Diejenigen unter uns, die dachten THE SHINING von Stanley Kubrick sei lediglich eine Buchadaption eines Steven-King-Romans über einen Typen, der einen mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestatteten Sohn und eine etwas sensible Frau hat und der in der klaustrophobisch-verschneiten Abgeschiedenheit eines Berghotels komplett durchdreht, als er versucht einen Roman zu schreiben – wird dank Rodney Aschers ROOM 237 eines Besseren belehrt. Denn in Wahrheit ist der Film eine Parabel auf das Genozid der europäischen Einwanderer an den amerikanischen Ureinwohnern. Oder doch eher eine metaphorische Auseinandersetzung mit dem Holocaust…? Vielleicht spiegelt der Film aber eigentlich auch Stanley Kubricks Verstrickungen in der audiovisuellen „Re-Konstruktion“ der amerikanischen Mondlandung dar…?
Vielleicht stimmt keine dieser Vermutungen, vielleicht aber auch alle.
Kubrick selbst sagte zu dem Thema: „I have found it always the best policy to allow the film to speak vor itself.“ Das hilft also eigentlich niemandem weiter.
In seinem eigentlich als Youtube-Kurzfilm-Projekt geplanten Dokumentarfilm begibt sich Ascher zusammen mit seinem Produzenten Tim Kirk und fünf Filmbegeisterten – ja seit mehreren Jahrzehnten bereits geradezu von dem Film Besessenen – in die Tiefen des Kubrick’schen Universums und auf die Suche nach den versteckten Hinweisen und falschen Anschlüssen des Films.
Das klingt nach „all work and no play…“ – zumindest möchte man dies meinen und einige schräge Verschwörungstheorien erwarten, zeichnen sich Aschers Interviewpartner doch vor allem dadurch aus, dass sie wahrscheinlich viel zu viel Zeit vor ihrem Videorekorder (der Film ist von 1980!) oder DVD-Player verbracht haben, um den Film Sequenz für Sequenz – ja sogar Frame für Frame – durchzusehen und zu analysieren, auf der Suche nach der tieferen Bedeutung dieses Films, der bis heute nichts von seiner hypnotisierenden Wirkung verloren hat.
Während des gesamten Films sind die Interviewpartner nicht zu sehen, lediglich ihre Stimmen und die Einblendung ihrer Namen erlauben eine Zuordnung. Ihre Thesen und Theorien zu THE SHINING werden, wie bei einem Lehrfilm, durch die jeweils passenden audiovisuellen Film-Schnipsel ergänzt. Dazwischen werden Szenen aus Kubrick’s EYES WIDE SHUT oder PATHS OF GLORY gezeigt – der Film besteht also, obwohl es ein reiner Interview-Film ist, eigentlich nur aus verschiedenen Filmclips.
Der Titel des Films bezieht sich auf die Zimmernummer des geheimnisvollen Raums im Overlook Hotel, in welchem Jack Torrance (Jack Nicholson) dem Tod in Form einer zunächst jungen, sich dann jedoch zersetzenden, alten Frau begegnet. Die Zahlenkombination bietet viel Raum für symbolische Spielereien und lässt Geoffrey Cocks, Geschichtsprofessor in Michigan, daher einen direkten Zusammenhang zum Holocaust vermuten, ergibt die Multiplikation der Zahlen 2 mal 3 mal 7 gleich 42 und war das Jahr 1942 doch das Jahr der Wannsee-Konferenz, auf der offiziell die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden war. Dass Jacks Frau Wendy (Shelley Duvall) und der kleine Danny (Danny Lloyd) sich gemeinsam Robert Mulligans SUMMER OF 42 ansehen und Danny gleich zu Beginn des Films einen Pullover mit der Nummer 42 trägt scheint ihm Beweis genug. Hinzu kommen die schrecklichen Blut-Visionen des kleinen Jungen, die für die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und die Opfer des Holocausts stehen sollen.
Bill Blakemore, Auslandskorrespondent und Journalist für den amerikanischen Fernsehsender ABC, sind vor allem die Hinweise auf die indianische Kultur im Film aufgefallen. Das im Hintergrund immer wieder auftauchende Backpulver der Marke Calumet, deren Verpackung einen Indianerkopf schmückt, sowie die Tatsache, dass das Overlook Hotel auf einem ehemaligen indianischen Friedhof errichtet sei und die zentrale Halle, in welcher Jack schreibt, komplett mit indianischen Stoffen und Motiven dekoriert ist, sieht er als deutliche Hinweise zur Untermauerung seiner These THE SHINING sei eine Metapher für die Ermordung der amerikanischen Ureinwohner durch die Einwanderer. Im Film ginge es vor allem um die Geister der Vergangenheit.
Diese These hat er bereits 1987 im The San Francisco Syndicate unter dem Titel „The Family of Man“ veröffentlicht, allerdings fehlt da die anschauliche audio-visuelle Aufmachung die ROOM 237 zu bieten hat.
Inwiefern im Film Zusammenhänge zur Mondlandung zu erkennen sind, was das wiederum mit dem geometrischen Muster des Teppichbodens im Hotel zu tun hat und warum das Hotel Fenster hat, wo eigentlich keine sein können und welche absolut überraschenden Eindrücke entstehen, wenn man den Film rückwärts und vorwärts gleichzeitig abspielt und die beiden Bilder übereinander legt – das gilt es im Kino heraus zu finden!
Leider steht die deutsche Veröffentlichung noch nicht fest, bleibt zu hoffen, dass die eingefleischten Kubrick-Fans hierzulande nicht zu lange auf die Folter gespannt werden.
Auch wenn die Interpretationen und Assoziationen mehr oder weniger glaubwürdig sind, manchen Fährten etwas inkonsequent gefolgt wird und den wirklichen Liebhabern des Films die Thesen nicht wirklich neu erscheinen werden, bietet ROOM 237 jedoch auf eine amüsante und unterhaltsame Art ein kurzweiliges Stück irgendwie absurder Filmanalyse, die nicht nur der großen Fangemeinde des Films Spaß machen wird.
Und falls am Schluss doch noch Fragen offen bleiben sollten: „The Answer to the Ultimate Question of Life, the Universe, and Everything: 42“
(Douglas Adams, The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy)