Mediactivism, Paranoia und japanische Popexplosionen

TRANSMEDIALE 2016 - Eine Spätlese

„Have you tried turning it on and off again?“
(Roy Tenneman/Chris O‘Dowd in IT-Crowd 2006, S01E01)

Reboot = Neustart. Die TRANSMEDIALE präsentierte sich in diesem Jahr als CONVERSATION PIECE mit Picknick, Wartehalle, Sitzgruppe, Ausstellung, Diskussionen, Konversationen, Interventionen, Tweets und ganz viel Gefällt mir, Gefällt mir nicht mehr.
Wie neu und anders dieses Konzept im Vergleich zu den vorangehenden Festivaljahren wirklich war, kann ich nicht so wirklich beurteilen, da ich aus verschiedenen – vor allem persönlichen und studienbezogenen – Gründen in den letzten Jahren außer der meistens sehr unterhaltsamen Eröffnung des Festivals (mein absoluter Liebling: Opening 2012 mit Jon Satrom) jeweils nicht so wirklich viel davon mitnehmen konnte.
Dass die Programm-Website in diesem Jahr erstmals relativ übersichtlich war, empfand ich allerdings schon als ein erstes kleines persönliches Highlight bei der Festivalplanung. Auf den ersten Blick sah die Festivalstruktur jedoch eigentlich relativ klassisch aus: Es gab Talks, Panels, Keynote Conversations, Screenings, Installationen, Ausstellungen, Performances und Workshops und so genannte „Hybrid Events“. – Also doch kein Reboot? Oder etwa doch?

© transmediale | Artwork by The Laboratory of Manuel Bürger feat. Krazy Kat by George Herriman

© transmediale | Artwork by The Laboratory of Manuel Bürger feat. Krazy Kat by George Herriman

Großes kuratorisches Thema des Festivals war neben der Anregung zum Konversieren, die Paranoia oder eher Beklemmung – englisch: „anxiety“. (Aber Paranoia klingt besser, vor allem im Titel.) Das fand ich super, denn damit kenne ich mich ja persönlich auch ein bisschen aus.
Eingeteilt in vier thematische Blöcke oder StreamsAnxious to Act, Anxious to Make, Anxious to Share, Anxious to Secure – ging es um die großen Fragen einer sehr gegenwärtigen, Post-Snowden‘schen Zukunft, in der die Krise das wohl weiterhin vorherrschendes Thema bleiben wird: Wie wollen wir agieren, wie können wir handeln, was wollen wir teilen, gegen wen wollen wir uns absichern und wovor haben wir eigentlich verflucht nochmal so viel Angst?

Elektropopsirenen: Meine persönlichen Festivalhighlights.

Sehr unterhaltsam, aber eigentlich auch nur, weil es wohl ein ziemlicher #FAIL war, fand ich den Festivalauftakt CONVERSATION STARTER, eines der so genannten Hybrid Events. Dabei handelte es sich um die sehr eigenartige, aber extrem amüsante Offline-Online-Experience-Lecture-Performance zu/r Netzkultur/en aus dem Hause Superschool.
Ein sichtlich verwirrter Fredrik Svensk in der Rolle des Vortragenden sprach sehr stockend über das Erwachen erotischer Gefühle beim Anblick eines fremden Mannes am Flughafen Tegel und die Bedeutung von Liebe und Ästhetik. Drei der Stream-Kuratoren Teresa Dillon, Ed D‘Souza und Theresa Züger in der Rolle der Kommentatoren unterbrachen diese Rede an beliebiger Stelle, um entweder Fragen an ein sichtlich überfordertes oder in der unerwarteten Situation auch einfach nur zurückhaltendes Publikum, das Wikipedia verkörpern sollte, oder um das anonyme Forum – dargestellt von drei versteckten Teilnehmern – um Hilfe zu bitten. Dazwischen noch die Aufforderung an alle mittels kleiner weißer auf den Sitzen verteilter Zettel zu „tweeten“.

Das Experiment nahm einen für den unbeteiligten Zuschauer sehr unangenehmen Verlauf, entwickelte dabei aber auch diesen Sog, den man noch aus Talkshow-Zeiten der späten 90er-Jahre oder auch vom Dschungelcamp (#ibes2016) kennt: Hohes Fremdschäm-Niveau bei gleichzeitig erhöhtem, sensationslüsternem Puls. Der Vortragende verlor sich immer mehr in der Proklamation irgendwelcher parapolitischer Worthülsen, woraufhin eine der Kommentatorinnen entnervt die Diskussion und den Raum verließ; das Publikum aka Wikipedia/Twitter konnte sich nicht so richtig in seine Rolle einfinden und verhielt sich eher so MySpace-mäßig – nach und nach waren alle weg; das anonmye Forum gab eigentlich nur noch Werbe- oder Disskommentare zum Besten. Hier wurde es allerdings erst so richtig spannend: Die Frustration aller Beteiligten war deutlich spürbar, die Luft in der Halle war quasi zum Schneiden und die Diskussionen zwischen den Kommentatoren immer aggressiver bis Fredrik Svensk sich weigerte weiter zu sprechen und die Zeit endlich abgelaufen war. Ein auf einem der Sitze zurückgebliebener Tweet-Entwurf bringt das Ganze ganz gut auf den Punkt: „Not sure if speaker is serious or high. But at this point I am afraid to ask. Funny cat videos, anyone?

Vor diesem Hintergrund schien das Online-Experiment durch und durch missgelungen(?) und die Medienkünstler rieben sich die Hände: Die beinahe instantanen Reaktionsabläufe netzkultureller Kommunikationsabläufe bestehend aus Tweets/Retweets/Kommentaren/Liken/Disliken/Folgen/Entfolgen/Aktion/Reaktion funktionieren offline offensichtlich nicht. Die Regeln der Kommunikationskultur sind offline komplett andere als online. Q.e.d. by Superschool.
Wie sehr dieses Experiment jedoch tatsächlich misslungen und dieses Hybrid Event uns ein Lehrstück zur Dysfunktionalität online gültiger Kommunikationsregeln innerhalb der Offline-Sphäre sein kann, halte ich angesichts der sich aktuell sowohl online als auch offline ausbreitenden Welle an aggressiv kommunizierter Unsicherheit, Frustration und Gewaltfantasien für hinterfragbar. #AFDerjucken

Ich verließ diesen Eröffnungsabend noch vor dem eigentlichen filmischen Schmankerl des Tages: HELLO CITY! eine Live-Cinema-Performance von WHERE THE CITY CANT‘T SEE von und mit Liam
Young, weil Overload und Hunger. – Die Fotos davon sahen sehr vielversprechend aus: War sicher gut.

Schon Wochen vorher hatte ich mich auf das von der TRANSMEDIALE und dem Schwesternfestival CTM koproduzierten japanischen Performance-Spektakel STILL BE THERE gefreut und Facebook hatte mir ein musikalisches, visuelles, aber auch medienkritisches Meisterwerk der Medienkunst versprochen. Ich wurde nur teilweise enttäuscht.

Hatsune Miku – Still Be Here © Image: LaTurbo Avedon / Crypton Future Media Inc. 2007 | transmediale 2016

Hatsune Miku – Still Be Here © Image: LaTurbo Avedon / Crypton Future Media Inc. 2007 | transmediale 2016

In Japan ist Hatsune Miku ein Popstar, mit ihren Konzerten füllt sie Stadien und hat weltweit mittlerweile mehr als hunderttausend verkaufter Platten. Sie ist seit 2007 immer schon 16 und eine reine Erfindung, ein Cyber-Superstar und eine 3D-Projektion, ursprünglich konzipiert als Marketingstrategie für einen Sprachsynthesizer. Die Figur ist ein kollaboratives Produkt, popkulturelle Projektion und Verkörperung einer Sharing Community und für jeden unter der respektiven Nennung der Urheber und Lizenzgeber frei verfügbar.
Mit ihren beiden sehr langen türkisfarbenen Zöpfen und der super kurzen Schuluniform sieht sie aus, wie wirklich sehr viele dieser zahlreichen Animefiguren, die aus dem japanischen Leben eigentlich nicht wegzudenken sind und ich bin mir sehr sicher, dass ich in Japan in einem dieser Geek- und Sammlerläden neben Sailor-Moon und der sehr knapp bekleideten Polizistin mit den sehr drallen Brüsten auch eine Plastikversion von Hatsune Miku gesehen habe. Dass sie unter vielem anderen auch den Jingle eines der von mir während meiner Japanreise beinahe täglich angesteuerten Convenient-Stores („Konbini“) singt, war mir vorher allerdings nicht klar gewesen.
(Danke für den Ohrwurm…: ここにもコスモス、ファミリーマート!)

Hatsune Miku – Still Be Here © Image: LaTurbo Avedon / Crypton Future Media Inc. 2007 | transmediale 2016

Hatsune Miku – Still Be Here © Image: LaTurbo Avedon / Crypton Future Media Inc. 2007 | transmediale 2016

Die von der japanischen Künstlerin Mari Matsutoya für das Festival konzipierte und in Zusammenarbeit mit weiteren verschiedenen Sound- und Bildkünstlern entwickelte Performance bot tatsächlich ein wirklich gekonnt ausgearbeitetes und perfekt choreografiertes visuelles wie klangliches Feuerwerk.
Auf einer dreigeteilten Leinwand wechselten sich zarte Animationen und Bildteppiche unzähliger Versionen Hatsune Mikus mit mehreren kurzen Interview-Schnipseln mit den Entwicklern und einem „Fan/User“ ab. Im Vordergrund vor der Leinwand, eine eindrucksvoll animierte, tanzende und singende Projektion Hatsune Mikus. Und trotzdem war das Gefühl am Ende Ende irgendwie unbefriedigend. „Still be There“ konnte sich irgendwie nicht entscheiden, was es sein will: Kunstwerk und spektakuläres Popkonzert oder kritische Reflexion über Hatsune Miku als geteiltes Produkt und wahrgewordener feuchter Männertraum.

Weitere Lieblinge aus dem Bereich Performance:

FEAR OF SILENCE or A BRIEF HISTORY OF THE AIR-RAID SIREN, eine klangliche Zeitreise und Live-Performance durch die Geschichte des Alarmsignals in der Popmusik von der israelischen Künstler Alona Rohde, Mule Driver und Siren Diva. – You had me spätestens bei Beyoncés Klassiker „Ring the Alarm“.

ARTE at transmediale 2016: Californium © Darjeeling Production

ARTE at transmediale 2016: Californium © Darjeeling Production

Das Online-Exploration-Game CALIFORNIUM von ARTE CREATIVE: Obwohl mich die Grafik und die Art der Präsentation – der Produzent des Games‘ Noam Roubah klickt sich mehr oder weniger schweigend durch Teile der ersten Level des Spiels – zunächst wenig überzeugt haben, fand ich doch die virtuose Verschränkung der verschiedenen Realitäts- und Handlungsebenen und das Soundscape ziemlich cool und bin neugierig geworden: Zum Ausprobieren bitte hier entlang.
Die Handlung des Spiels ist in einem orangefarbenen LSD-schwülen Kalifornien im Jahre 1967 und an das Leben des US-amerikanischen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick angelehnt, der die Vorlage für zahlreiche Filme, wie u.a. Minority Report und Blade Runner lieferte und wohl selbst durch eine gewisse psychische Vorbelastung gepaart mit z. T. exzessivem Drogenmissbrauch in mehreren Realitäten zuhause war. Muss auf jeden Fall auf die Leseliste!

Ein paar Talks fand ich auch gut:

THE PERSISTENCE OF THE LAB mit John Beck, Ryan Bishop und Lori Emerson.
INNER SECURITY mit Martin Hartmann, Sophie Hoyle und Stefan Schuhmacher.
LET’S TALK ABOUT WHISTLEBLOWING.
…und natürlich auch nicht zu vergessen die abschließende Keynote Conversation ANXIOUS TO ACT im Auditorium des HKW mit Hito Steyerl und Nicholas Mirzoeff.

In der Kategorie: „Was will der Künstler damit sagen?“RADIO PICKNICK von und mit Ralf Homann:

Bester Zeitvertreib zwischen den Programmpunkten:

Bei Smartphone Akkustand 20%: Ladestation gesucht und in der so genannten Library (wohl eher eine Sitzecke neben dem Auditorium, in der es im eigentlichen Sinne keine Bücher gibt…) das Handy am Rechner angeschlossen und Filme aus dem Kurzfilmprogramm geschaut: Eine dokumentarische Collage über eine mitteldeutsche Stadt mit Nachkriegsgeschichte und eine schwierige persönliche Familienbiografie. (SCHICHT von Alex Gerbaulet, DE 2015) Außerdem noch ein trauriger Rückblick auf eine schwierige Vergangenheit in Südkorea (DER BITTERE APFEL VOM STAMM von Hana Kim, DE 2014), visuelle Illusionen (FALLENDE SCHEIBE von Dieter Kiessling, BRD 1986) sowie Fenster, Türen und Glasfassaden zu Anrufbeantwortern: Washington, bürokratische Stadt. (PARALLELOGRAMS von Steve Rowell, USA 2015)

Verloren im begehbaren kartografische Mixed-Media-Archiv der UdK: ATLAS OF MEDIATHINKING AND MEDIAACTING mit Walter Benjamin, Techno, Punk, Nan Goldin, Dschungel, Badewasser und dem Klang der Familie.

Und außerdem noch kurz ausgeruht auf den Installationen von raumlabor berlin im Foyer des HKW und schamlos das W-Lan zum ziellosen Rumscrollen ausgenutzt: Twitter, Instagram, Twitter, Instagram und ein ganz netter Artikel der Freunde von Freunden über den künstlerischen Leiter des Festivals, Kristoffer Gansing: Link.

Zum Abschluss noch mein CTM-Liebling (einfach, weil das auch das Einzige aus dem CTM-Programm ist, das ich mir angesehen habe – alle anderen fanden es aber auch am Besten): DEEP WEB, eine elektroklangliche, kinetische Lichtinstallationsperformance von Christopher Bauder und Robert Henke im Kraftwerk Berlin.

Deep Web © Image by Christopher Bauder | CTM 2016

Deep Web © Image by Christopher Bauder | CTM 2016