Eine Hochzeit und zwei Todesfälle

16. Nippon Connection | Festivaltagebuch Tag 4 und 5

An den letzten beiden Festivaltagen werden noch einmal alle Register gezogen: Ich bin vor Lachen fast vom Stuhl gefallen und habe die ein oder andere Träne verdrückt. Gerade auf den außer Konkurrenz laufenden Abschlussfilm PIETA IN THE TOILET von Daishi Matsunaga, dessen Filmplakate mich schon während meiner Japanreise im letzten Jahr neugierig gemacht hatten, habe ich mich gefreut wie ein kleines Kind auf Weihnachten. – Meine Vorfreude wurde nicht enttäuscht und ich bin jetzt richtig traurig, dass es schon vorbei ist.
Zum Abschluss daher ganz viel Jubel und Konfetti: Die kommende 17. Nippon Connection (23. bis 28.05.2017) wird auf jeden Fall jetzt schon einmal dick in den Kalender eingetragen! Yay!

PIETA IN THE TOILET Ⓒ 2015 “Pieta in the Toilet” Film Partners

PIETA IN THE TOILET Ⓒ 2015 “Pieta in the Toilet” Film Partners

Ein verlorener Sohn und ganz viel Pizza

Mit THE MOHICAN COMES HOME von Shuichi Okita und PIETA IN THE TOILET von Daishi Matsunaga beschäftigen sich gleich zwei Filme mit dem Tod und dem Umgang mit dem Sterben: Während THE MOHICAN COMES HOME das Thema als eher leichtfüßige „Dramödie“ verarbeitet, kommt das Thema bei PIETA IN THE TOILET mit ein wenig mehr Ernsthaftigkeit daher, ohne dabei nur stumpf auf die Tränendrüse zu drücken.
Shuichi Okita ist ein alter Bekannter der Nippon Connection und stellte dort 2013 bereits THE STORY OF YONOSUKE vor. In seinem neuesten Film geht es um den jungen Eikichi (Ryuhei Matsuda), Sänger einer erfolglosen Death-Metal-Band, der nach sieben Jahre dauernder Abwesenheit unangemeldet in seine Heimat, eine kleine Insel in der Präfektur Hiroshima, zu seinen Eltern zurückkehrt, um diesen zu eröffnen, dass seine Freundin Yuka (Atsuko Maeda), eine sympathische aber einfach gestrickte Naildesignerin, ein Kind von ihm erwartet. Die Begrüßung fällt zunächst eher wenig herzlich aus, der Vater Osamo (Akira Emoto) der es beim Tanztee im Tempel ein wenig übertrieben hat, übergibt sich erst einmal in den Hausflur, bevor er dem seiner Ansicht nach nichtsnutzigen Sohn eine Handvoll Prügel androht. Bei der wilden Senioren-Party mit Nachbarn und Freunden, die der Vater dann anlässlich der überraschenden Heimkehr und der guten Neuigkeiten anschließend schmeißt, bricht dieser jedoch zusammen. Es kommt heraus, dass Osamo an Lungenkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium erkrankt ist und nicht mehr viel für ihn gemacht werden kann.

© 2016 "The Mohican Comes Home" Production Partners, LLC

© 2016 „The Mohican Comes Home“ Production Partners, LLC

Im weiteren Verlauf erleben wir, wie der sture und trotz Krankheit zu Beginn noch relativ rüstige Rentner regelmäßig aus seinem Krankenbett ausbüchst, um das Schulorchster zu dirigieren – zur Not auch auf dem Krankenhausdach. Über die Krankheit des Vaters, ihre Liebe zur Musik und zum heimischen Baseballteam, aber auch ihren sehr verschrobenen Humor, finden diese sehr sympathischen, aber auch sehr sturen Charaktere wieder zueinander: Eikichi ist bestrebt, dem Vater all seine letzten Wünsche zu erfüllen und schreckt weder davor zurück, drei verschiedene Pizzalieferdienste mit der Fähre auf die Insel zu bestellen, noch dem im Verlauf der fortschreitenden Krankheit immer mehr abdriftenden Vater als dem von ihm abgöttisch verehrten Eikichi Yazawa, einem japanischen Pop-Veteran, der gemeinhin auch als der japanische Elvis gehandelt wird, nachts zu „erscheinen“.
Die spontan organisierte Hochzeit der mittlerweile sehr schwangeren Yuka und Eikichi endet mit einem peinlichen Zwischenfall, der aber auch einen komödiantischen Höhepunkt des Films darstellt und verhindert, das die Geschichte sich zum Ende hin in einer tränenflüssigen Schnulzbrühe auflöst.
Die Japaner wissen einfach jeden Anflug von Kitsch mit der richtigen Mischung aus unflätigen und makabren Witzen sowie gut getimter Situationskomik aufzulösen. Ein großer Spaß!

Ⓒ 2015 “Pieta in the Toilet” Film Partners

Ⓒ 2015 “Pieta in the Toilet” Film Partners

Goldfische im Freibad

Bei Daishi Matsunagas PIETA IN THE TOILET haben wir eine ähnliche Ausgangslage: Hiroshi, gespielt von dem Sänger der japanischen Band RADWIMPS, Yojiro Noda, ein erfolgloser Künstler, hat seinen Traum vom Malen bereits aufgegeben und driftet mehr oder weniger orientierungslos durch die Großstadt. Um seinen Unterhalt zu verdienen, arbeitet er halbtags als Fensterputzer. Mit seinen Eltern, die weder seinen Berufswunsch noch seinen Weltschmerz nachvollziehen können, hat er sich eigentlich nichts mehr zu sagen. Auch die zufällige Begegnung mit einer ehemaligen Exfreundin, die es mit weniger Talent zur erfolgreichen Malerin geschafft hat, vermag es nicht, ihn aus seiner Gleichgültigkeit heraus zu holen. Als er erfährt, dass er Magenkrebs hat, scheint ihn auch das zunächst nicht weiter zu beeindrucken. Erst seine Freundschaft mit der jungen todessehnsüchtigen und wütenden Schülerin Mai (Hana Sugisaki) sowie die zahlreichen Begegnungen im Krankenhaus, der kleine Takuto und der übergriffige, leicht perverse Yokota (Lily Franky), bringen ihn dann, als er erfährt, dass die Medizin eigentlich nichts mehr für ihn tun kann, zurück zum Leben und zur Malerei.
Die Geschichte des Films ist inspiriert von eigenen Lebenserfahrungen des Regisseurs – so hat er selbst wohl seinen Unterhalt sehr lange mit Fensterputzen verdienen müssen – , aber auch von den letzten Aufzeichnugen des großen japanischen Mangakünstlers und Zeichners Osamu Tezuka, der 1989 an Magenkrebs starb und einen sehr starken Einfluss auf die Entwicklung des Manga und Anime im Nachkriegsjapan hatte.
Neben der extrem beeindruckenden schauspielerischen Leistung von Hana Sugisaka, die in Japan so etwas wie ein Kinderstar ist und wirklich überzeugend den Troubled Teenager auf der Suche nach Liebe und Zuneigung spielt, haben mich hier vor allem die inszenatorischen Zugeständnisse an die bildene Kunst, das virtuose Spiel mit den Farben, aber auch die durchdachten malerischen Bildkompositionen begeistert! Daishi Mastunaga, der ja eigentlich aus dem Dokumentarfilmbereich kommt, unter anderem war er mit seinem ersten langen Dokumentarfilm Pyuupiru 2001-2008 bereits schon auf der 10. Nippon Connection vertreten, hat mit PIETA IN THE TOILET ein Spielfilmdebüt abgeliefert, das große Lust auf mehr macht!
Aufschluss darüber, was es mit den Goldfischen im Freibad so auf sich hat, gibt vielleicht der Trailer des Films:

Es gibt neuen Stoff! – Netflix goes Filmfestival

Der weltweit größte Serien-Dealer präsentiert auf der Nippon Connection die komplette erste Staffel seiner ersten eigenen japanischen Serienproduktion: HIBANA/SPARKS, die ab Juni weltweit auf Netflix zu sehen sein wird.
Auch wenn sich mir dieser sehr spezielle so genannte Manzai-Humor wirklich nicht so ganz erschlossen hat und das Tempo der Serie für Netflix zu Beginn auch eher ungewöhnlich langsam ist, haben mich die schön gezeichneten Charaktere definitiv neigierig gemacht und ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung!

Baby, you’re a Firework!

„Ich habe dieses Jahr sechs Filme heraus gebracht. Das ist eine Menge! Als hätte ich mir vorgenommen, Japan mit Filmen zu überschwemmen. – Setzt man ‚Film‘ mit ‚Soldat‘ gleich, dann habe ich eine kleine Armee aufgestellt, um dieses Land zu zerstören.“
– Sion Sono, 2016

Quelle: ARTE, Tracks vom 27.02.2016.

© LOVE & PEACE Film Partners

© LOVE & PEACE Film Partners

Großes Highlight zum Abschluss war natürlich das vom ersten Festivaltag an lang ersehnte filmische Feuerwerk LOVE AND PEACE von Sion Sono. Der Film verpackt mal wieder bissige Sozialkritik in einen großen Beutel Konfetti, der über Tokio ausgeleert wird: Es geht um Schildkröten, ein Heim für vernachlässigte Kuscheltiere, den Weihnachtsmann, einen Popstar, der in seinem Glitzereinteiler dem jüngst verstorbenen David Bowie alle Ehre macht, Popmusik, eine Hommage an den großen Zerstörer Godzilla, die Olympischen Spiele 2020 in Japan und natürlich – die A-Bombe.

Stichwort: Schlafökonomie

Dass ich trotz des akuten Schlafmangels bei keiner einzigen Vorstellung des Festivals im Kino eingeschlafen bin – was eventuell auch daran liegen mag, dass die Sitze nicht ganz so bequem waren, wie richtige Kinosessel, aber auch nicht ganz so unbequem, wie beispielsweise die Sitzgelegenheiten im Haus der Berliner Festspiele oder dem Friedrichstadtpalast, was mich bisher aber auch nie davon abgehalten hat, dort während der Berlinale gnadenlos einzuschlafen… – das werte ich abschließend noch als sehr positiv.

Preise, Preise! – Wir sind ja nicht zum Spaß hier…

Meine persönliche Top 3:

3. DEAR DEER von Takeo Kikuchi

2. THE WHISPERING STAR von Sion Sono

1. PIETA IN THE TOILET von Daishi Matsunaga

Lobende Erwähnung: LOWLIFE LOVE von Eiji Uchida, LOVE AND PEACE von Sion Sono und MY TECHNICOLOR GIRL von Rei Sakamoto.

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Offizielle Preisverleihung:

Nippon Cinema Award 2016
– RYUZO AND THE SEVEN HENCHMEN von Takeshi Kitano

Nippon Visions Audience Award 2016
– UNDER THE CHERRY TREE von Kei Tanaka

Nippon Visions Jury Award 2016
– DEAR DEER von Takeo Kikuchi

Lobende Erwähnungen der Nippon Visions Jury:
– THE MAN WHO WAS EATEN von Keisuke Kondo
– UNDER THE CHERRY TREE von Kei Tanaka