Michel Gondry hat in diesem Jahr die Quinzaine des Réalisateurs mit seinem Film THE WE AND THE I eröffnet.
Die Quainzaine, auch bekannt als Director’s Fortnight ist eine unabhängige Parallelveranstaltung und wurde im Jahr 1968 als Anti-Festival gegründet. Man wollte alternativ denkenden Filmemachern einen Zugang zum Festival verschaffen, das ansonsten eher auf Glamour und konservative Leinwandbespaßung setzte. Aber ähnlich wie das Berlinale-Forum sich mittlerweile als Nebensektion etabliert hat, schwimmt die Quinzaine mal mehr mal weniger auf der Welle des Wettbewerbs mit. Man streitet sich sogar um die Programmation derselben Filme, was für eine Annäherung beiderseits sprechen kann. Auffallend im gesamten Festivalbetrieb ist jedoch auch hier der Frauenmangel– sei es im Hinblick auf die Programmateure der Sektionen oder auf die geladenen Filmemacher. Wer sich dafür interessiert kann hier weiterlesen.
Im Nachgang merkt man, welche Filme eine Welle von Besprechungen auslösen und welche beinahe totgeschwiegen werden. Michel Gondrys Beitrag wurde Letzteres zuteil. Voilà, der Trailer:
Wir begleiten pubertierende Jugendliche aus der Bronx auf ihrer Busfahrt von der Schule nach Hause. Es ist der letzte Tag vor den Sommerferien. Die Teenager sind ausgelassen bis aggressiv. Ihre Stimmung kann jederzeit umschlagen, weil hormongeschwängert. Die coolen Kids haben die letzte Reihe besetzt, weiter vorne spielen sich Zickenkriege und emotionale Karrusellfahrten ab. Wir sehen, wie die Teenager ihre Freundschaften austarieren, wie sie ihre Loyalitäten verteilen, was sie von Liebe halten.
Was Gondry hier erörtern will, ist die Dynamik sozialer Gruppierungen. Anfangs ist der Bus noch zum Zerbersten voll, mit der Zeit leert er sich. Die Insassen nehmen je nach Situation und Gegenspieler eine andere Rolle ein, erzählen eine andere Geschichte. Dieses Verhalten wird besonders an dem Protagonisten Michael (Michael Brodie) verdeutlicht. Zu Beginn ist er das Alpha-Tier schlechthin, wo er brüllt, wird gefolgt. Er regiert von der letzten Sitzreihe aus den gesamten Bus, teilt aus ohne einzustecken. Erst gegen Ende wird er in seine Grenzen gewiesen. Von der Idee und den kleinen kreativen Elementen her ist der Film sicherlich reizvoll. Seinen quirligen Lo-Fi-Stil lässt Gondry dann auch sporadisch innerhalb der einzelnen Geschichten aufblitzen.
Auch die lose narrative Struktur und die Arbeit mit nichtprofessionellen Schauspielern bringen ihre Vorzüge mit. Doch irgendwie fehlt die Balance. Wenn auf eine äußerst brutale Szene, ein tiefsinnig anmutendes Gespräch über die Beziehungsprobleme eines schwulen Paares folgt, das von einer flachen Slapsticknummer abgelöst wird, dann kommt die gewollte Tiefe nicht zum Ausdruck. Sie wird von der Grausamkeit der vorigen und der Albernheit der nachfolgenden Szene erstickt.
Interessant ist dennoch, welch böse Energien gegeneinander Ausgespielt werden, die einzelnen Bosheiten lassen in einen tiefen Abgrund schauen und das ist man von Gondry nicht so sehr gewohnt. Und vielleicht fühlt man sich daher irgendwie „im Stich gelassen“. Die schrägen, charmanten und surrealen Geschichten, die er uns in ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND und SCIENCE OF SLEEP vorführt, oder der beeindruckend kreative Einsatz von Film-im-Film-Elementen, wie sie im großartigen BE KIND REWIND vorkommen (THE GREEN HORNET lasse ich hier genüsslich unter den Tisch fallen), vermisst man in THE WE AND THE I dann doch. Die neue Herangehensweise ist mutig. Statt mit einem festen Script zu arbeiten, ließ Gondry die Persönlichkeiten und Geschichten der Schauspieler in den Film mit einfließen. Doch das funktioniert nur bedingt. Einige Episoden sind einfach zu flach, kitschig oder derb. Irgendwas schnürt dem Film die Luft ab. Der lose Plot findet nur schwer zusammen.
Scheint, als wäre das Publikum dazu verdammt, unzufrieden zu sein: Entfernt sich ein Regisseur nicht von seinem populär gewordenen Stil, wird ihm ein Mangel an Wagemut vorgeworfen, tut er es doch, sehnt man sich nach Gewohntem zurück. Und das potenziert sich, wenn das Neue weniger zugänglich erscheint. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb man sich in der Quinzaine für diesen Film entschieden hat.
Wir bleiben gespannt, was Michel Gondry demnächst aus dem Ärmel zieht. Dass er zaubern kann, wissen wir auf jeden Fall.