YOLO, YOLO

AXOLOTL OVERKILL von Helene Hegemann

Mit AXOLOTL OVERKILL hat Helene Hegemann ihren nur fast gleichnamigen Roman „Axolotl Roadkill“ selbst verfilmt. Der Film markiert das Spielfilmdebüt der polyvalent interessierten 25-jährigen Theaterregisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin, die sich nicht erst mit ebenjenem Roman im zarten Alter von 18 Jahren einen Namen als Wunderkind der Literatur gemacht hat, sondern sich dank ihres ersten mittellangen Spielfilms TORPEDO, den sie mit 16 Jahren schrieb und drehte, auch Ophüls Preisträgerin nennen darf.

Dass das Buch damals zunächst von der Kritik in den Himmel hinauf gelobt wurde, dass Hegemann für ihren authentischen „in-your-face-Style“ als die Stimme einer verloren heranwachsenden, wohlstandsverwahrlosten Berlin-Mitte-Generation gehandelt wurde, dass ebenjener Roman schließlich eine flächendeckende Diskussion über Autorschaft und Urheberrecht ins Rollen brachte und ebenjene Kritikerinnen und Kritiker sich mit ebenso viel Elan gegen sie wanden, wie sie sie zuvor gefeiert hatten, nachdem klar wurde, dass Hegemann einige Passagen des Buches von einem Berliner Blogger und Autor namens Airen entnommen hatte, muss man hier eigentlich niemandem mehr erklären. Umso mehr wurde nun die Verfilmung des Romans erwartet, der seine Premiere Anfang des Jahres weit weg vom Berliner Berlinale-Filmzirkus auf dem Sundance Festival in Park City in Utah/USA feierte.

Mifti (Jasna Fritzi Bauer) © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Lina Grün

Mifti (Jasna Fritzi Bauer) © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Lina Grün

Mifti (Jasna Fritz Bauer), die mit richtigem Namen Mafalda heißt, ist 16, sieht aus wie 12 und ist so verloren, abgefuckt und abgeklärt, wie die meisten Hipster zwischen 25 und 35. Mit ihrem älteren, entrückten Halbbruder Edmond (Julius Feldmayer) und ihrer großen hysterisch-überforderten Halbschwester Anika (Laura Tonke) lebt sie in einer heruntergerockten Patchwork-WG in Berlin. Mama ist tot – offensichtlich noch nicht lange, die Umstände sind ungeklärt, auf jeden Fall ist das aber eine irgendwie traumatische Erfahrung – und Papa zahlt die Miete. Mifti findet alles meistens langweilig, auf Schule hat sie sowieso keinen Bock, ihren Mitschülern und Lehrern fühlt sie sich moralisch und intellektuell überlegen. Angriff ist die beste Verteidigung und so versucht sie ihre wie auch immer geartete Kaputtheit mit Provokation und unmotiviertem Sex mit wahllosen Partnern zu überspielen.

Der Film beginnt mit einem monologischen Abgesang der intellektuell-künstlerischen Bohème, einem Kunstdeal und einem Schuss. In nicht chronologischer Abfolge erzählt AXOLOTL OVERKILL von durchfeierten Berliner Partynächten, von Koks und Konfetti, von komplizierten Familienverhältnissen, von Wohlstandsverwahrlosung und von Miftis großer Liebe zur sehr viel älteren, mysteriös-verruchten Alice (Arly Jover). Mit ihr verbringt sie eine Nacht und einen Tag im Hotel de Rome: Die Bilder des nächsten Morgens, die Zigaretten danach, Alice tanzend vor dem Fenster und Mifty rauchend im Bett, ziehen sich – wie Erinnerungen – durch den ganzen Film. Diese Begegnung scheint eine der letzten zwischen den beiden Frauen gewesen zu sein: So wie Alice in Miftis Leben getreten ist, ist sie ihr offensichtlich auch wieder entglitten.

Axolotl © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Lina Grün

Axolotl © 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Lina Grün

Männer sind im Ganzen Film eher farblose und passive Gestalten, während die Frauen sich alle am Rande des Nervenzusammenbruchs befinden: Da gibt es Ophelia (Mavie Hörbiger), das Schauspielersternchen mit dem Mifti sich anfreundet, die sowohl mit als auch ohne ihre Tabletten irgendwie nicht klar kommt, Miftis Schwester Anika, scheint mit der Gesamtsituation überfordert und dann natürlich Alice, die mit ihrer unnahbaren Erotik über allem zu schweben scheint.
AXOLOTL ROADKILL ist sicher alles andere als ein feministischer Film, aber die Tatsache, dass Helene Hegemann mit einer vor allem weiblichen Crew einen Film über eine junge Frau gemacht hat, die mit einer Lust an der Selbstzerstörung durch die Welt geht, die so mehr oder weniger unpathologisiert eigentlich eher den jungen Männern der Filmgeschichte vorbehalten ist und die dann auch noch die heißeste MILF im Club aufreißt ist schon bemerkenswert. Dennoch bleibt der Film in einer exhibitionistischen Selbstbezogenheit und bedeutungsschwangeren Symbolik verhaftet, die zu durchschauen nur einem sehr illustren Kreis an gleichermaßen popkulturell und existenzialistisch gebildeten Zuschauenden vorbehalten zu sein scheint. Die Dialoge wirken zum Teil sehr bemüht: Das, was wie Berliner Schnauze klingen soll, wird zu einem Abziehbild seiner selbst. Einzelne Passagen sollen provozieren, das familiäre Abendessen im brutalistischen Betonbunker des kunstsammelnden Vaters wird zu einem Fest des Zynismus bei dem der internationale Terrorismus als so etwas wie eine berufliche Perspektive diskutiert wird, bevor das Dinner schließlich in einem theatralisch von allen Familienmitgliedern wiederholten „Fuck you!“-Chorus untergeht.

In AXOLOTL OVERKILL scheint es mehr um die Form, als um den Inhalt zu gehen. Die Figuren und ihre Motive bleiben verschwommen und zumeist auch unsympathisch. Das große Ganze erschließt sich bis zum Schluss nicht. Ganz passend zu ihrem Roman collagiert Hegemann hier aufgeschnappte, tweetänhliche Gesprächsfetzen und existenzialistisch angehauchte Zeilen mit einer bonbon- und glitzerfarbenen Imagefilm-Bilderwelt, virtuos eingefangen von Kamermann Manuel Dacosse: Waldbilder wechseln sich ab mit choreografierten Tanzszenen in einem Berliner Club, eine junge Frau tanzt alleine durch eine dämmerungszwielichtige Wohnung zu Gil Scott Herons „Me and the Devil“. – Der Song zieht sich durch den Film, bildet eine Parenthese zu dem Moment fast am Ende des Films, an dem sich Alice und Mifti wieder begegnen. Überhaupt ist der Soundtrack wohl das Beste an diesem Film.

AXOLOTL OVERKILL bietet ein paar nette gestalterischen Ideen, dreht sich jedoch leider zu sehr um sich selbst und lässt das Publikum ein wenig ratlos in den Kinositzen zurück: Oder war das jetzt doch eine geniale künstlerische Auflösung des Coming-of-Age Films?

Filmtitel: Axolotl Overkill
Produktionsjahr: 2016
Produktionsland: Deutschland
Regie: Helene Hegemann
Drehbuch: Helene Hegemann
Kamera: Manuel Dacosse
Schnitt: Bettina Böhler
Filmlänge: 94 Min.
Kinostart: 29. Juni 2017