Als junges Filmmagazin will FRAGMENT FILM vor allem dem „Filmnachwuchs“ über die Schultern schauen und Positionen angehender Filmemacher reflektieren. Bernadette Klausberger und Niklas Hlawatsch, zwei ehemalige Produktionsstudenten der Deutschen Film und Fernsehakademie (dffb), haben uns in ihr Kreuzberger PRODUKTIONSBÜRO PFEIFFERS eingeladen und sprachen unter anderem über die Ausbildung an der dffb, den politischen Geist der 68er, den deutschen Film und den Umgang mit Kritik.
Im ersten Teil des Interviews sprechen Niklas und Bernadette über das Produktionsstudium an der dffb, den politischen Wandel der Schule und die Auswirkungen des Direktorenwechsels.
FRAGMENT FILM: Wie würdet ihr denn den Unterschied zwischen Schule und „Realität“ beurteilen? Wie bewertet ihr die Produktionsbedingungen im geschützten Rahmen der Schule im Gegensatz zu eurem jetzigen Produzentendasein?
Niklas Hlawatsch: Ein entscheidender Punkt ist, dass die Akademie zur Realisierung studentischer Projekte ein Budget stellt und jeder Student weiß, dass dieses Geld von der Akademie kommt und jeder auch Anspruch darauf hat. Die Arbeit des Produzenten besteht jetzt aber auch zu einem ganz großen Teil aus der Finanzierung, indem man Menschen von den Ideen und den Filmen, die man machen möchte, überzeugt. Ich glaube, damit erübrigt sich auch der Kampf um Positionen, der an der Filmakademie doch häufig statt gefunden hat. Wir übernehmen jetzt die letzte Verantwortung, die Haftung und stemmen die Finanzierung. Ich empfinde das als große Freiheit.
Bernadette Klausberger: Mir persönlich ist die Realität, die jetzt gerade statt findet, viel lieber, als die Realität der Filmhochschule. Ich glaube auch, dass man gerade den Beruf des Filmproduzenten an der Filmhochschule am allerwenigsten üben oder lernen kann, weil an der Schule fast alles, was das Produzentendasein ausmacht – nämlich die rechtliche und die finanzielle Verantwortung zu haben – von der Filmhochschule, die ja faktisch die Produktionsfirma ist, übernommen wird.
Für den Anfang ist das sicherlich gut, aber wenn man dort fünf Jahre studiert, erweitert sich für die Produktionsstudenten das Feld nicht, sondern es bleibt immer gleich. Zudem hat man auf die kreativ-künstlerische Arbeit kaum Einfluss. Im Laufe meines Studiums empfand ich das als sehr unbefriedigend. Letztendlich ist es an der Schule eher so wie „Malen nach Zahlen“. Und jetzt hat man quasi den Nachteil, die gesamte Verantwortung tragen zu müssen…
NH: …das ist der große Vorteil! Zu der Verantwortung gehört ja auch, dass man sich dafür ja auch zum Teil die Lorbeeren einstreichen darf. Das tue ich heute viel selbstverständlicher und mit gutem Gewissen weil ich die Projekte unter realen Bedingungen stärker mitgestalten kann als ich das in der dffb mit dem Label „Produktioner“ tuen konnte.
Einen Film zu realisieren, der von Null, quasi nur von einer Idee aus begonnen hat, das ist ja letztendlich das, was wir machen wollen! Wir wollen Geschichten schaffen und auf die Leinwand bringen oder auch ins Internet. Dazu trägt jedes Teammitglied im Idealfall alles bei was es es an Wissen, Kreativität und Kompetenz hat. Ständige Kompetenzrangeleien und Übergriffe auf die Arbeitsbereiche anderer Teammitglieder sind dabei einfach hinderlich und lähmend.
FF: Gab es im Vergleich zu eurer momentanen, „freien“ Arbeitssituation eine geistige oder professionelle Richtung, in welche euch die Schule gedrängt hat und von der ihr euch „befreien“ konntet?
BK: Mir wird jetzt erst klar, in welcher Blase man an der Schule eigentlich war: Erst wird man von dieser Autorenfilmer-Kultur, von dieser speziellen Art Geschichten zu erzählen angelockt, bis man merkt, dass das die einzige Art von Film ist, die an der Schule stattfindet. Das kann schnell langweilig werden. Aber wenn man über ein Fernsehformat nachdenkt, wird man gleich wie eine Art „Klassenfeind“ angesehen. Auf der einen Seite ist Film ganz klar Kunst, auf der anderen jedoch auch ein Wirtschaftszweig, bei dem es um Standortmarketing sowie Rentabilität geht und weniger um die künstlerische Vision. Insbesondere an der dffb steht Filmkunst auf den Fahnen und der Marktaspekt wird einfach ausgeklammert. Nicht diskutiert wird, wie viel eine Idee wert ist oder wie viele Leute den Film sehen müssen, damit er wirtschaftlich „rentabel“ ist. Das „Kino als Massenmedium“ denkt den Zuschauer von Anfang an viel mehr mit. Dieser Aspekt ist mir in meiner Arbeit genauso wichtig wie künstlerisches Verständnis.
FF: Interessant ist, dass du das Fernsehen als Format im Gegensatz zum Autorenkino positionierst. Die Schule heißt ja auch „Deutsche Film- und FERNSEH-Akademie Berlin“. Werden an der Schule auch Fernsehformate besprochen?
NH: Meist wurde “Fernsehen” im Studium nur als Schimpfwort gebraucht. Die Realität zeigt aber, dass es in den letzten Jahren fast keinen deutschen oder in Deutschland produzierten Film gab, an dem das Fernsehen nicht finanziell beteiligt war. Daher ist Fernsehen zwangsläufig auch ein Teil der Filmwirtschaft. Das kann man durchaus kritisch sehen. Ich hätte mir aber eine Auseinandersetzung darüber gewünscht und keine einseitige Verurteilung.
Gerade der Aspekt der Reichweite spricht für das Fernsehen. Denn die meisten an Filmhochschulen produzierten Kurzfilme laufen – wenn überhaupt – fast ausschließlich auf Festivals und vor sehr kleinem Publikum. Da ist das Fernsehen trotz Internet und Youtube immer noch das am weitesten verbreitete Medium. Wenn man die Zuschauerzahlen eines Kinodokumentarfilms mit den Einschaltquoten vergleicht, die der Film im Fernsehen erzielen kann, dann weiß ich, wo ich hingehen würde, wenn es mir darum geht, auf ein Thema hinzuweisen und möglich viele Menschen zu erreichen.
BK: Nicht nur wegen der Berufsperspektive wäre es schön, wenn sich mehr Leute für das Fernsehen interessierten. Tatsächlich gibt es fast eine Art Doktrin: Kino ist immer das Gute und Fernsehen immer das Schlechte. Ich kenne niemanden, der beide neutral nebeneinander stellt oder sogar das Fernsehen für die eine oder andere Idee bevorzugen würde. Die Schule bemüht sich dennoch in der Ausbildung Allianzen mit dem Fernsehen zu schmieden. Die Sender müssen heute mehr denn je über Zuschauer und Programmkonzepte nachdenken, was man zum Anlass nehmen könnte, grundsätzlich über Formate nachzudenken.Eine Filmhochschule wäre der ideale Ort für diese Art von Programmlabor.
FF: Die deutsche Filmlandschaft wird oft und gerne kritisiert. Was ist euer Anspruch an den zeitgenössischen deutschen Film? Wo würdet ihr euch selbst positionieren?
BK: Im Idealfall spricht mich ein Film sowohl emotional, als auch intellektuell an – am Besten noch derartig, dass es nicht allzu vorsätzlich wirkt. Zwar passiert das sehr selten, aber immer wenn es passiert, denke ich: Das ist einfach große Kunst! Deswegen will ich, dass diese Filme entstehen und dass sich jemand drei Jahre Zeit nehmen kann, um seiner Idee zu folgen und seine Geschichte zu erzählen. Ich finde es allerdings schwierig, wenn Kunst schablonenmäßig betrieben wird. Wenn jemand die deutschen Förderbedingungen auslotet und sagt: „Aha, dann weiß ich, dass es gut wäre, wenn es eine Story mit Migranten ist und es wäre auch super, wenn dieser oder jener Schauspieler mitspielt, weil man den kennt…“ Diese „strategische“ Art Filme zu machen, finde ich wahnsinnig ernüchternd. Leider treibt dieses Verhalten gerade im Nachwuchsbereich sein Unwesen. Bei Projekten, die ich selbst unterstütze, halte ich es für entscheidend, dass jemand für seine Sache brennt und bereit ist, sich intensiv mit ihr auseinanderzusetzen. Außerdem ist es toll, wenn der Inhalt auf das Medium Bezug nimmt oder auch umgekehrt: Wenn jemand einen Kurzfilm macht, weil seine Idee genau in die sprichwörtliche Nussschale passt und nicht nur, um eine Visitenkarte für den nächsten Spielfilm zu haben.
NH: Wenn ich in ein bestimmtes Kino gehe, mich vor den Fernseher setze, im Internet Geschichten suche, oder auch mal meine XBox anwerfe, geht es mir darum, überrascht zu werden – sowohl auf der Unterhaltungsebene als auch auf intellektueller Ebene. Letztendlich geht es beim Kino darum, neue Perspektiven und neue Welten zu zeigen. Zwar handelt es sich um eine relativ neue Kunstform, aber es werden seit der Antike immer die gleichen Themen verhandelt: Love-Stories, Mord und Verrat, Freundschaft – all das muss man aber jedes Mal neu erzählen. Deswegen interessiere ich mich auch für unterschiedliche mediale Formen und nicht nur für Fernsehen, Kino oder Internet, sondern für die Kombination aus allem.
FF: Wir haben viel über eure Projekte geredet – jetzt wollen wir zum Abschluss von euch wissen, was ihr von einem Filmmagazin erwartet. Sind Filmrezensionen für euch als Produzenten überhaupt relevant?
NH: Ich finde Kritik sehr wichtig. Für mich wäre interessant, dass die Kritiken von euch kommen und ihr versucht, euch nicht von anderen Rezensionen wie sie in der FAZ oder irgendeiner Zeitung stehen, beeinflussen zu lassen. Ihr solltet euch bewusst sagen: „Das, was ich, als junge_r Redakteur_in oder Journalist_in schreibe, darauf vertraue ich und da traue ich mich auch, diese Meinung in die Welt zu tragen.“
BK: Ich finde gerade die aus der Fülle an Filmmagazinen entstehende Diskussionskultur interessant. Als bei cargo-film.de der erste Artikel über den dffb-Diskurs zu lesen war und es daraufhin zahlreiche Kommentare hagelte, wurde das Online-Filmmagazin plötzlich zu dem Ort, an dem ein Teil der Diskussion ausgetragen wurde. Man konnte dort so etwas wie „gelebte Filmkultur“ sehen. Ich würde gerne nicht nur eine, sondern mehrere, konträre Meinungen zu Filmen, Festivals oder filmpolitischen Entwicklungen an einem Ort lesen. Es wäre schön, wenn das in einem Filmmagazin aufgelesen und in einen Zusammenhang gebracht wird, was aktuell an Diskussion zu einem brennenden Thema stattfindet.
NH: Wenn es darum geht einen Überblick über alles zu bekommen, was gerade im Kino läuft, lese ich mir Kritiken in der ZEIT oder in der Süddeutschen durch. Interessant finde ich aber auch den Aspekt des „Sachen-Auftreibens“ nicht nur im Kino oder auf Festivals. Auch das Aufstöbern seltener DVD-Schätze mit klaren Empfehlungen und Hinweisen zur Beschaffung wäre mir bei einem Filmmagazin wichtig.
FF: Und wie geht ihr als Produzenten mit Kritik um?
NK: Zunächst kann ich zu Kritik in Zeitungen oder Magazinen sagen, dass ich mich enorm freue, wenn über unsere Filme geschrieben wird. Wenn unsere Filme auf Festivals laufen, lese ich natürlich, was geschrieben wird. Und wenn es dann eine Rezension gibt, die einerseits sehr positiv und schmeichelhaft ist und andererseits auch so, dass man sagt: „Na ja, so sollte es nicht rüberkommen“ – ist mir das in dem Moment egal. Mir geht es beim Lesen von Kritiken besonders darum zu erfahren, wie andere Leute diesen Film aufnehmen und vor allem empfinde ich es als Ehrung, wenn Leute in unsere Filme gehen, darüber nachdenken und darüber schreiben. Am Schlimmsten ist es, wenn Filme in Schubladen landen und nicht besprochen werden; wenn die Leute raus gehen und sagen, „war ja ganz nett“ oder „war ja ganz schön“…
BK: Ich finde es erstaunlich, dass diese Welten überhaupt so getrennt voneinander existieren. Vorher war mir nicht klar, dass Filmkritik und Filmemachen für sich total geschlossene Bereiche sind und dass es auch sehr starke Berührungsängste gibt. Ich finde es allerdings sehr angenehm, dass man als Kritiker von einer ganz anderen Perspektive heraus mit einem Film umgehen kann. Bis ich einen unserer Filme sehen und dabei die Produktionsbedingungen vergessen und ausklammern kann, müssen Jahre vergehen und ich muss ihn etliche Male gesehen haben. Film als ein Medium, das für die Öffentlichkeit geschaffen ist, muss eine Diskussion und eine Auseinandersetzung auslösen, die über die 90 Minuten hinausgeht. Und ich denke, dass sich die Produzenten – sei es nur aus Eitelkeit – dafür interessieren, was über ihren Film geschrieben wird. (lacht)
Das Interview führten Tatiana Braun und Deniz Sertkol.