Link zum Programm der GfM-Tagung.
Vinzenz Hediger betonte bei der Mitgliederversammlung, dass es noch nie eine so große Diskrepanz zwischen Tagungsthema und Ablauf der Tagung selbst gegeben habe. Großes Lob an die Organisatoren, dem ich mich hier anschließe.
In den vielen zum Teil sehr interessanten Panels, ist manchmal in den Vorträgen und Diskussionen auf ein Spannungsverhältnis Bezug genommen worden, das ich hier noch einmal skizzieren möchte. Ein ganz subjektives „WAS-BLEIBT“:
Überraschend viel Verwendung fanden literaturwissenschaftliche Methodiken in der Filmanalyse (sehr präsent v.a. die narratologischen Verfahren à la Genette, Iser, aber auch kognitivist. Ansätze à la Bordwell) und Fragen nach sinnstiftenden Verfahren des Films und das Bedürfnis alles irgendwie einer Sinnstiftung zuzuweisen (überhaupt gab es viele Filmpanels). Überhaupt gab es wenig Methodenreflexion oder Vorträge, die die eigene Methodik ins Zentrum des Vortrags rückten. Wo es dann passierte (z.B. Panel 3.4 über `Diffraktion´ und Panel 6.1 über `Lebendigkeit im Film´), eröffnete sich meiner Meinung nach eine grundlegende Spannung zwischen einer `Präsenz des Filmbildes´ und einer `Poetik des Films´ methodisch zu reflektieren und eng zu führen.
Wie lässt sich die `Präsenz des Filmbildes´ in seiner zeitlichen Ausdehnung und diversen medientechnischen Erscheinungsweisen verstehen, ohne dem Film eine ontische Gewalt anzutun und gleichzeitig eine `Poetik des Films´ aus dem formal-ästhetischen Zeitentfaltung heraus zu denken (und nicht sukzessive erst Philosophie, dann Poetik)? Wie lässt sich ein medientheoretisches Verständnis der Präsenz des filmischen Bildes zusammen mit einem filmwissenschaftlichen Verständnis einer Poetik des Films, die mehr als nur seine strukturelle Konstitution ist, denken? Mit welchen Methodiken muss hier operiert werden?
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der medienphilosophisch fundierte Status des Filmbildes Auswirkungen auf die Perspektivierung der Poetik des Films hat (und auch auf das Verständnis einer Medialität des Films). Es müsste geprüft werden, inwiefern die Poetik die medienphilosophische Position infrage stellt.
Ich vermute, dass bereits im russischen Formalismus (u.a. bei Eisensteins Oberton-Montage), Ansätze zu finden sind, in denen sich die Kollision von Bildkompositionen als Verbindungen von Erscheinungsweisen, und damit Präsenzen, denken lassen. Das Filmbild erscheint und aus diesem Erscheinen entwickelt sich eine ganze Dramaturgie. Dramaturgie hieße dann hier eine zeitliche Entfaltung des Präsenzdenkens (Vom Sein zum Seienden, Denken des Seienden). Poetik wäre die reflektiert-kritische Ausarbeitung dieses Präsenzdenkens. Wie steht es um das Denken von Leerstellen, von angenommenen Präsenzen, die aus der Dunkelheit kommen? Gemeint ist hier eine im Sinne von Emmanuel Lévinas gedachte `Lichtmetaphorik´, in der die Dinge nur im Licht erscheinen, selbst aber nicht scheinen.
„Das Auge sieht nicht das Licht, sondern das Objekt im Licht. Das Sehen ist also eine Beziehung mit einem ,Etwas´, und diese Beziehung findet statt inmitten einer Beziehung mit dem, was kein ,Etwas´ ist. Wir sind im Licht in dem Maße, in dem wir der Sache im Nichts begegnen. Das Licht läßt das Ding erscheinen, indem es das Dunkel vertreibt, das Licht fegt den Raum leer. Das Licht läßt gerade den Raum als eine Leere entstehen.“ (Lévinas: Totalität und Unendlichkeit, S. 271)
Diese `Lichtmetaphorik´ (was wäre das für eine Metapher?) wäre ein medientheoretischer Ausgangspunkt, auf dessen Basis eine ethische Methodik, die, einfach gesagt, dem Gegenstand der Untersuchung (hier also dem Film) keine Gewalt antut. Vielleicht wäre dies eine Art Posthermeneutik des Films. Eine auf Film getrimmte Posthermeneutik, die den Gegenstand nicht ontisch-ethisch-ästhetisch-politisch mit einem Paradigma oktroyiert und Gewalt antut, sondern sich mit dem Film zusammen denkt.
Was dann noch als dysfunktional zu bezeichnen wäre, würde auf eine Sphäre hinauslaufen, in der auch Fakt und Fiktion ununterscheidbar geworden sind, weil sie keine Rolle mehr spielen. Auch der Wahrheitsbegriff müsste dann neu gedacht werden. Welche Bedeutung hat dieses ethische Verfahren noch für eine Epistemologie der Bilder? Ließe sich eine Art Typologie des Status von filmanalytischen Parametern erschließen (wie es in einem Panel für den Zoom, Schwenk und die flashframes gemacht wurde)? Wie ist das Verhältnis von Präsenz und Wissen, d.h. von den Verfahren, die Sinn als Leerstelle ausweisen? Was bedeutet dies für eine Medienhistoriographie? Ließe sich eine Typologie filmischer Poetiken erstellen, die unabhängig von Genrekategorien gedacht wird?
Was bedeutet dies für das Schreiben über Film?
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Es gab in einigen Panels Ansatzpunkte für solche Fragestellungen:
• Panel 3.4: Vielleicht kann der Begriff der „Diffraktion“ von Donna Haraway (auch Karen Barad). (Ethicoepistemologie, Prozessphilosophie). Vgl., auch den Text von Astrid Deuber-Mankowsky „Diffraktion statt Reflexion. Zu Donna Haraways Konzept des situierten Wissens“ in der 4. Ausgabe der ZfM, S. 83-91.
• Panel 4.6: Genrepoetiken des Dysfunktionalen als Anlass zur Diskussion über `Gewalt´ am Zuschauer. `Cosmic fear´ (Lovecraft) als Sinnleerstelle und groteske Situation (i. S. v. Wolfgang Kayser) des Ausgesetztseins in einer unerklärlichen raumzeitlichen Störung.
• Panel 5.6: Kybernetisch perspektivierte Dysfunktion zwischen Mensch und Maschine (Kriegsgerät, das sich nicht recht kontrollieren lässt: Widerspenstigkeit der (audiovisuellen) Technik.).
• Panel 6.1: Vielleicht das Panel mit dem medienphilosophisch ambitioniertesten Zugriff auf das hier genannten Spannungsfeld.
• Besprechbar an dem Verhältnis von Kino als Frage des Dispositivs (Cavell) und dem Film als zeitbasiertes Medium (Deleuze).
• Was befiehlt denn eigentlich zu denken, d.h. i.S.v. Heidegger „Was HEIßT denken?“ (und damit auch was HEIßT das Unvermögen zu/des D/denken/s?
• Kluges Begriff des `Eigensinns´ . Eine Utopie Film, die auf ein `Filmdenken´ hinausläuft.
• Lebendigkeit im Kino. Sowohl als auch: Denken, das wir mit ins Kino nehmen und aus ihm wieder hinaus.
• Panel 7.5: Kinematographische Parameter als Anlass zu einer phänomenologisch basierten Typologie ihres Status
• Zoom (Dingverortung)
• Schwenk (Erscheinen/Verschwinden – OFF)
• flashframe (Mnemotechnik)
• Licht (Erscheinen des Mediums selbst)