Der Martin-Gropius-Bau widmet sich aktuell dem antiken Heiligtum von Olympia und den dort veranstalteten Wettkämpfen. Die Ausstellung „Mythos Olympia – Kult und Spiele in der Antike“ wird gerahmt von Filmen und Vorträge. Am 04.11. war IN DEN BERGEN VON TIROL im museumseigenen Kino zu sehen. Nein, nein, das ist kein Heimatfilm, wie der etwas irreführende Name vielleicht vermuten ließe. Es handelt sich um den offiziellen Film der Olympischen Winterspiele von 1964. Ein Imagefilm, der Werbung macht, nicht nur für die Wettkämpfe, sondern auch für die austragende Region, das Land Tirol.
Regisseur Theo Hörmann ist der richtige Regisseur für dieses Unternehmen, scheint er doch auf Themen abonniert, die mit Bergen, Schnee, menschlicher Überwindung von Hindernissen und dem Kampf mit den Naturgewalten tun haben. Zu Beginn seiner Karriere diente er als Kameraassistent unter Louis Trenker und schleppte Kabel bei dessen alpinen und heroisch verklärenden Filmprojekten wie BERGE IN FLAMMEN (Karl Hartl/Luis Trenker, 1931). Während des 2. Weltkriegs arbeitete er als Kriegsberichterstatter mit dem Skibataillon „Schlebrügge“ und machte einen Dokumentarfilm über die Ostfront, der den Krieg zeigte, wie er war, und widmete sich nach seiner Rückkehr nach Tirol österreichisch-alpinen Themen.
Für IN DEN BERGEN VON TIROL musste sich Hörmann durch eine Unmenge an filmischen Material wühlen, das während der olympischen Spiele von 15 internationalen Kamerateams aufgenommen worden war, und daraus eine Art Olympia-Medley zusammenschneiden. Er zeigt aber nicht nur eine Mischung aus den spannendsten Kämpfen, tragischsten Verlierern, dramatischsten Stürzen und schönsten Sprünge der internationalen Sportveranstaltung, sondern versucht sich daran, einem Format das sich schnell durch das wenig abwechslungsreiche Bildmaterial zu erschöpfen droht, einen künstlerischen Anstrich zu verpassen.
Der Film ist technisch perfekt, dynamisch geschnitten und trickreich inszeniert. Er arbeitet mit Überblendungen, Zeitlupe, Anschluss-Schnitten und sucht nach neuen Visualisierungsformen für sportliche Ergebnisse. Laufergebnisse der Skiabfahrten werden beispielsweise visualisiert, indem mehrere Läufe nebeneinander oder übereinander gelegt werden was die einzelnen Lauflinien als Graphen erscheinen lässt und Abweichungen von der perfekten Linie sichtbar macht. Dazu kommt eigens komponierte Musik, die an den jeweils richtigen Stellen dramatisiert oder entspannt und der Kommentar ist darauf getrimmt, besonders originell zu sein. Verwoben wird das Ganze mit einem Loblied auf Tirol, das Land in den Bergen, wo das ‚Wunder des Aneinanderrückens von Erde und Himmel’ eine ‚majestätische Welt’ geschaffen hat, dessen Einwohner es als ‚Jünger dieser Landschaft’ bei jedem Wetter in die Bergwelt treibt.
Ausführlich beschreibt der Film dann auch die Bemühungen die perfekten Verhältnisse für die Winterolympiade zu schaffen, was nur unter erschwerten Bedingungen möglich war. Denn 1964 wollte es einfach nicht schneien, damals noch eine absolute Seltenheit. Diese Bemühungen werden – natürlich- hochstilisiert zur Überwindung der Natur durch den Menschen, bei der alle hart anpacken müssen, aber durch die gemeinsame Arbeit und das Nutzen von Muskelkraft und neuester Technik schließlich zum Ziel gelangen: vereiste Bobrennbahnen, verschneite Loipen und Sprungschanzen. Auch die sportlichen Leistungen selbst erscheinen als Beweis der Überlegenheit des Menschen über die Natur. So wird die Skiabfahrt zum Beispiel als ‚Überwindung der Angst im Menschen’ eingeführt. Pathos hatte 1964 noch Konjunktur.
Noch mehr Zeitgeschichte transportiert der Film über ganz beiläufige Dinge wie dem Blick ins Publikum der olympischen Spiele. Der offenbart sofort diverse Modesünden des Jahrzehnts, Puschelpelzhauben zum Beispiel, oder betonierte Frisuren, Krankenkassenbrillengestelle und TütenBH´s. Auch die Ausrüstung der Sportler_innen erscheint hoffnunglos veraltet. Funktionskleidung war noch nicht erfunden und so musste man sich mit grobgestrickten Kniestrümpfen und schlecht sitzenden Polyesteranzügen behelfen. Ebenfalls ganz in: die Pudelmütze, auch für Männer.
Das Bildmaterial präsentiert sich in satten Farben, mit obligatorischen Rotstich und leichten Abnutzungserscheinungen. Der Ton schnarrt ein wenig und der Text selbst wird mit dieser ganz speziellen Betonung vorgetragen, die gerne am Ende des Satzes ein wenig in die Höhe geht und so die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit des Gesagten noch mal unterstreicht. Und die Rhetorik des kommentierenden Textes erst! Unschlagbar. Tirol wird da zum ‚freundschaftlichen Treffpunkt für die ganze Welt’, Gastgeber für ‚ehrliche Sportler’, die ‚ritterlich im Geiste’ dem olympischen Gedanken alle Ehre machen. Doping war wohl auch noch nicht erfunden.
Die Kommentare zu den einzelnen Sportler_innen-Persönlichkeiten lassen derweil tief in gesellschaftliche Verhältnisse blicken. Denn das Vokabular zur Beschreibung der jeweiligen Leistungen weist ganz klar männlich und weiblich konnotierte Attribute auf. ‚Skiamazonen’ bezwingen da elegant ‚Strecken die in sanften Wellen und Kurven ganz der Weiblichkeit entsprechen’, wobei Patzer nicht etwa einfach so passieren, sondern zum Beispiel die ‚Grenzen, die Frauen im Eisschnelllauf gesetzt sind’ verdeutlichen. Ihre männlichen Rivalen werden folgerichtig weniger als elegant, sondern als zäh und ausdauernd kategorisiert und deren sportliche Auseinandersetzungen mit ‚Kampf (ganz nach dem Geschmack der Zuschauer)’ oder ‚große Szenen harter Männer’ umschrieben.
Die Sportlerinnen führt der Film u.A. als Hausfrauen ein, die neben Lehrerinnen laufen, während bei den Männern Elektroingenieure gegen Physiker antreten. Auch das ist ein interessantes Detail: 1964 hatten Leistungssportler noch Berufe! Sporteln nur ein Hobby, heute unvorstellbar.
Wie die Rollenverteilung ist auch der Fortschrittsglaube im Jahr 1964 noch ungebrochen. Technische Errungenschaften werden aufwändig eingeführt, wobei Geschwindigkeit als Messlatte für den Neuheitsfaktor und die Qualität der Technik fungiert. Das IBM Rechenzentrum macht aus Millionen von Daten Ergebnisse, Filmrollen werden im zwei-Minuten-Takt entwickelt und ausgewertet und die Stoppuhren messen tausendstel Sekunden.
IN DEN BERGEN VON TIROL ist so vor allem auch ein Zeitdokument, das von ungebrochenem Fortschrittsglaube, naiven Vorstellungen von Ehrlichkeit des Sports und festen Rollenverteilungen zeugt. Der unverhohlene nationale Stolz des Tirolers (als solcher) wird ebenso transportiert wie die internationale Atmosphäre im künstlichem Setting des Olympiadorfs, das es Sportler_innen aus aller Welt ermöglichte, mitten im kalten Krieg friedlich gegeneinander anzutreten, zu wohnen und sich interkulturell auszutauschen. Im Erholungszentrum galt: ‚Beim Twist, gibt es keinen Zwist’.