Ela und Can sind ein privilegiertes, erfolgreiches Paar, das in Istanbuls wohlhabendem Viertel Nişantasi lebt. Das mondäne Haus des behäbigen Innenarchitekten und der zierlichen Künstlerin ist bis in die letze Ritze durchdesignt. Die erwachsene Tochter lebt und studiert mit ihrem Freund in Ankara. Während die Protagonisten von Men on the Bridge, dem ersten Spielfilm der in Istanbul geborenen Regisseurin, von einer besseren Zukunft träumen, sind die Hauptdarsteller in Lifelong (Hayatboyu) trotz ihres Erfolgs mit sich und ihrem Leben unzufrieden.
Der Film wird zwar mit einer Sexszene eröffnet, doch schnell wird klar, dass zwischen Ela und Can die Leidenschaft keinen prominenten Platz mehr einnimmt. Die attraktive Künstlerin scheint an der Beziehung arbeiten zu wollen, doch ihre Annäherungsversuche werden von Can ignoriert. Arbeit und mysteriöse Telefongespräche beschäftigen ihn mehr als die lauwarmen Avancen seiner Frau. Das zähe Miteinander lässt die hohe Anzahl an Kompromissen deutlich werden, die ihre Ehe über die Jahre hindurch porös gemacht haben. Dennoch scheinen sie nicht voneinander loszukommen.
Ein Erdbeben weckt das Paar aus seinem lethargischen Zustand und verdrängt die nicht verbalisierten Konflikte für einen kurzen Moment der Leidenschaft. Can und Ela halten und küssen einander, bevor sie ebenso schnell wieder voneinander ablassend in alte Muster fallen.
In dem kleinen, gläsernen Haus gehen Frau und Mann sich gekonnt aus dem Weg. Wenn man redet, dann aneinander vorbei – jede weitere Kommunikation findet indirekt statt. Einzig unter ihren gemeinsamen Freunden wirken Ela und Can wie das Paar, das sie einmal waren. Sie spielen die Rollen, an die sie sich gewöhnt haben. Während die Tochter noch versucht, Gedanken direkt zu kommunizieren und Risiken zu wagen, gehen die Eltern den Weg des geringsten Widerstands.
Erst als Elas Frust sich körperlich äußert und sie von Angstattacken geplagt wird, will sie etwas an ihrem Leben ändern. Doch kann die Künstlerin, die ihre größten Erfolge bereits hinter sich hat, finanziell selbständig sein? Ist unerfüllte Zweisamkeit nicht bequemer als die Suche nach einer späten Selbstverwirklichung?
Mit Lifelong hat Asli Özge einen Film geschaffen, der sehr auf das europäische Auge getrimmt ist. Interessant ist der Fokus auf das unterbeleuchtete, dabei sehr lebendige Künstlermilieu Istanbuls, in das Özge ihre Figuren einbettet und das als Metapher für den Status der Beziehung nutzbar gemacht wird. Gedeckte Farben und formal strenge Rahmungen verleihen dem Film eine sehr eigene, fotografische Bildsprache. Das technisierte, vertikale Haus wirkt wie ein eigener Charakter und hilft, die beengende Isolation der Figuren zu verdeutlichen. Zugleich krankt Lifelong auch an eben dieser Statik. Man könnte sagen, dass sich die Regisseurin „Zeit für ihre Figuren nimmt“, oder aber, dass sie manche Szenen zu träge oder schlichtweg inhaltlich uninteressant gestaltet hat.
Wenn beispielsweise Ela beim nächtlichen Wäschewaschen aus Frust und Verzweiflung zu viel Waschpulver verwendet, könnte ein Zuschauer das als Einladung zum Einschlafen missverstehen. Zudem ist das Sujet der Ehe, die durch die Jahre hinweg in die Brüche geht, in der Filmwelt kein unbearbeitetes Gelände. Die Kulisse mag neu sein, aber an sich könnte Lifelong in jeder (nicht-)europäischen Großstadt spielen (man denke an Come Rain, Come Shine von Lee Yoon-ki, der im Wettbewerb der 61. Berlinale lief). Doch vielleicht ist es gerade wichtig, diese Facette der Türkei sichtbar zu machen, um das schiefe und oft einseitig gezeichnete Bild etwas gerade zu biegen.
Dieser Artikel erschien erstmals auf critic.de