Ein Capoeiratanz zwischen Freude und Schmerz

Eröffnungsfilm Capitães de areia bei "Première Brasil"

Schnell wird klar: das Leben der Jugendlichen um Bandenführer Pedro Bala (Jean Luis Amorim) ist ein ständiger Tanz zwischen den Emotionen. Ein fließender Wechsel zwischen der harten Realität des Lebens auf der einen Seite, und der starken emotionalen Leidenschaft und der Sehnsucht nach Freiheit und Liebe auf der anderen Seite.

Filmstill aus "Capitães de areia" (Regie: Cecília Amado) © Promo. Mit freundlicher Genehmigung des Haus der Kulturen der Welt

Filmstill aus „Capitães de areia“ (Regie: Cecília Amado) © Promo. Mit freundlicher Genehmigung des Haus der Kulturen der Welt

Die ausgelassene abendliche Fahrt auf einem Karussell verdeutlicht, dass die Protagonisten in einer Zwischensituation gefangen sind: sie sind Jugendliche und müssen sich in der harten Welt der Erwachsenen alleine behaupten, haben aber zugleich das Bedürfnis eine unbeschwerte und friedliche Kindheit nachzuholen, die sie scheinbar nie gehabt haben und dessen Sinnbild das immer wiederkehrende Motiv des Karussells ist.
Die Mitglieder der Bande Capitães da Areia müssen sich in der Welt der Armen von Salvador de Bahia mit Diebstählen behaupten und scheuen z.B. nicht davor zurück, einer reichen Frau, den verloren Sohn mit einem Lockvogel zu ersetzen, um sie dann eines Nachts auszurauben.
Doch es zeigt sich schnell, dass alle Beteiligten zwar kein anderes Leben als dieses kennen, tief in ihrem Inneren jedoch die verschiedensten Sehnsüchte und Träume haben: so sehnt sich z.B. Lockvogel Sem Pernas (Israel Gouvêa), innerlich traurig die Frau mit dem verlorenen Sohn ausgenutzt zu haben, nach einem ruhigen Familienleben; Gato (Paulo Abade) nach einem leidenschaftlichem und jedoch auch ruhigem Leben mit der Prostituierten Dalva (Ana Cecília) und der intellektuelle Kopf der Bande „Professor“ (Robério Lima), nach der Möglichkeit seiner Leidenschaft für die Malerei nachgehen zu können. Das Bedürfnis nach einem geregeltem Leben.
Nachdem ein Bandenmitglied an Pocken erkrankt ist und schließlich daran stirbt, wird allen klar, dass nichts mehr so bleiben wird wie es war und scheinbar alles aus der Kontrolle geraten ist. Als schließlich noch die Waise Dora (Ana Graciela) mit ihrem kleinen Bruder Zé Fuinha (Felipe Duarte) ein Teil der Gruppe wird, gerät die männlich dominierte und zweifelsohne auch idealisierte Welt die sich die Jugendlichen erschaffen haben, endgültig aus der Balance.

Überhaupt scheint der ganze Film von Cecília Amado wie ein Traum zu wirken und die nicht immer auf den ersten Blick linear und stellenweise sprunghaft erzählte Geschichte, verleitet den Zuschauer dazu sich in der Geschichte zu verlieren. Und selbst im Stil des Films, der durch seinen immer wieder aufkommenden Stakkato-Schnittrhythmus stellenweise den Eindruck von Gedanken- oder eben Traumfetzen vermittelt, spiegelt sich der ständige Wechsel zwischen Härte und Emotionalität wieder, der auch die Figuren in der Geschichte umtreibt. Doch selbst diese Härte und die damit einhergehend Gewalt, wirkt zu keiner Zeit brutal. Besser gesagt gleicht die filmische Umsetzung wirklich einem Capoeiratanz, der im Kern als Kampfsport eigentlich für Härte steht, nach außen und in seiner Ausführung, jedoch Elenganz und Leidenschaft widerspiegelt.
Das bemerkenswerte an diesem Film ist, dass er zu keiner Zeit mit einem mitleidigen Blick auf die Geschehnisse herabblickt. Vielmehr vermittelt er ein Gefühl von Verständnis und nicht der Verzweiflung oder Resignation, was in Anbetracht der Situation vielleicht auch verständlich wäre. Die Armut und die Situation die sie schafft, sind nicht festgeschriebene Dinge und es gibt immer die Möglichkeit und den Glauben daran, dass sich Träume und Sehnsüchte doch erfüllen. Zugleich erinnert der Film aber auch daran, dass es notwendig ist für eine bessere Situation zu kämpfen, die Armut im gleichen Moment aber auch ein Teil des Lebens ist. Es geht somit nicht darum gegenüber dieser Situation zu resignieren, sondern sie zu akzeptieren und zu verstehen, dass das Leben immer ein Tanz zwischen zwei Polen ist.

 

Filmtitel: Capitães da Areia
Produktionsjahr: 2011
Produktionsland: Brasilien
Regie: Cecília Amado, Guy Gonçalves
Drehbuch: Cecília Amado (Basierend auf dem gleichnamigen Buch von Jorge Amado)
Kamera: Guy Gonçalves
Schnitt: Eduardo Hartung
Musik: Carlinhos Brown
Darsteller: Jean Luis Amorim, Ana Graciela, Roberio Lima, Israel Gouvea, Paulo Abade, Marinho Gonçalves, u.a.
Filmlänge: 96 Minuten
Format: 35 mm / 1.85 : 1
Kinostart: 7. Oktober 2011 (Brasilien)
Produktion: Lagoa Cultural & Esportiva, Instituto do Cinema e do Audiovisual (ICA), MGN Filmes

Das Filmfestival "Première Brasil 2012" im Haus der Kulturen der Welt zeigt vom 7. bis 18. November die besten Filme des Rio de Janeiro International Film Festival aus dem Jahr 2012. Schwerpunkt sind in diesem Jahr die Literaturverfilmungen (Brasilien ist 2013 Gastland bei der Frankfurter Buchmesse) und der Blick in den inneren Teil Brasiliens, der nicht immer im Blickpunkt des Interesses steht.

Lesen Sie hierzu auch die Kritik zu Eduardo Coutinhos Dokumentarfilm AS CANÇÕES