Ein bisschen Menschlichkeit

67. Berlinale: DIE ANDERE SEITE DER HOFFNUNG von Aki Kaurimäki


Nach seinem in Frankreich gedrehten Film LE HAVRE über einen alten Schuhputzer, der sich eines afrikanischen Jungen und illegalen Einwanderers annimmt, widmet sich der finnische Regisseur Aki Kaurismäki hier wieder der Situation der Geflüchteten in Europa.
In gewohnt reduziertem Stil, mit sehr sparsamen, aber dafür pointierten Dialogen und mit dem für Kaurismäki so typischen skurrilen Humor und feinen Blick für das Absurde am Zwischenmenschlichen, inszeniert der Regisseur hier einen – wie er selbst sagt – höchst „tendenziösen“ Film, dessen Ziel nichts anderes sei, „als die Meinung Europas gegenüber Flüchtlingen zu verändern.“

Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen und Simon Hussein Al-Bazoon © Sputnik Oy | Fotograf: Malla Hukkanen

Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen und Simon Hussein Al-Bazoon © Sputnik Oy | Fotograf: Malla Hukkanen

Helsinki in Finnland, zwei verschiedene Schauplätze: Wikström, ein in die Jahre gekommener Hemden- und Krawattenvertreter trennt sich ohne große Worte von seiner trinkenden Frau und startet mit einem nicht ganz unbedeutenden Pokergewinn noch einmal ganz neu – als Wirt eines heruntergekommenen Restaurants. Der junge Syrer Khaled, gelangt als blinder Passagier auf einem Transportschiff nach Finnland. Er möchte dort Asyl beantragen und seine Schwester wiederfinden, die er auf der langen und beschwerlichen Flucht quer durch Europa aus den Augen verloren hat. Zunächst landet Khaled jedoch in einem Flüchtlingsheim und gerät in die Mühlen der Bürokratie, muss sich mehreren Befragungen unterziehen und soll schließlich doch zurück geschickt werden. Kurzerhand beschließt er illegal im Land zu bleiben. Fortan lebt er auf der Straße und schläft zwischen den Mülltonnen eines heruntergekommen Restaurants. – Wikströms Restaurant. Und so treffen die beiden Männer aufeinander. Nach einem Handgemenge stellt Wiktröm Khaled als Putzhilfe und Tellerwäscher ein, organisiert ihm einen Schlafplatz in der Tiefgarage sowie einen gefälschten Pass und für einen kurzen Moment sieht es so aus, als sei Khaled – sehr provisorisch zwar, aber immerhin – irgendwo angekommen.

DIE ANDERE SEITE DER HOFFNUNG ist ein Film über Solidarität und Menschlichkeit, dem es gelingt – und das ist ganz typisch für Kaurismäki – zum Teil ganz ohne Worte, in einem einzigen Bild, ein ganzes Leben, einen verstaubten bürokratischen Apparat und komplizierte politische Verhältnisse zu beschreiben. So schreiben die Beamten der Asylbehörde beispielsweise auf Schreibmaschinen und nach dem Urteil eines finnischen Gerichts über Khaleds Abschiebung aufgrund einer angeblich unbedenklichen Sicherheitslage in Aleppo, sieht man im Fernsehen Nachrichtenbilder, die die Stadt unter schwerem Beschuss zeigen.

Seit Jahren arbeitet Kaurismäki immer wieder mit demselben Personal vor und hinter der Kamera und hat dabei eine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift und Filmsprache entwickelt. Sakari Kuosmanen, den Darsteller von Wikström, sah man bereits in zahlreichen seiner Filmen, unter anderem in JUHA, DER MANN OHNE VERGANGENHEIT und WOLKEN ZIEHEN VORÜBER. Schauspielerische Neuzugänge sind hier der syrische Schauspieler Sherwan Haji in der Rolle des Khaled, der seit 2010 in Finnland lebt sowie Simon Hussein Al-Bazoon als Mazdak, Khaleds einzigem Freund im Flüchtlingsheim, ein finnischer Tänzer und Choreograph mit irakischen Wurzeln.
Für die ruhige Kameraführung und den minimalistischen Stil zeichnet sich vor allem Timo Salminen verantwortlich, Kameramann bei den meisten seiner Filme. Und auch hier herrschen im Dekor vor allem die für Kaurismäki so typischen Komplementärfarben vor mit einem Schwerpunkt auf schwerem blau oder grün mit kleinen gelben und roten Farbtupfern: einem gelben Kleid, einer roten Uniform.
Musik spielt eine große Rolle und ist das verbindende Element zwischen den trockenen und ein wenig angestaubten Finnen und dem arabischen Neuankömmling: Immer wieder trifft Khaled auf einen Straßenmusikanten, den finnischen Musiker Tuomari Nurmio, in Wikströms Restaurant tritt die Band „Marko Haavisto ja Poutahaukat“ auf und als Khaled von seiner Abschiebung erfährt, greift er selbst zum Instrument und spielt eine traurige arabische Melodie.

Auch wenn die Solidarität und Hilfsbereitschaft seiner Figuren mit dem Geflüchteten sehr groß ist und zwischenzeitlich beinahe märchenhaft anmutet, holt uns der Film doch auch auf den Boden der Tatsachen zurück und macht vor den tatsächlichen politischen und sozialen Problemen nicht Halt: So lauern Khaled immer wieder ein paar grobschlächtige Typen mit mörderischen Absichten auf, die selbst ernannte „Liberation Army Finland“, eine Gruppe aggressiver Neo-Nazis mit rasierten Köpfen und schwarzen Lederjacken.

In der Überzeichnung seiner Charaktere trifft Kaurismäki ganz viele Wahrheiten und offenbart dabei zutiefst Menschliches: Khaled und Wikström verbindet eine tiefe Melancholie, eine bittere Enttäuschung über das, was das Leben für sie bisher bereit hielt und doch haben beide die Hoffnung noch nicht aufgegeben, sind auf der Suche nach Veränderung und einer Wendung ihres Lebens zum Besseren.
Dabei läuft eben nicht alles ganz so glatt – das Restaurant läuft eher mäßig und auch der improvisierte Versuch einen Ausflug in die finnisch-asiatische Fusionsküche zu starten scheitert kläglich. Dennoch trifft Khaled eben nicht nur auf Fremdenhass und Ablehnung, sondern eben auch auf Menschen, die eigentlich auch nicht mehr viel zu verlieren haben und die ihm solidarisch gegen die Rassisten zur Seite stehen und ihm helfen, seine Schwester wieder zu finden.
Und auch wenn „Die andere Seite der Hoffnung“ ein sehr unterhaltsamer Film voller Ironie und klugem Witz ist, der hoffnungsvoll stimmt, endet er mit einem offenen Ausgang: Zwar finden Khaled und seine Schwester zusammen, aber ein weiteres Zusammentreffen mit der so genannten finnischen Befreiungsfront verläuft weniger glimpflich als bisher…

LE HAVRE und DIE ANDERE SEITE DER HOFFNUNG waren eigentlich als Trilogie angelegt, leider soll dieser Film vorerst sein letzter gewesen sein, gerade erst verkündete der Regisseur gegenüber dem finnischen TV-Sender YLE, dass er sich aus dem Filmgeschäft zurückziehen wolle. Das wäre zwar ein großer Verlust für die Filmbranche, aber Kaurismäki wäre nicht der erste Regisseur, der laut seinen Rücktritt bekannt gab und es dann doch nicht lassen konnte…

Filmtitel: Die andere Seite der Hoffnung
Produktionsjahr: 2017
Produktionsland: Finnland
Originaltitel: Toivon tuolla puolen
Regie: Aki Kaurismäki
Drehbuch: Aki Kaurismäki
Kamera: Timo Salminen
Schnitt: Samu Heikkilä
Musik: Tuomari Nurmio, Ismo Haavisto, „Marko Haavisto ja Poutahaukat”, Harri Marstio und Antero Jakoila
Darsteller: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Simon Hussein Al-Bazoon, Janne Hyytiäinen, Ilkka Koivula, Nuppu Koivu
Filmlänge: 98 Min.
Kinostart: 30. März 2017