kreativen und Ursprung für neue Arten des Filmens. Als „Bollwerk“ des Westens im Zentrum der DDR, wurde seitens der USA versucht durch finanzielle Unterstützung das kulturelle Leben in der Stadt zu unterstützen und zu fördern. In den Genuss der finanziellen Unterstützung kam somit auch das von Walter Höllerer gegründete Literarische Colloquium Berlin (LCB), das 1964 eine eigene Filmabteilung gründete und jenseits von bereits etablierten Filmstudios, den Buchautoren die Möglichkeit gab, ihre Stoffe in filmischer Form umzusetzen. Aus westdeutscher Sicht ein Novum, während in der DDR die Verbindung zwischen Literatur und Film viel enger war und somit z.B. Christa Wolf, Autorin des Buches „Der geteilte Himmel“ auch am Drehbuch des gleichnamigen Films von Konrad Wolf mitarbeitete.
Im Rahmen des Literarischen Colloquiums entstanden somit u. A. die Kurzfilme IN-SIDE-OUT von George Moorse (1964), ABENDS, WENN DER MOND SCHEINT (1964/65) und DER HUT (1966) von Helmut Herbst. Alle Filme zeichnen sich durch eine groteske, graphische und doch interessante Filmgestaltung aus, die eine Brücke zwischen den Künsten schlägt und dessen literarischer Ursprung bewusst sichtbar bleibt. Leider endet bereits 1964 die filmische Tätigkeit des Literarischen Colloquiums.

Klaus Kreimeier. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Klaus Kreimeier. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Aber auch weiter Richtung Westen, jenseits des Eisernen Vorhangs, finden sich kleinere Kreativschmieden, wie z.B. in Hamburg, wo sich an der Universität eine Filmabteilung mit dem Schwerpunkt Animations- und Experimentalfilm bildete. Hier an der Elbe entstehen mehrere Kurzfilme wie z.B. VERFOLGUNG (1964) von Franz Winzentsen oder KLAMMER AUF, KLAMMER ZU (1966) von Hellmuth Costard. Die filmische Umsetzung zeigt die Kenntnis und zugleich auch Bewunderung der Macher für die Regisseure der Nouvelle Vague. Zugleich spiegeln sich in diesen Filmen – besonders in KLAMMER AUF, KLAMMER ZU – auch schon die Schatten der Aufkommenden 68er Bewegungen und die damit verbundenen politische Unzufriedenheit der Zeit wider.

Im Süden der BRD, bildet sich Mitte der 1960er Jahre um Klaus Lemke, Rudolf Thome, Max Zihlmann und zeitweise auch um den Dokumentarfilmer Peter Nestler die „Münchner Gruppe“. Genauso wie bei den Filmemachern in Hamburg, zeigt sich auch hier die Bewunderung für die Nouvelle Vague und das amerikanische Kino. So ist der Kurzfilm KLEINE FRONT (1964) von Klaus Lemke, eine kleine Safari durch ein kleines Münchner Waldstück, ein bewusster Verweis und Hommage an Howard Hawks HATARI von 1962. DIE VERSÖHNUNG (1964) von Rudolf Thome und FRÜHSTÜCK IN ROM (1965) von Max Zihlmann arbeiten wiederum bewusst mit filmischen Elementen der Filme von Godard und anderer Filmemachern.

Wie die verschiedenen Vorträge gezeigt haben, gab es aus vielerlei Gründen (wie z.B. die schwierige Anfahrt nach West-Berlin) und trotz der vielversprechenden kreativen Ansätze, keine Vernetzung zwischen den drei verschiedenen Gruppen in West-Berlin, Hamburg und München.

Der Überblick und die Reise enden in Frankreich, dem Ursprungsland der Nouvelle Vague, die in vielerlei Hinsicht Vorbild und Inspiration für viele der Filmemacher dieser Zeit war. Umso symbolischer erscheint daher hier der Film L’ENFER von Henri-Georges Clouzot, dessen Scheitern der französische Dokumentarfilm L‘ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT (2008/09) von Serge Bromberg am vorletzten Tag des parallel laufenden Cinefest dokumentiert. Clouzots L’ENFER aus dem Jahr 1964 steht in gewisser Hinsicht paradigmatisch für diese kreative unruhige Zeit Anfang der 1960er Jahre: Genauso wie viele der Strömungen und Bewegungen in dieser Zeit, versuchte auch der Film die bis dato bestehenden Formen und Grenzen des Kinos zu übertreten und filmisches Neuland zu beschreiten. In vielen Fällen waren diese Versuche nicht immer von langer Dauer, von wenig Erfolg gekrönt und erscheinen im Nachhinein, wie z.B. die mangelnde Vernetzung der Gruppen in Hamburg, West-Berlin und München, wie eine verpasste Chance, eben ein Scheitern. Doch sie haben alle – und das ist der zentrale Punkt des Kongresses – eine wichtige Stelle in der Filmgeschichte und sollten nicht weiter im Schatten von Oberhausen betrachtet werden.

Die Zuschauer während des parallel laufenden Cinefest im Kino Metropolis. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Die Zuschauer während des parallel laufenden Cinefest im Kino Metropolis. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph

Das "Cinefest - Internationales Festival des deutschen Film-Erbes" und der "Internationale Filmhistorische Kongress" finden jedes Jahr im November mit wechselnden Themen statt und werden von CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V. und dem Bundesarchiv-Filmarchiv veranstaltet. Titelbild: Vor dem Kino Metropolis in Hamburg. Foto: Swenja Schiemann. Mit freundlicher Genehmigung von CineGraph