Im Folgenden soll die Darstellung von Steinzeit in Stanley Kubricks Film 2001: A SPACE ODYSSEY (UK/USA 1968) näher untersucht werden. Zentraler Punkt für die Überlegungen, ist der Film von Kubrick und nicht das gleichnamigen Buch von Autor und Co-Drehbuchautor Arthur C. Clarke, das sich vom Film stellenweise unterscheidet und dort Elemente vorkommen, die nicht im Film auftauchen.[1]
Man mag sich an dieser Stelle fragen, was hat Steinzeit überhaupt mit Kubricks Science-Fiction Klassiker zu tun, zumal sich die Darstellung dessen was wir im Allgemeinen unter Steinzeit verstehen bzw. glauben darüber zu wissen, sich nur auf die ersten 15 Minuten des Films beschränkt.[2] Für die Überlegungen soll daher der Begriff der „Steinzeit“ erweitert werden und an dieser Stelle die These formuliert werden, dass wir es auch beim Rest des Films, in Kubricks Zukunftsvision mit einer „Stein-Zeit“ zu tun haben. Es ist ein Stein, ein schwarzer Monolith, der die Menschheitsgeschichte während des Films bestimmt und lenkt.
Ausgangspunkt für diesen Text sind die mit „The Dawn of Man“ betitelten ersten 15 Minuten des Films, die eine Hominidengruppe aus prähistorischer Zeit zeigen und in denen der Monolith zum ersten Mal auftaucht. Danach werde ich mich den drei weiteren Momenten des Films widmen, in denen der Stein wieder auftaucht.
Die Analyse erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Denn wie Peter Krämer im April 2010 in einem Vortrag über Stanley Kubrick an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) [3] in Potsdam angemerkt hat, müssen die Filme des amerikanischen Regisseurs immer im Verhältnis zu seinem Gesamtwerk bzw. zum jeweils vorangegangenen und nachfolgenden Film und somit als Kontinuität gesehen werden. Die Vielzahl der unterschiedlichen Interpretationen und Deutungen des Films, die seit seiner Premiere im Jahr 1968 entstanden sind, deuten auf die Komplexität von Kubricks Film hin. Der Film erscheint wie ein vielschichtiges Gewebe, aus dem man nur schwer einzelne Argumente herauszunehmen kann, ohne dabei die anderen Punkte nicht in Betracht zu ziehen. Eine Betrachtung des Monolithen und der Darstellung von Steinzeit beinhaltet daher unweigerlich auch eine Interpretation des ganzen Films. Daher sollen nur die Szenen mit dem Monolithen als roter Faden dienen.
Wir sehen in diesem ersten Teil eine karge, mit einzelnen Skeletten versehene prähistorische Wüstenlandschaft, die von Tapiren, Leoparden und einer Gruppe von Hominiden bevölkert wird, die sich von Pflanzen und Gräsern ernährt.[4] Eines Tages trifft die Gruppe um ihren Anführer Moon-Watcher [5] an einem Wasserloch auf eine Gruppe von Artgenossen und es entfacht sich ein hitziger Streit zwischen den Horden.
Als am Morgen danach der schwarze Monolith auf einmal vor dem Unterschlupf der Gruppe um Moon-Watcher steht, geraten alle in helle Aufregung und sind zugleich fasziniert von der Form des Monolithen.
In der nächsten Szene ist zu sehen, wie Moon-Watcher inmitten eines Haufens von Knochen hockt und beginnt einen von ihnen als Werkzeug zu nutzen. Von dieser neuen Entdeckung fasziniert, beginnt er die umliegenden Knochen und Skelettreste wie im Rausch zu zerschlagen. Als die Gruppe um Moon-Watcher am Wasserloch wieder auf die rivalisierende Horde trifft, entscheiden sie – nun mit Knochen als Waffen ausgestattet – den Kampf für sich und töten dabei ein Mitglied der gegnerischen Gruppe.
Das plötzliche Erscheinen des Monolithen spielt in dieser Anfangssequenz eine zentrale Rolle. Es findet sich zwischen den Einstellungen des nachdenkenden Moon-Watchers, eine kurze Einstellung einer subjektiven Kamera, die von unten auf den Monolithen blickt und die quasi identisch ist mit jener Einstellung, die den Monolithen bei seinem ersten Erscheinen am Morgen zeigt.
Dieser Zwischenschnitt zeigt, dass Moon-Watcher sich in diesem Moment an die Erkenntnis, man kann vielleicht sogar sagen, an die Eingebung erinnert, die er am Morgen durch den Monolithen bekommen hat. Der Stein, der Monolith fungiert daher als Ursprung, als Katalysator für das Erlernen der Technik. Die Szene kann daher als „philosophische Begründung der Technik-Geschichte“ [6] gedeutet werden. Damit verbunden ist ebenfalls die Erkenntnis, dass die Technik sowohl als ein Werkzeug auch als Waffe genutzt werden kann. Dahingehend kann man den Film – auch in Bezug auf einen späteren Aspekt in diesem Text – als eine gewisse Technikkritik betrachten und muss den Film somit auch im historischen Kontext (68er Bewegung, Kalter Krieg und dem Wettlauf ins All) der 1960er Jahre sowie des voran gegangenen Films DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (1964) verorten.[7]
Die Betrachtung von Steinzeit in Kubricks Film nur auf diese Szene zu beschränken, scheint jedoch nicht ausreichend. Es ist zwar richtig, die Szene als Ursprung der Technik und dahingehend auch der menschlichen Gewalt zu deuten, für die Überlegungen ist dies aber zu einseitig. Vielmehr muss man den Stein nicht nur als Katalysator und Initiator betrachten, sondern, ähnlich wie Georg Seeßlen, auch als eine Art von „Offenbarung“ deuten. Wobei die Definition von „Offenbarung“ [8] im Folgenden näher erläutert werden muss.
Im zweiten Teil des Films folgen wir zu den Klängen von Johann Strauss‘ „An der schönen blauen Donau“ dem Wissenschaftler Dr. Heywood Floyd auf seiner Reise zum Mond, wo man im Krater Tycho einen vor vier Millionen Jahren vorsätzlich vergrabenen Monolithen gefunden hat. Als die Gruppe an der Ausgrabungsstelle ankommt, begutachten alle andächtig den Fund. Von seiner Form fasziniert, nähert sich Floyd dem Monolithen und beginnt ihn zu berühren.
Um den Moment festzuhalten, wollen die Astronauten ein Gruppenfoto vor dem Monolithen machen, doch ein schriller Ton geht vom Stein aus und zwingt die Männer zum Abbruch.
Betrachten wir nun die beiden Szenen zusammen. Wie Michel Chion in seinem Buch „Kubrick‘s Cinema Odyssey“ richtig schreibt, verstummen die Astronauten auf dem Mond im Angesicht des Monolithen. [9] Andächtig und ehrfürchtig gehen sie um den Quader herum. Genauso wie die Hominiden im ersten Teil des Films, sind sie von seiner einfachen Form und Perfektion fasziniert und Floyd verspürt das Verlangen den Stein berühren.
Es ist vielleicht dieses Verhalten gegenüber dem mysteriösen Stein, das dazu verleitet den Film und den Stein unter einem spiritualistischem, religiösem Gesichtspunkt zu sehen, wie es z.B. Stephan Walter in seinem Buch „2001: Mythos und Science im Cinema“ macht.[10] Auch Kubricks Wahl einer kargen und einsamen Wüste als Ort der Begegnung mit dem Übermenschlichen (eine Gegebenheit, die auch in vielen Religionen zu finden ist) [11] und das plötzliche Auftauchen des Steines zum „Requiem“ von György Sándor Ligeti scheinen darauf hinzuweisen. Selbst die bereits angesprochene Situation auf dem Mond, als ein schriller Ton die Astronauten davon abhält ein Foto mit dem Monolithen zu machen, erscheint wie eine Strafe für den Gottesfrevel, den sie mit dem Foto begangen hätten.
Den Film aus der Sicht einer irdischen monotheistischen Religion zu sehen, wäre jedoch falsch. Wie Stanley Kubrick selbst in einem Interview aus dem Jahr 1968 mit der Zeitschrift „Playboy“ anmerkt, sieht er Gott in 2001 nicht in einem religiösen Sinne, sondern vielmehr in einem wissenschaftlichen.[12] In Anbetracht der Millionen von Sternen im Weltall, scheint es unwahrscheinlich, dass es keine weiteren Lebewesen gibt, die weniger, genauso oder sogar weiter entwickelt sind als die Menschen. Gerade wenn diese Lebewesen weiter entwickelt wären, müssten sie wegen ihrer gottgleichen Fähigkeiten von Allmacht und Allwissen den Menschen als Götter erscheinen[13] : „Once you begin discussing such possibilities, you realize that the religious implications are inevitable, because all the essential attributes of such extraterrestrial intelligences are the attributes we give to God“[14].
Ob es sich beim Monolith nun um Gott, gottähnliches Wesen oder ein Produkt von Außerirdischen handelt, ist an dieser Stelle sekundär. Viel wichtiger erscheint die Tatsache – und das findet sich in allen drei erwähnten Sichtweisen wieder –, dass er paradigmatisch für die Perfektion steht. Wie Stephan Walter mit Verweis auf Autor Arthur C. Clarke anmerkt, hat der Monolith das „[mathematische] Seitenverhältnis 1:4:9 …, was seine Vollkommenheit unterstreichen soll“[15] . In seiner offensichtlich schlichten, einfachen und zugleich perfekten Form, steht er im krassen Kontrast zur hochtechnisierten Zukunftswelt (darunter auch der später vorkommenden perfekt geglaubte Bordcomputer HAL) von Kubricks Film, in der es Routine ist in den Weltall zu fliegen.
Er ist aber auch wie ein Gegensatz zum nüchternen und sterilen Interieur der Raumbasis „Hilton Space Station“, die Dr. Heywood Floyd vor seiner Mondbegehung besucht. Das sterile, ein bisschen unwirkliche und fast abweisende Weiß der Raumstation, steht im Kontrast zum lichtverschlingenden und in diesem Zusammenhang fast schon wieder warm wirkenden Schwarz des Monolithen.
Auch die ohnehin schon spärlichen Dialoge an Bord der Raumstation dieses zweiten Teils des Films, entpuppen sich bei näherer Analyse und in Anbetracht des bevorstehenden Fundes, von „geradezu erschütternder Trivialität“[16]: „You‘re looking great“, „Did you have a good flight?, „You‘re looking wonderful“, „You‘re looking well too“. So bilden auch sie einen Kontrast zum Schweigen bzw. zur non-verbalen Kommunikation des Steines.
„The fantastic progress of technology has not been accompanied by any comparable moral or emotional evolution, and this disparity seems all the greater between these men living in glacial solitude and the world which they have fabricated” [17]. Auch im dritten Teil des Films („Jupiter Mission: 18 Months Later”) erscheint das hoch technisierte Raumschiff, in der sich die Astronauten David Bowman, Frank Poole und ihre drei im Kälteschlaf befindlichen Kollegen aufhalten, zu den melancholischen Klängen von Aram Khachaturians „Gayaneh“ wie eine kalte Welt. Eine Welt in der Routinearbeiten den Tagesablauf bestimmen, die Emotionen auf das Minimum reduziert sind und selbst die Geburtstagswünsche der Familie mit einer gewissen Gleichgültigkeit aufgenommen werden. [18]
Sieht man die Errungenschaft und Nutzung von Technik als zivilisatorisches Merkmal, so ist der Monolith Initiator der menschlichen Zivilisation. Was wiederum auf die Definition von Steinzeit selbst verweist, die eine Epoche bezeichnet, in der prähistorische Menschen begannen Stein als Werkzeug zu nutzen.
Zugleich verkörpert er mit seinem späteren Auftauchen in einer hochtechnisierten Zukunft (die eigentlich trivial geworden ist) und seiner einfachen und schlichten Perfektion, einen konstanten Gegenpol zur Zukunftsvision von Kubrick. In diesem Kontext lässt sich vielleicht auch der wohl berühmteste Schnitt der Filmgeschichte zwischen fliegendem Knochen und fliegendem Raumschiff und der damit verbundenen Auslassung von tausenden Jahren Menschheitsgeschichte verstehen: Prähistorie und Zukunft bilden Anfang und Ende einer technisierten menschlichen Gesellschaft.
Für die Überlegungen soll nun auch noch der letzten Teil, „Jupiter and Beyond the Infinite“, hinzu gezogen. Nachdem Bowman als letzter Überlebender der Jupitermission durch das Sternentor durch Raum und Zeit reist, landet er in einem Wohnraum, der mit Möbeln aus dem 18. Jahrhundert ausgestattet ist. An diesem Ort jenseits von Raum und Zeit, ist Bowman gleichzeitig zwei weitere Male anwesend: als alter Mann und als sterbender Greis. Als der schwarze Monolith am Bett des sterbenden Mannes auftaucht, versucht dieser sich aufzurichten und streckt dem Stein seine Hand entgegen, so als ob er zu ihm wolle.
In Anbetracht der Situation des sterbenden Mannes, stellt der Quader aber auch wieder ein Paradox dar: Durch sein Auftauchen in der Prähistorie hat er die Entdeckung der Technik angestoßen, zugleich scheint er in diesem Augenblick in der Zukunft die Einfachheit, aber auch die Vollkommenheit und Ursprünglichkeit zu repräsentieren, von der der Mensch gekommen ist und nach der er sich – wie die Geste des sterbenden Greises vermuten lässt – zurücksehnt. Selbst wenn Michel Chion in seinem Vergleich mit Homers „Odyssee“ zu einem anderen Schluss kommt [19], scheint Bowman in diesem Fall wirklich wie der Held aus der homerischen Sage zu sein, der sich nach seiner Heimat Ithaka, dem persönlichen Paradies sehnt, in dem alles perfekt ist. Der Stein ist ein Wegweiser, der, wie Michel Cimet anmerkt, entscheidende Punkte in der menschlichen Existenz und Reise markiert [20], aber auch die letzte Hürde die es zu überwinden gilt um nach „Ithaka“ zu kommen.