Mescalin und freie Liebe über den Wolken

Pedro Almodóvars Fliegende Liebende

"Fliegende Liebende" (Regie: Pedro Almodóvar). © TOBIS Film

„Fliegende Liebende“ (Regie: Pedro Almodóvar). © TOBIS Film

Als auf dem Flug 2549 der Peninsula Airways nach Mexiko-City klar wird, dass eines der Fahrwerke klemmt und somit eine Bruchlandung nicht mehr ausgeschlossen werden kann, beschließen die Flugbegleiter um Chef-Steward Joserra (Javier Cámar) die Passagiere der Economy Class zu betäuben, um keine Panik ausbrechen zu lassen. Nur die wenigen Passagiere der Business Class sind noch wach, doch auch ihnen versucht die Bordcrew lange zu verheimlichen, dass es ein Problem gibt und sie eigentlich schon seit 8 Stunden auf der Suche nach einem Flugplatz ziellos über Toledo / Spanien kreisen.
Als die Wahrheit dann aber trotzdem ans Licht kommt, macht sich langsam Panik breit. Um die Situation jedoch zu entspannen, versuchen Joserra und die anderen Stewards Fajas (Carlos Areces) und Ulloa (Raúl Arévalo) sich und die aufgebrachten Gäste mit Alkohol und Mescalin zu beruhigen. In Anbetracht des vermeintlich bevorstehenden Todes und angeheitert durch den verabreichten Alkohol und die Drogen, kommen in der engen Umgebung des Flugzeugs, in der man sich eigentlich nicht aus dem Weg gehen kann, immer wieder Geschichten, Verwicklungen und Erkenntnisse zu Tage, die bis dato jeder der Beteiligten für sich behalten hatte und vielleicht auch nicht wahrhaben wollte.

Man sagt, Komödien seien eine Königsdisziplin. Das Problem bei FLIEGENDE LIEBENDE ist zweifelsohne nicht der Mangel an skurrilen Personen und Figuren, wie sie auch sonst die Filme von Almodóvar bevölkern. Auch Lacher, Kern einer Komödie, finden sich hier genügend – selbst wenn der Film bei der Pressevorführung leider in der deutschen Version lief und so vermutlich auch viel der Nuancen und der Atmosphäre verloren ging, die im spanischen Original mitschwingt.
Im Film finden sich auch die skurrile Irrungen und Wirrungen, die charakteristisch sind für die Filme des spanischen Regisseurs. Während in den vorherigen Filmen besagte skurrilen Irrungen und Wirrungen des Plots jedoch einen Effekt auf den ganzen Film hatten, deren dramaturgische Tragweite viel größer war und somit auch nachhaltig die Schicksale irgendwie aller Figuren im Film beeinflusst hatten, verpuffen sie hier leider zu schnell. Beispielhaft hierfür ist wohl die Geschichte um Señor Más (José Luis Torrijo), der als Manager vor der Polizei nach Mexiko flüchtet und das Flugzeug am Ende genau auf dem leer stehenden Flughafen notlandet, den er durch seine finanziellen Spekulationen in den Sand gesetzt hat. Sicherlich skurril und ironisch, aber der dramaturgische Einfluss auf die Figuren und ihre Leben hält sich durch diese Wendung in Grenzen.
Heraus sticht bei diesem Film aber sicherlich die Darstellung von Sexualität bzw. Homosexualität, die eigentlich immer bei den Filmen von Almodovár präsent ist und thematisiert wird, hier jedoch auf exzessiv skurrile Art und Weise einen Höhepunkt erreicht. Nach der Pressevorführung warf die Kollegin filmosophie vom filmosophie.com die These auf, dass Almodóvar mit der übertriebenen Darstellung von Sexualität hier auf sich selbst verweist, zumal sich unter den Passagieren auch zahlreiche bekannte Gesichter wiederfinden, die schon in früheren Filmen Almodóvars mitgespielt haben: Javier Cámara in SPRICH MIT IHR (orig. HABLE CON ELLA), Lola Dueñas in ZERRISSENE UMARMUNGEN (orig. LOS ABRAZOS ROTOS) und VOLVER – ZURÜCKKEHREN (orig. VOLVER) oder Cecilia Roth in ALLES ÜBER MEINE MUTTER (orig. TODO SOBRE MI MADRE) und DAS KLOSTER ZUM HEILIGEN WAHNSINN (orig. ENTRE TINIEBLAS) – um nur ein paar zu nennen. Eine interessante These, die sogar zu erweitern wäre. Selbst wenn Almodóvar davon spricht, dass es sich nicht um einen gesellschaftskritische Komödie handelt, drängt sich der Verdacht stellenweisen doch auf. Die wiederkehrenden Anspielungen auf die Katholische Kirche (in spanischen Filmen sicherlich nicht unnormal), die Verweise auf die sexuellen Eskapaden gewisser spanischer Persönlichkeiten, wie z.B. die des spanischen Königs, und die Tatsache, dass das spanische Verfassungsgericht 2012 (und somit kurz davor) die gleichgeschlechtliche Ehe verfassungsgemäß bestätigt hat, lassen den Verdacht zu, dass es sich hier durchaus um einen bewussten gesellschaftlichen Verweis handelt. Auch die Tatsache, dass alle männlichen Flugbegleiter homosexuell sind, am Ende des Films eine aus dramaturgischer Sicht nicht relevante Stewardess ihre Transsexualität selbstbestätigend anspricht, manche der Figuren im Film erst jetzt zu ihren wahren sexuellen Neigungen stehen und die Passagierin Norma (Cecilia Roth) als Sex-Ikone der 70er und Vorreiterin der sexuellen Befreiung thematisiert wird, scheinen das zu untermauern.
Auch in Hinblick auf die Kritik an Almodóvar seitens des Präsidenten des spanischen Verbandes der Schwulen, Lesben und Transsexuellen, der ihm 2005 einmal nachsagt hatte, sich in der Öffentlichkeit zu wenig für die Rechte von Homosexuellen einzusetzen, lässt FLIEGENDE LIEBENDE stellenweise wie ein komödiantisches und ehrliches Plädoyer für die queere Gemeinde, sexuelle Toleranz, sexuelle Vielfalt und Lebenslust erscheinen. Die Frage ist jedoch, ob das auch so verstanden wird und der Film, der stilistisch gesehen vielleicht nicht der beste des Regisseurs ist, von der Mehrheit der Zuschauer nicht einfach als seichte und inhaltlose Komödie abgetan wird.

Filmtitel: Fliegende Liebende
Produktionsjahr: 2013
Produktionsland: Spanien
Originaltitel: Los amantes pasajeros
Regie: Pedro Almodóvar
Drehbuch: Pedro Almodóvar
Kamera: José Luis Alcaine A.E.C.
Schnitt: José Salcedo
Musik: Alberto Iglesias
Ton: Iván Marín
Darsteller: Antonio de la Torre, Hugo Silva, Miguel Ángel Silvestre, Laya Martí, Javier Cámara, u.A.
Filmlänge: 90 Minuten
Format: 1:1,85
Kinostart: 4. Juli 2013
Verleih: TOBIS Film GmbH & Co. KG