Dämonische Bilder im Schneegestöber

16. Nippon Connection | Festivaltagebuch: Tag 2 und 3

So wechselhaft wie das Wetter hier in Frankfurt, waren auch die letzten Festivaltage: Während Tag 2 irgendwie keine so richtgen Highlights zu bieten hat, haben mich die drei Filme und das kinematografische Kunstevent von Tag 3 ziemlich umgehauen. Und so langsam zeichnet sich auch so etwas wie eine zeitgeistige Thematik der Festivalfilme ab.

CINÉMA CONCRET © Makino Takashi & Teruto Soejima

CINÉMA CONCRET © Makino Takashi & Teruto Soejima

Zwei Blickwinkel auf die japanische Gesellschaft sowie das Schul- und Erziehungssystem kommen einerseits aus dem japanischen Mainstream-Kino mit dem Feelgood-Movie FLYING COLORS von Nobuhiro Doi und andererseits etwas schwerer verdaulich von der koreanisch-stämmigen Regisseurin Mipo O mit BEING GOOD.

FLYING COLOURS © 2015 "Flying Colors" Film Partners

FLYING COLOURS © 2015 „Flying Colors“ Film Partners

FLYING COLOURS erzählt eine dieser typischen Loser-to-Winner-Stories über den Weg einer jungen, vor allem mit Karaoke, Miniröcken und Make-Up beschäftigten Schülerin zur fleißigen Elite-Universitätsaspirantin oder um es ganz kurz zu machen: LEGALLY BLONDE trifft DEAD POETS SOCIETY.
Vor dem Hintergrund dessen, dass Schule in Japan nun wirklich alles andere als ein Zuckerschlecken ist – nicht umsonst gibt es im japanischen den feststehenden Begriff der „Schulhölle“ – ist die Botschaft des Films trotz der sehr amüsanten und typisch japanischen Umsetzung alles andere als innovativ und auch das Fazit wurde uns bereits schon so oft und so nachhaltig, von ungefähr jedem zweiten US-amerikanischen Mainstram-Film Cola-klebrig eingekleistert, dass es einem wie Popcorn schon aus allen Löchern herauspoppt: Woeinwilleististaucheinwegyoucandoitdontbeamaybejustdoitbelieveinyoublablabla… Foucault würde beim Anblick von so viel Hubbabubba-Gouvernementlität wahrscheinlich direkt das Happy Meal wieder hochkommen, aber trotzdem ist der Film für Fans der japanischen Popkultur und all derer, denen beim Gedanken an AKB48 schon die Höschen nass werden, ein sehr großer Spaß.

Daneben ist BEING GOOD von Mipo O definitiv gehaltvoller, aber streckenweise auch härter und kritisiert eigentlich genau diese Mentalität, die FLYING COLOURS so sehr abfeiert. Thematisch geht es zwar auch hier um das japanische Erziehungs- und Bildungssystem, aber auch ganz allgemein um die Beziehung von Kindern und Erwachsenen sowie die Verantwortung von Erziehungsberechtigten gegenüber Schutzbefohlenen. Mipo O gelingt es sehr eindrücklich aufzuzeigen, was eine auf Effizienz und Leistung fokussierte Gesellschaft eigentlich verliert, wenn sie schon bei den kleinsten Menschen nur strikte Angepasstheit und absolute Leistungsbereitschat erzwingt.
Die expliziten Szenen psychischer und physischer Gewalt gegen Kinder machen den Film streckenweise nur schwer zu ertragen, dennoch entlässt uns BEING GOOD am Ende nicht vollkommen desillusioniert.

Als die Tiere den Wald verließen… – Zwei Überraschungen an zwei Tagen:

LOWLIFE LOVE von Eiji Uchida, eine extrem unterhaltsame, aber auch sehr bissige Kritik an der japanischen Filmindustrie einerseits und DEAR DEER von Takeo Kikuchi andererseits, über drei ungleiche Geschwister, die durch den Tod des Vaters an den Ort ihrer Kindheit zurückkehren.

LOWLIFE LOVE von Eiji Uchida © Third Window Films

LOWLIFE LOVE von Eiji Uchida © Third Window Films

Der Underdog-Movie LOWLIFE LOVE fügt sich somit auch nahtlos in einen der thematischen Festivalschwerpunkte: Die kinematografischen Abrechung des Independent-Kinos mit dem japanischen Star- und Studio-System, die sich gleich bei drei Filmen des Wettbewerbs mehr oder weniger deutlich abzeichnet. PINK AND GREY von Isao Ukisada war einer davon, aber auch Satoko Yokohamas THE ACTOR, den ich allerdings nicht gesehen habe, lässt sich wohl auch so verstehen.
LOWLIFE LOVE ist ein Film der hemmunglose Tequila-Salz-und-Zitronen-Exzesse in offene Wunden streut: Der Independent-Regisseur Tetsuo (Kiyohiko Shibukawa) ist 39, lebt noch bei seiner Mutter, hält sich mit Schauspielkursen und Pornodrehs über Wasser, schläft mit jeder Jungschauspielerin, die sich in der Hoffnung auf eine Rolle an seinen Hals wirft und entschuldigt die Tatsache, dass er mit seinen Filmen kein Geld verdient damit, seine nicht vorhandenen Ideale nicht verraten zu wollen. Aber wenn es darauf ankommt, ist er natürlich auch dazu bereit. Um es kurz zu machen: It’s funny, cause it’s true. – True story.

DEAR DEER, das Spielfilm-Regiedebüt von Takeo Kikuchi hat mich durch seine Ästhetik, die wunderschönen Animationen von Atsushi Wada, seine herrlich verschrobenen Charaktere, die fantastischen Elemente der Geschichte und das extrem coole 4:3-Format überzeugt!

Assoziationen: Wes Andersons THE DARJEELING LIMITED und natürlich MOMMY von Xavier Dolan, aber eigentlich auch nur wegen des Bildformats.

Ein interessantes, wiederkehrendes Motiv ist das der dämonischen, zum Leben erwachenden Bilder, das in Yoshihiro Nakamuras THE INERASABLE eine absolut zentrale Rolle spielt. Aber auch in dem wunderschön gestalteten Anime MISS HOKUSAI von Keichii Hara über die zeichnende Tochter des großen japanischen Malers und Zeichners Katsushiko Hokusai geht es um die hypnotisierende Macht der Bilder und ihre starke Wirkung auf den Betrachter:

Mit seinem experimentellen 3D-Filmprojekten CINÉMA CONCRET und ORIGIN OF THE DREAMS bei Live-Elektro-Begleitung des Künstlers selbst und Freejazz-Einlage von Hilary Jeffrey gelingt es Takashi Makino mit seinen hunderten übereinander gelegten Filmbildern die Leinwand geradezu zu durchbrechen und eine weitere Ebene der hypnotisierenden Bilder zu eröffnen: Ich bin sehr froh, dass mein Gehirn von all den bereits gesehenen Filmen schon so müde ist und ich mich komplett auf dieses visuelle, ja beinahe schon meditativ wirkende Experiment einlassen und mich in diesen Schemen komplett verlieren kann. Waren das gerade eben Bäume, der Wind, der durch Gräser streift, Schneegestöber, ein Ausschnitt aus einem alten Samurai-Film, glitzerndes Wasser, Wolken am blauben Himmel…?

Floppy Disk des Tages:
THE INERASABLE von Yoshihiro Nakamura, eine Detektiv- und eine relativ konventionelle japanische Geistergeschichte ohne wirkliche Überraschungen. Der Versuch, sämtliche Gespenstererzählungen und Urban Legends in einen einzigen Handlungsstrang zu packen und auf ein und denselben Ursprung zurück führen zu wollen, war einfach zu bemüht.

Konsum:
Mochi, Dorayaki, TUC-Kekse, Bloggerfrühstückskaffee mit Bärenmarkenmilch und Croissant, Gyoza, Gute-Laune-Nuss-Mix, Smoothie und jede Menge eisgekühlter Oolong!