Das koloniale Imaginäre

Interview mit Anselm Franke, Kurator der Ausstellung "Animismus" im Haus der Kulturen der Welt, Berlin

Was ist das Besondere der Ausstellung, die nun hier in Berlin ihre dritte Station hat?
[00´20“]
Es gibt eine ganze Reihe von entscheidenden Neuproduktionen. Das ist vielleicht das Wichtigste, was sich absetzt von anderen. Es hatte eigentlich jede Ausgabe einen eigenen Fokus. Der Fokus ist hier nicht sehr eingeengt. Das liegt daran, dass ich natürlich immer überlege: „Was bedeutet es diese Ausstellung in dieser und nicht in einer anderen Institution zu machen.“ Im Haus der Kulturen der Welt wollte ich eigentlich das ganze Spektrum der Implikationen durchdeklinieren, zumindest ansprechen. Ganz einfach weil sich im Haus der Kulturen der Welt die Probleme eines solchen historischen Erbes noch im Titel auswirkt. Hier geht es ja darum, dass wir einen Dialog mit anderen Kulturen führen. Also geht´s natürlich auch um koloniales Erbe. Die Ausstellung spricht ja auch von dem kolonialen Imaginären. Welche Vorstellungswelt hat eigentlich zu der Vorstellung der eigenen Überlegenheit geführt, die dann zur Legitimierung des kolonialen Projekts wesentlich wurde? Das Haus der Kulturen der Welt ist als institutioneller Kontext die erste Erwägung dafür, wie die Ausstellung hier aufgestellt ist. Heute würde sich ja sinnvollerweise niemand gegen so etwas wie den Dialog wenden. Was aber auch bei aller globalen Umarmung des Dialogprinzips heute unter den Tisch fällt, ist die Frage: „Wie verhandelt man eigentlich die Bedingung unter denen Dialoge stattfinden.“ Und da ist diese Ausstellung hier darauf angelegt, die Bedingungen, unter denen Moderne die Nicht-Modernen Animisten beschrieben haben, zurückzuspiegeln. Es geht darum die Bedingungen selber zu problematisieren. Deshalb findet man in dieser Ausstellung auch keine Objekte, von denen andere Kulturen glauben, sie seien belebt oder was weiß ich. Das sind so Schlagwörter, die immer schon alle Türen zu machen.

Gibt es eine Klimax in der Abfolge der Ausstellungen?
[3´15“]
Es reichert sich immer mehr an. Und die Erzählung wird natürlich auch präziser. Im Prinzip ist es ja eine erzählende Ausstellung, eine dramaturgische Ausstellung. Also jede Arbeit hat einen Platz in der essayistischen Erzählung. Das heißt nicht, dass die Arbeiten irgend etwas illustrieren. Aber sie haben einen ganz klaren Platz in der Erzählung, weil es ja auch die Idee ist, den Animismus als so eine destabilisierende große Erzählung zu verwenden. Es geht ja nicht darum zu sagen, dass wir jetzt keine keine großen Erzählungen mehr machen, weil die alle schlimm und kolonialistisch waren, sondern: suchen wir mal nach guten Gegenepen, z.B. mit so einem Aufstieg. So Epen in denen wir uns bewegen und von denen unseren Kindern relativ ungebrochen in der Schule erzählt wird. Da ist ja zum Beispiel der Epos der Moderne als des Aufstiegs der Wissenschaft und da nehmen einfach 99% derjenigen, die sich noch in diesem Epos bewegen, in Kauf, dass das so etwas heißen soll wie die Entzauberung der Welt, die Ablehnung eines Animismus. Man sieht nicht, dass sich darin ein Kreuzzug verbirgt, der mit guter Wissenschaft nichts zu tun hat.

Wie kann der Animismus neu bestimmt werden?
[4´50“]
Wie kommt man aus den Fallen der Opposition heraus? Das ist, ich sag mal, relativ simpel. Die Antwort, die die Ausstellung darauf gibt, ist ja: den Blick auf die Praktiken die die Grenzen produzieren und aber auch überschreiten, verhandeln selber richten usw. und nicht auf das, was auf der einen oder anderen Seite auf der Grenze ist. Wir gehen nicht von einem existierenden Begriff der Moderne versus des Animismus aus oder als gäbe es so etwas wie eine stabile Natur da draußen, als Faktum und so etwas wie eine Kultur als Faktum. Wenn man das jetzt philosophisch kurz umreißt – ohne da jetzt zu abstrakt werden zu wollen, aber es ist nun mal sehr relevant, weil dieses Gebäude nun auch seit vielen Jahrzehnten zusammenbricht und vielleicht in den letzten Zügen liegt – natürlich ein Erbe des Dualismus und des Substanzdenkens. Das Substanzdenken geht ja davon aus, dass es diskrete Identitäten gibt. Danach gäbe es so etwas wie die res extensa, ohne dass man irgendeine Relation zu ihr unterhielte. Wenn das Substanzdenken, das davon ausgeht, dass tatsächlich die Dinge auf der einen oder anderen Seite tatsächlich existieren und dass es tatsächlich nur darum geht, durch Arbeit herauszufinden, wo die genau die Grenze verläuft und irgendwann hat man es dann heraus. Wenn man das aufgibt und nach innen stülpt, dass solche Pole wie Natur und Kultur Produkte von Grenzpraktiken sind. Von Praktiken, die erst einmal anfangen, indem eine Unterscheidung getroffen wird. Dann fangen andere Praktiken an, sich um diese Entscheidung herum aufzubauen und langsam entsteht so etwas wie ein Naturbegriff gegen die Natur. Ich bin gar nicht so sehr gegen die Oppositionen. Ich bin nur gegen den substantiellen Dualismus darin und da bin ich überhaupt nicht eine Einzelfigur. Das ist eine Bewegung, die seit den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts eigentlich alle wesentlichen philosophischen und auch technologischen Projekte, man denke nur an die Kybernetik, durchzieht, wo das Paradigma der Substanz abgelöst wird durch das Paradigma der Kommunikation, des In-der-Relation-Sein. Grenzpraktiken anstelle von stabilen Identitäten, das ist so eine Formel für das Auflösen, weil man auch nichts anderes Politisieren kann, als Grenzpraktiken. Es gibt, darauf wollte ich noch hinaus, es gibt nämlich eine große Falle, von der der Begriff des Animismus und alles, was davon kontaminiert und vielleicht utopisch damit zusammenhängt. So wie die Romantik, die dann zur Ökobewegung wird und die dann glaubt, es gäbe so etwas wie eine Einheit des Menschen mit der Natur und die Hippies gehen dann noch einmal raus in die Wüste und suchen sie: nur sie finden sie nicht. Denn diese Idee der Einheit ist selbst schon ein Produkt der Grenzziehung. Da kommt man nicht weiter, weil es die Grenzziehung nur negativ bestätigt, indem es sich versucht auf die andere Seite zu bewegen. Es geht im Gegenzug darum die Art und Weise wie diese Grenzziehungen Dinge möglich und unmöglich machen ins Blickfeld zu rücken.

Wie ließe sich das Verhältnis von Medium und Animismus beschreiben?
[09´10“]
Das ist glaube ich ein sehr interessanter Punkt: die Frage des Mediums. Die spielt ja auch direkt in der Ausstellung eine Rolle, wenn wir mit dieser Ikonographie des Medienbegriffs über den Mesmerismus anfangen, als die Frage, was eigentlich ein Medium ist, was eigentlich Medialität ist, die noch nicht eingehegt und gereinigt war. Vielleicht ist es da ganz sinnvoll, sich mal auf den Wissenschaftsanthropologen Latour zu beziehen. Der hat eine schöne Formel geprägt, die wesentliche Deckungsgleichheit oder Überschneidungen hat mit dem Begriff des Animismus. Der Ausschluss in der Moderne, die Hybridität zu denken, ist auch ein Ausschluss des Medial-Seins und zwar ganz real. Das ist nicht nur ein abstrakter Ausschluss, man kann das an tausenden kleinen Geschichten sehr genau bestimmen. Eine dieser Geschichtsschreibungen, oder Evokationen einer solchen Geschichte, findet man zum Beispiel bei Adorno, der von Ausschluss des Mimetischen spricht. Dann ließe sich natürlich die Hexenjagd so lesen, es lässt sich die Geschichte der kollektiven Feste in Europa so lesen. Wir Haben es einerseits ganz klar mit einem Ausschluss zu tun, der auch ein Ausschluss des Animismus ist, Mediumistischer Zustände, Verfahren und Techniken. Latour beschreibt ja den Ausschluss dieser Hybridität zwischen Objekt und Subjekt im Denken der Moderne als paradoxe Figur, die deren Vermischung überhaupt erst in einem unerhörten, bisher unbekannten Maßstab möglich gemacht hat in der Technologie, als Möglichkeitsbedingung. Das ist eine ganz wichtige Geschichte, dass der Ausschluss zur Möglichkeitsbedingung wird, für eine Proliferation, dass heißt auch, dass diese Proliferation unter bestimmten Koordinaten stattfindet. Wenn sich Latour auf Technik bezieht, dann ließe sich darauf sagen, diesen Punkt macht er selbst ja auch immer wieder, dass dieser Ausschluss auch immer bedeutet, dass er unter Ausschluss von jeglichem politischen Vorgang stattfindet. Die Technik kommt über uns wie die Kometen und wird nicht wirklich verhandelt und nicht wirklich politisierbar, auch wenn er da vielleicht eine ambivalente Haltung hat: sie wird zum Unbewussten der Moderne. Vieles davon wird in das Feld des Unbewussten deligiert. Das Unbewusste ist ja nicht einfach irgendwas, was da wäre, sondern es wird natürlich produziert. Ich möchte vielleicht noch zwei drei Anmerkungen machen: die Frage des Medialen, da gibt´s so ne ganz profane Realität, die jeder sofort anerkennen kann: das ist z.B. ein Großteil der sozialen Emotionen, die eben genau das sind: sozial. Das heißt Phänomene, die genuin mit Medialität zu tun haben. Man wird zum Medium eines Milieus, man stimmt sich ein, oder man fällt raus: warum wird überhaupt gelacht in einer Situation? Das gesamte Soziale kann nicht gedacht werden, ohne das Mediale. Abwesenheit des Medialen heißt Abwesenheit des Sozialen. Nur das, was wir als das Soziale verstehen und was wir als medial verstehen und was für eine Sprache dafür haben, ist vielleicht wirklich ein blinder Fleck, weil wir für die Art und Weise wie wir zu Medien werden für das Passiv oder die Reaktion, dafür haben wir überhaupt keine entwickelte Sprache. Da gab´s einen radikalen Ausschluss. Ich glaube ich habe das auch irgendwo geschrieben. Ich glaube das absolute Symptom davon ist die Idee, die Reaktion, dass weiße Europäer in den letzten zwei Jahrhunderten oft Besessenheitskulte hatten. Besessenheit ist ja wirklich eine Idee von Medial-Werden. Und es lässt sich im europäischen Imaginären, glaube ich, keine Figur finden, die Anti-Moderner ist als der Besessenheitskult. Ein Moderner kann nicht gleichzeitig sich besessen lassen. Ein Moderner kann nur besitzen, aber er kann nicht besessen werden, das ist auch dieses Spiel mit Objektivierung und Besitz und Besessenheit. Das ist auf der buchstäblichen Ebene erstaunlich kohärent.

Warum sind in der Ausstellung die technischen Apparaturen so präsent?
[15´15“]
Das ist die Insistenz des Medialen, wenn sie keine andere Form mehr hat. Das ist ein merkwürdig morphologischer Geschichtsbegriff, der natürlich immer seine Tücken und Fallen hat, aber zumindest von einer bestimmten Warte aus, wenn man sich nicht allein in den Epos des unaufhaltsamen Fortschritts des Wissenschaftlers und der Erfindung einschreiben will – also dieser Fortschritt, dann wäre ein mögliches Gegenbild dazu, dass die Apparate, die Technik, wir wissen ja auch eigentlich gar nicht, was das eigentlich wirklich ist, außer dass es eben Vermittlungsagenturen sind, also Medien, dass die in dem Moment auftauchen, wo andere Formen von Medialität im Sozialen verfallen oder radikal ausgemerzt werden. Jimmy Durham, der Künstler, der in der Ausstellung von Anfang an auch mit dabei war, spricht da gerne von den modernen Europäern als einem sehr, sehr kriegerischen Volk. Die haben natürlich verschiedene Kriege zu verschiedenen Zeiten geführt und eine Geschichte ist natürlich die Disziplinarisierung und da gab es einen gigantischen Ausschluss an medialen, sozialen Praktiken. Eigentlich ist die Form von Geschichtsschreibung, die uns davon am meisten Rechenschaft ablegt der Feminismus. Denn die Geschichte des patriarchalen identitären Regimes ist identisch mit diesem Ausschluss der sozialen Medialität.

Zeichnet sich das Medium Film insbesondere durch die Möglichkeit aus, das Begehren neu auszurichten?
[17´25“]
Ja sicher. Weil der Film dieses merkwürdige Zwischenstadium von Mumifizierung und Animation hat. Also ich denke, dass ist natürlich schwierig dem in so einer verkürzten Darstellung gerecht zu werden. Eindeutig ist ja, dass es erst einmal so etwas wie eine Kanalisierung von Begehren geben muss, die sich umsetzt in technologische Apparatur und da kann man ja auch, den nicht immer einfach zu entschlüsselnden Walter Benjamin als Kronzeugen anführen. Der vom 19. Jahrhunderten als einem Jahrhundert des neuen Bildbegehrens spricht und er ist natürlich längst nicht der Einzige und viele Kritiker seiner Zeit haben versucht zu verstehen, warum die Massen auf die Weltausstellung rennen und durch die Teleskope glotzen „als würden sie“ – ich habe jetzt vergessen, wer das gesagt hat – „die Unendlichkeit erspähen“. Aber dass es einen enormen Hunger nach diesen objektivierenden Bildern gibt, die eine Handhabung, eine unmittelbare Unterwerfung versprechen, so wie die Ausstellung von Nicht-Modernen Kulturen auf den Weltausstellungen. Ausstellung ist eine Objektivierungsform und eine ganz klare. Wenn man ein dialogisches Diagramm anfertigen wollte – wer spricht hier eigentlich mit wem und unter welchen Bedingungen – dann ist klar in welcher Asymmetrie, wie asymmetrisch das ausfällt. Da findet nur ein Monolog über etwas statt, und gar kein Dialog mit irgendetwas. Jedenfalls kein Dialog, der irgendwie in der Lage wäre die Bedingungen dieses Settings zu verhandeln. Und diese Formen von Habhaftwerden, Unterwerfen, Objektivieren, Mobilisieren, schlagen ständig um ins Gegenteil. Nur unter welchen Bedingungen? Und da muss man scharf sein, also sehr vorsichtig, weil das Begehren die Dinge zu konservieren unmittelbar mit einer License-to-kill einhergeht und durchaus mal spekulativ in Verbindung mit dem genocidalen Impuls der Moderne gebracht werden darf. Wie wurden denn unsere Nationen und die neuen identitären Regime geschaffen: „unter in Kaufnahme von…“? Das hat natürlich mit Wissensordnungen zu tun, die auf Objektivierung aufbauen. Und es gibt immer Gegenbewegungen, weil das Begehren natürlich nicht reduzierbar ist. Deswegen wäre auch so eine der Thesen des ganzen Animismusprojektes: die Menge an Animismus bleibt in jeder Gesellschaft immer gleich. Oder die Menge an Medialität. Die einzigen Unterschiede, die es gibt, sind die Formen von Kanalisierung und Objektivierung, also Deanimation. Eine unglaublich wirkmächtige Form von Kanalisierung. Das Ausgeschlossene meldet sich natürlich zurück als Symptom. Und sobald die Bilder zu laufen anfangen, sind sie bevölkert von symptomatischen Delirien und allem Monströsem und Hybridem, was sich jetzt eine Bühne sucht, allem Halbtoten und Zombiehaften.

Welche Rolle spielte die Antipsychiatriebewegung für den Animismus?
[21´50“]
Das ist vielleicht eine der letzten radikalen intellektuell-politischen Bewegung gewesen. Es war ja auch einmal eine sehr breite und einflussreiche Bewegung gewesen. Wir hatten letztens einen Film gezeigt auf der Berlinale über R.D. Laing und mir war neu, dass R.D. Laing sechs mal so viele Bücher in der Geschichte verkauft hat, wie Sigmund Freud. Der war ein Megastar, Wahnsinn. Weil die Antipsychiatrie versucht hat einen Schlüssel zu finden: „Was ist eine soziale Ordnung und wie konditioniert sie uns? Wie wird das über bestimmte Ideen von Normativität verhandelt und wo findet von der Mikro- zur Makroebene soziale Repression statt?“ Gleichzeitig ist es natürlich der historische Moment, als über die Institution eines radikalen Aus- und Einschlusses, nämlich der Psychiatrie, radikal Freiheit gedacht wird. „Was könnte das überhaupt sein, eine nicht-repressive Gesellschaft?“ Das ist ja die Kraft der Antipsychiatriebewegung. Die Forderung an das Denken, an die Praxis den Umgang mit Differenz mit anzubringen. Andererseits ist der historische Moment, in dem das stattfindet, noch komplett davon gekennzeichnet. Das ist das große tragische Schicksal der ganzen Gegenkultur, für die dieses Jahr ´68 so einstehen muss, dass es noch in so einem Schema der Transgression, die sich auf ein Außen bezieht, stattfindet. Und zwar ein Außen in Bezug auf eben die disziplinarischen Institutionen, was Deleuze ja ganz entscheidend in der Analyse der Transformation des Staatskapitalismuskomplexes von dem Disziplinarregime der Einschließung gezeigt hat. Es ist auf Regulation von Mobilität aus: nummerieren, kategorisieren, einschließen, zurichten, einhegen, usw. Um diesen Zeitpunkt herum findet eine große Transformation statt. Die bahnt sich schon in der Kybernetik an. Ganz klar dort, wo der Kapitalismus und die Staatsmacht nicht mehr in dieser Form anfangen einzuschließen und zu kontrollieren, sondern zu modulieren. Das ist der Beginn des Managens. Für dieses Management braucht es diese radikale Zurichtung nicht mehr, sie umarmt quasi die Vielheit, aber nur quasi. Sie privatisiert die Differenz. Deswegen ist die Antipsychiatrie keine wirkliche Erfolgsgeschichte. Die meisten Institutionen, nicht alle, aber die meisten Institutionen sind wieder zurückgegangen zu klassischen Psychiatrieformen, die sich damals geöffnet haben. Diese Transformation der Gesellschaft, dieses Versprechen, das damit einherging, wurde von systematischer Seite her aufgefangen.

Wie steht es heute um experimentell arbeitende Kliniken wie in La Borde?
[25´55“]
La Borde existiert noch auch in der institutionellen Praxis in der Psychiatrie. Es hat natürlich nicht mehr diesen radikalen Moment. Es hat nicht mehr den Anspruch an die Gesellschaft. Es ist auch sehr schwer geworden das heute zu artikulieren, weil sich alles, was mit Psychopathologien zu tun hat, und das ist Teil dieser Transformation, sehr schwer greifen lässt. Aber da gibt´s ja viele Leute, die das versuchen zu analysieren. Franco Berardi gehört natürlich dazu. Denn Psychopathologien privatisieren sich heute extrem. In dem Moment, wo wir zu Unternehmern unserer eigenen Psyche werden sind wir ständig mit einem kleinen Psychokonto unterwegs und wenn wir uns zu tief verschulden, weil wir nicht gut managen, dann ist es bis zu einem gewissen Grad immer erst einmal allein unser Problem. Wenn sich das Problem zu kollektivisieren droht, dann gibt es immer sofort wieder die klassische Anstalt. Aber bis dahin ist man erst einmal ein privatisiertes Selbst, was seine Probleme nicht kollektivisieren darf. Und die Antwort wie man die Therapien kollektiviert, also zu einem Kollektiven Problem macht, die sind in der Antipsychiatrie auch nicht wirklich gefunden worden. Also sicherlich in Ansätzen, aber sie haben den Wandel, die Transformation, der Art und Weise, wie regiert und Kapitalismus betrieben wird… sie haben nicht wirklich Stand halten können.

Ist Kunst, die sich am Animismus abarbeitet, eine Form melancholischer Trauerarbeit?
[27´50“]
Ja, da gibt es wahrscheinlich viele gute Beispiele für. Ich sehe genauso auch das Gegenteil. Wie die Psyche ist die Kunst auch so ein Restprodukt des Ausschluss des Animismus. In der Kunst darf man noch Hybride erzeugen, Unklarheiten zwischen Objekten und Subjekten Dingen und Personen schaffen. Das macht ja überhaupt Kunst aus, aber unter der Klammer „Kunst“. Autonomie für den Preis der Inkonsequenzialität, das ist ja die Formel. Freiheit der Kunst, solange ihr jetzt nicht anfangt zu behaupten, das sei jetzt real und politische Konsequenzen z.B. einfordert. Da findet sicherlich, dadurch dass das zum Gehege für animistische Restverwaltung wird, wie die Psyche auch, aber unter ganz anderen Bedingungen, findet da sicher auch Trauerarbeit statt, natürlich ist die ganze Romantik nichts anderes als die Trauerarbeit am Einschluss des Animismus. Die Romantik ist ja so ein komisches Aufblitzen an der Transformation, wo man noch ein letztes Mal die Seele als etwas äußerliches denken kann, bevor es dann endgültig in einen individualisierten Kontainer verpackt wird, wo als symptomatische Pathologie die Hysterie entsteht: am nachromantischen Verpacken der Psyche. Ich würde das Gegenmodell genau aber auch sehen: in diesem Gehege der Kunst ist auch das Gegenteil von Melancholie – ich weiß gar nicht, ob es das Gegenteil ist – aber eine extreme Möglichkeit innerhalb dieser Subjekt-Objekt-Hybride Zustände von Medialität zu erforschen und zu ertasten, was darin Momente von Souveränität sind, von ontologischem Anarchismus. Also mit Souveränität meine ich so etwas wie nicht nur ein aufgelösten Selbst, sondern durchaus auch das Gegenteil. Die Frage ist ja auch, gibt es Gegenmodelle zu der Idee des bürgerlich souveränen Individuums und ich glaube da taugt die Kunstgeschichte ganz gut zu, darüber noch einmal nachzudenken.

Ist der Animismus auch eine Frage der Ethik, insofern als er sich kritisch zur Moderne stellt?
[30´40“]
Die Ausstellung funktioniert nicht wirklich in so einem Entgegen-Stellen-Modus. Sie funktioniert nicht wirklich in den alten Fronten von Hegemonie usw. Weil sie sich, das war, ja vorhin der Versuch, weil sie sich eben nicht auf die eine oder andere Seite einer Grenze schlägt. Das heißt nicht, dass man nicht Partei nimmt. Parteinahme ist etwas ganz anderes und das halte ich für ganz wichtig. Das Wichtigste an der Ethik ist die Frage nach der Politisierung darin. Und das Wichtigste am Fehlen der Politik ist ja das, was erst einmal gar nicht den Bereich der Politik betritt. So wie die Politik sich an dem Subjekt testet, was keine politische Stimme hat.

Wie ließe sich eine Linie vom Imaginären zur politischen Konsequenz skizzieren?
[31´55“]
Da gibt es verschiedene Ebenen zu dieser Frage. Die Einhegung in das bloß Imaginäre ist ja auch bloß imaginär. Das kann man an der bildenden Kunst viel schwieriger zeigen als an der Literatur. Wenn man überlegt, z.B. ob Mädchen Romane lesen dürfen wie es im 19. Jahrhundert in Amerika diskutiert wurde, da wird sehr deutlich, dass das Imaginäre nie bloß imaginär ist, sondern konsequenziell bleibt. Insofern diese Einhegung immer nur eine Assemblage aus Praktiken ist, die im entscheidenden Moment bestimmte Ausschlüsse legitimisieren, die aber nie absolut sind. Deswegen stelle ich mir auf einer gewissen Ebene die Frage nie, wie kann es denn jetzt wirklich rausgehen. Weil es sowieso immer schon draußen ist und ich glaube auch nicht, dass z.B. eine Ken Jacobs animierte Stereographie in irgendeinem angenommen Außen der Kunst eine politische Wirkung hätte. Was soll das auch sein? Ich glaube, dass die Politik immer schon in diesen Kunsträumen drin ist. Das ist aber nichts, von dem man eine Antwort auf eine utilitaristische Frage erwarten kann, aber durchaus auf historisches Bewusstsein. Bei Ken Jacobs geht´s ja um Fragen der Parallelität der Geburtsstunde von modernen kapitalistischen Systemen: die Urszene der Plantage, die repetetive Geste für ein neues Körperregime und das affizierende Bild. Diese Amalgamisierung eines solchen Moments, wozu ist das da? Das ist dazu da, um einen historischen Bewusstseinsraum aufzumachen und das ist im Zweifelsfall politisch, weil es etwas ins Feld der Politik bringt. Einfach indem es ein Bewusstsein dafür schafft, was sonst normalerweise aus dem Feld des Politischen rausfällt.

Besteht die kuratorische Verantwortung darin, Ausstellungen im Allgemeinen immer auch als Objekvierungsform mit zu reflektieren?
[34´40“]
Es gehört schon immer zur Verantwortung und vor allem auch zum Spaß daran. Weil das ja auch vertrackt ist. Auf der einen Seite denkt man: das ist ja ganz simpel, oder? Aber das ist ja überhaupt nicht der Fall. Es ist ja hoch kompliziert. Und es kann ja auch extrem frustrierend sein, weil die ganzen Versuche populärer Ausstellungen da natürlich radikal rüberfahren müssen und dadurch auch zu Mähdreschern von historischem Bewusstsein werden. Für mich ist das tolle an diesem historisch gewachsenen Raum der Ausstellung, dass der immer überladen ist mit falschen Sehnsüchten und Erwartungen à la „ethnographische Ausstellung früher“. Das tolle ist ja, dass in dem Bereich des Musealen und der bildenden Kunst – wie sich das geschrieben hat, das ist ja hoch prekär, und überhaupt nicht sicher – aber sie erlaubt bestimmte Sachen signifikant werden zu lassen. Also Details können in diesem Raum signifikant werden, wo es in einem anderen Raum wahnsinnig schwer wäre diesen Aufmerksamkeitsfokus überhaupt so zu richten. Das ist das tolle. Zu dieser Frage des Innen und Außen des Kunstraums: das entscheidende scheint mir zu sein, dass man klar sehen muss, wo das Außen immer steht. Ich würde da ganz klar gegen eine Kunst-Leben-Trennung argumentieren und gleichzeitig würde ich die Trennung des Kunstraumes vom Außenraum komplett affirmieren. Weil diese Feinheit so wichtig ist und dieses Aufbrechen können. Wir sind ja als Kunstraumagenten ganz klar „Guardians of Doubt“. In Bezug auf den Animismus z.B. ist es total wichtig, dass man jetzt irgendwelche Kontexte hat, wo der Animismus als Eigenkultur entdeckt wird, da gibt´s ziemlich viele Bereiche, und wo das ziemlich problematisch wird. Neue Identitätskonstruktionen werden politisch auf nicht besonders feinfühlige Weise… Vor allem ist immer auch die Frage, welche Politik dabei herauskommt und wie man was in Frage stellen kann? Das ist ja die zentrale politische Frage in diesem Moment. Da muss man auch vorsichtig sein mit diesem Draußen. Es geht um die Art und Weise wie man das in diesem Kunstraum in Verbindung mit Zweifel und Genauigkeit bringen kann. Und es geht immer um eine Rückspiegelung der affektierten Zustände. Das ist ziemlich wichtig für die Aufmerksamkeiten, für alles, was da jenseits dieses Kunstsystems stattfindet.

 

Das Interview führte Johannes Bennke.
Kamera und Ton übernahm Sarah-Tabea Sammel.
Transkription und Schnitt besorgte Johannes Bennke.