Florian Opitz‘ Dokumentarfilm SPEED – AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN ZEIT ist wie die moderne Version von Michael Endes „Momo“ und einer Welt, in der die Menschen Zeit sparen wollen.
Doch im Film entpuppen sich die grauen Herren als Maschinen, Smartphones und Computer, die uns eigentlich dabei helfen sollten Zeit zu sparen, doch sie verkürzen diese nur noch mehr. Oder wie es Opitz treffend formuliert: „Die einzige Erfahrung mit der Zeit beschränkt sich auf das eine Gefühl: sie fehlt.“. Angetrieben von diesem Gefühl und dem Bedürfnis auch etwas an seinem eigenen Leben ändern zu wollen, begibt er sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit und vielleicht sogar auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage, die die Menschheit bewegt: „Wie wollen wir überhaupt leben?“.
Seine Suche bringt ihn in eine Gesellschaft, in der eigentlich alle das gleiche Problem haben und der Markt für Zeitmanagementbücher und Kurse nur so boomt. Er besucht Therapeuten, Menschen, die einen Ausstieg auf Zeit gewagt haben, Zeitforscher und sein von Zeit zu Zeit verschmitzter Blick während dieses ersten Abschnittes, erweckt zuweilen den Anschein, als habe er die Befürchtung, dass es gar keine richtige Lösung für das Problem gibt. Wie er feststellen muss, wird das Leben immer mehr vertaktet und macht uns selbst zu Maschinen. Es scheint daher wie eine ungewollte Ironie, dass Opitz in seinem Film immer wieder Computer animierte Inserts verwendet und dabei auf die Technologie zurückgreift, von der er eigentlich wegkommen will. Wobei es gerade diese Paradoxie ist, die des sich entfernen wollen und doch nicht davon wegkommen können, die sich an vielen Stellen des Films wiederfindet und in den Gesprächen im Film von den Betroffenen immer thematisiert wird.
Der Blick auf die Gesellschaft, auf die Welt dort draußen, offenbart ein ernüchterndes Bild. Die im Tilt-Shift Verfahren aufgenommenen Bilder von Flughäfen, Großstädten und immer schneller werdenden Menschen, die ein bisschen an Godfrey Reggios KOYAANISQATSI erinnern, zeigen das wahre Bild unserer Welt: einer Welt, in der die Menschen nur noch wie kleine Spielfiguren aus einer Eisenbahnminiaturlandschaft aussehen und deren Kontrolle schon längst jemand oder etwas anderes übernommen hat.
Er zeigt auch ein Blick auf eine Gesellschaft, in der der Hunger nach Geld und Profit, die Geschwindigkeit dieses Hamsterrades immer mehr antreibt und der Mensch Gefahr läuft, dauerhaft durch Maschinen und Künstliche Intelligenz ersetzt zu werden. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma scheint der von Literatur, Wissenschaft und Geisteswissenschaft immer wieder diskutierte (Alb)Traum der Mensch-Maschine.
Doch was kommt nach dem Overload? Was passiert, wenn das System soweit fortgeschritten ist und es seinen Schöpfer umbringt?
Der Film zeigt verschiedene Ansätze der Entschleunigung, des „guten Lebens“, wie z.B. den Aussteiger und ehemaligen Investmentbanker von Lehman Brothers oder die Schweizer Bergbauernfamilie, die in ihren eigenen Zeitrhythmus lebt und eigentlich schon immer gelebt hat und legt sich dabei niemals fest. Zu Recht, denn wie Opitz selbst anmerkt, gibt es eigentlich nicht DIE Lösung zur Entschleunigung.
Auch hierzulande gibt es Ansätze um dem Diktat des Systems zu entfliehen wie z.B. die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, das – wie der Soziologe Prof. Dr. Harmut Rosa im Interview anmerkt – einen Versuch wert sei, denn es zielt gerade auf den Kern des Problems dieser kapitalistischen Gesellschaft, die darauf aus ist, dass Menschen dauernd um ihr Überleben kämpfen müssen.
Der Film ist – wie Florian Opitz selbst in einem Tagesthemen Interview sagt – zweifelsohne ein kapitalismuskritischer Film, der jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger das System anprangert. Selbst wenn man dem Sujet des Films auf den ersten Blick Einfachheit oder gar Banalität unterstellen könnte, so ist die Frage nach dem besseren Leben, die diesen Film antreibt, gerade in ihrer Schlichtheit, eine Frage, die mehr Menschen antreibt als man glauben mag und eigentlich den Kern des Problems unserer heutigen Gesellschaft trifft. Es ist gerade dieser persönliche und eben auch einfache Bezug des Regisseurs zum Thema, der somit quasi als Stellvertreter für diese vielen Spielfiguren in dieser Miniaturlandschaft steht, der diesen Film ausmacht. Der ruhige Film entpuppt sich als stilistisches Gegenbeispiel zu einem Film wie Reggios KOYAANISQATSI, dessen crescendo Rausch, der im bildlichen und akustischen Overload endet, sich auf den Zuschauer überträgt und ihn dabei verstört und erschlagen zurück lässt.
So stellt Opitz selbst am Ende des Films fest, dass es schwierig ist, das Gelernte sofort auf das eigene Leben anzuwenden und schlußendlich eigentlich jeder seine persönliche und eigene Methode zur Entschleunigung finden muss, wenn er es denn will. Die Verweigerung des konkreten Vorschlags mag auf den ersten Blick vielleicht wie ein Weg aussehen, um sich schnell aus der Affäre zu ziehen. Jedoch wäre eine Patentlösung auf dem Silbertablett die falsche Lösung, denn sie verhindert die inhaltliche Ausseinandersetzung mit der Thematik und würde im schlimmsten Fall wieder in eine System führen, das genau so ist wie das, aus dem man versucht hat zu entfliehen.
Und selbst wenn keine Patentlösung angeboten wird um aus diesem Hamsterrad auszusteigen und der Film nur Ansätze zeigt, so führt der Film einem im Gegensatz zur Geschwindigkeit des Systems, auf entspannte Art und Weise den Spiegel vor und macht klar, dass etwas gründlich schief läuft, in dieser schönen kleinen Miniaturwelt.